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Politik: Geldmangel setzt Angela Merkel Grenzen - sonst hat sie als "Nur-Parteichefin" mehr Freiheit als ihre Vorgänger

"Habemus Angelam!" sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter.

"Habemus Angelam!" sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter. Das ist spöttisch gemeint. Aber es ist doch bezeichnend, dass dem Mann für ein eher profanes Ereignis wie die Kür einer neuen Parteichefin die Formel in den Sinn kommt, mit der seit Jahrhunderten die Wahl eines neuen Papstes der Welt verkündet wird. Auf Angela Merkel richten sich hohe Erwartungen. Gerade jener Teil der CDU-Basis, der die Generalsekretärin auf den Regionalkonferenzen der letzten Wochen zu ihrer Favoritin erkoren hat, verbindet mit ihr die Hoffnung auf einen Neuanfang. "Danke, dass Sie uns die Möglichkeit gegeben haben, zwei Stunden mit Ihnen zu diskutieren", hat bei einer der Konferenzen eine Ortsvorsitzende gesagt. Die Basis, die sie rief, ist auf den Geschmack gekommen.

Die Stunde Null freilich schlägt für die neue Chefin erst einmal in ganz anderer Hinsicht. Am Montag früh, noch bevor sie im Präsidium ihre Kandidatur anmelden wird, treffen sich Merkel und der Noch-Parteichef Wolfgang Schäuble mit den Landesvorsitzenden. Einziges Thema der heiklen Runde: Das Geld. Die Bundespartei ist pleite. Inklusive dessen, was an Straf- und Rückzahlungen aus der Spendenaffäre noch auf sie zukommen dürfte, fehlen rund 100 Millionen Mark. Auf dem Frühstückstisch wird ein Sanierungsplan liegen, der den Abbau dieser Schulden binnen fünf Jahren vorsieht. Die nötigen 20 Millionen im Jahr müssen überwiegend aus den Ländern kommen - was dort geringe Begeisterung auslöst.

Schäuble hat erwogen, die Verbände anteilig zu ihrer Mitgliederzahl zur Kasse zu bitten. Aber da werden einige Landesfürsten auf Sonderlasten wie nahende Landtagswahlkämpfe hinweisen, andere ihre jetzt schon leeren Kassen vorzeigen. Die Mitglieder um einen Sonder-Obolus zu bitten, traut sich niemand - alle fürchten eine Austrittswelle der Karteileichen. Also bleibt nur eisernes Sparen.

Die kommenden mageren Jahre setzen auch der politischen Arbeit der neuen Chefin enge Grenzen. Wählerwerbung kostet Geld - viel Geld. Lange vorbei die Zeiten, in denen das Hauptwerbemittel das Plakat und der Kugelschreiber mit CDU-Logo war. Wer sich Gehör verschaffen will, braucht teure Fernseh-Sendeminuten. Und eine Handstreich-Aktion wie jene Unterschriftensammlung gegen den Doppel-Paß, mit der Roland Koch die Macht in Hessen übernahm, ist ganz ohne Bares auch nicht zu organisieren.

Ein Neuanfang mit großen Hindernissen also. Zudem ist auch Leuten aus der CDU-Führung, die die designierte Chefin schon länger kennen, durchaus nicht klar, was denn wohl inhaltlich unter dem vielbeschworenen "Neuanfang" zu verstehen sein wird. Galt Merkel zu Kohls Zeiten als politisch eher profillos, hat sie sich als Schäubles Generalsekretärin das Image einer "Liberalen" im CDU-Spektrum erworben: ein demonstratives Treffen mit Schwulen und Lesben, ein neues Programm in der Familienpolitik, das, wäre es nicht schon im Schatten des Skandals beraten worden, einen kleinen Kulturkampf im konservativen Lager ausgelöst hätte. Merkel war seinerzeit auch gegen Kochs Unterschriftenaktion, weil sie fürchtete, das schüre Ausländerhaß. Was Wunder, dass nicht nur die CSU immer wieder anmahnt, die künftige CDU-Chefin müsse programmatisch auch den konservativen Teil des Spektrums integrieren.

Ob ihr der Rollenwechsel von der Generalin - einem Amt, das Provokation auch der eigenen Anhängerschaft zuläßt - zur Generalistin gelingt, wird in der eigenen Partei genau beobachtet werden. "Sie hat auf dem Weg zur Spitze mächtige Leute ausgebremst", sagt ein alterfahrener CDU-Mann. "Die warten nur darauf, dass sie Fehler macht." Ein Verhalten freilich, das andere Christdemokraten falsch finden: "Wenn sie gewählt ist, müssen wir hinter ihr zusammenstehen - bei allen Zweifeln, die jeder für sich haben mag", sagt ein einflußreicher Abgeordneter.

Strukturell hat Merkel als Parteichefin mehr Spielraum als es der Auch-Fraktionschef Schäuble und der Auch-Kanzler Kohl hatten. "Sie muss keine Kompromisse schließen - weder mit der Regierung noch mit einem Koalitionspartner", sagt ein CDU-Vorständler. Merkel gewissermaßen als "CDU pur".

Auf ihren Mentor Schäuble wird sie dabei zurückgreifen können; eine Ironie der Geschichte, dass dem Mann, der schon unter Kohl die Programmarbeit machte, unter seiner eigenen Nachfolgerin Merkel die gleiche Rolle zufallen könnte. Er wird ihr zur Seite stehen, so wie Annette Schavan und Christian Wulff, die beiden Vize-Vorsitzenden, mit denen sie bisher am engsten zusammen arbeitet. Doch das neue Führungsteam muss sich noch herausbilden. Wen sie als Generalsekretär vorschlagen wird, gilt vielen als erster Fingerzeig: Wählt sie einen aus dem eigenen Stall - oder setzt sie ein anderes Signal? Binnen acht Tagen will Merkel sich entscheiden.

Robert Birnaum

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