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Geiselnahme: Angehörige oft mehr unter Druck als Opfer

Die Angehörigen von Geiseln stehen nach Erfahrung des Trauma-Experten Georg Pieper oft unter stärkerem Druck als die Opfer selbst. "Der Kern der Belastung ist die Ungewissheit."

Gladenbach/Leipzig - "Sie ist der belastendste Stressor für die Psyche", sagte Pieper am Mittwoch in einem dpa-Gespräch. "Die Angehörigen erleben ein extremes Wechselbad der Emotionen zwischen Hoffen und Bangen", beschrieb er die Empfindungen, die derzeit wahrscheinlich die Angehörigen der im Irak entführten Leipziger René Bräunlich und Thomas Nitzschke haben.

Der 52 Jahre alte Psychologe aus dem hessischen Gladenbach betreut seit den 80er Jahren Opfer schwerer Katastrophen. Zudem hat er sich um deutsche Geiselopfer im Libanon gekümmert und die Betreuung der Schüler der Erfurter Gutenberg-Gymnasium nach dem Amoklauf 2002 organisiert.

«Den geliebten Menschen in Gefahr zu wissen und selber nichts tun zu können, ist das Schlimmste für die Angehörigen von Geiseln», sagte Pieper. Die Menschen warteten auf jede neue Nachricht. «Diese können nahezu euphorische Gefühle auslösen, sobald es Zeichen für Hoffnung gibt. Bei negativen Meldungen fallen die Betroffenen dann ganz tief in den Keller und neigen dazu, depressiv zu werden.»

«Schilderungen Betroffener zeigen, dass die Angehörigen die Situation oft schlimmer empfinden als die Opfer selbst», berichtete Pieper. «Die Fantasie der Angehörigen ist manchmal krasser als die Realität.» Auch körperlich erleben viele Angehörige laut Pieper die Hölle: Die extreme Stresssituation führe meist zu Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Ess- und Verdauungsproblemen. (tso/dpa)

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