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Politik: Gemeinsam verbittert

Der Atomkonflikt reißt in Iran alte Wunden auf – und schweißt Regimegegner mit Islamisten zusammen

Es sind die Internet-Blogs, in denen die „Kinder der islamischen Revolution“ inzwischen ihre wahren Gefühle ausdrücken. „Wir freuen uns auf die ausgestreckten Hände unserer Schwestern und Brüder“, schreibt dort etwa ein iranischer Studentenaktivist, „der noblen Menschen dieser Welt, damit sie uns retten, damit sie uns helfen, wieder den uns gebührenden Platz im Kreise der zivilisierten Völker einzunehmen.“

Der Atomkonflikt, die Entschlossenheit des Westens, der „Islamischen Republik“ das zu verwehren, was andere haben, hat die Iraner tief ins Mark ihres nationalen Selbstverständnisses getroffen – und sie hinter ihr verhasstes islamistisches Regime geschart. „Keine iranische Regierung, gleichgültig welche Ideologie sie vertritt, welchen demokratischen Rückhalt sie besitzt, könnte es wagen, das Atomprogramm zu stoppen“, meint sogar die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi.

Am Freitag hatte Iran bei einem Treffen mit den Außenministern Deutschlands und Frankreichs einen vollständigen Verzicht auf die Anreicherung von Uran im eigenen Land abgelehnt. Am Montag beginnt der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) seine entscheidenden Beratungen über das iranische Atomprogramm.

Die Auseinandersetzung reißt in Iran die Wunden historischer Traumata auf. Am stärksten im Bewusstsein sind die Gebietsverluste der vergangenen zwei Jahrhunderte mitsamt der politischen, ökonomischen und kulturellen Dominanz durch andere Mächte. Sie mischen sich mit dem Blick auf glorreiche Vergangenheit – ein Reich, das Jahrhunderte politische und militärische Macht in der Region ausübte und dessen eine Kultur auch ihren Weg ins Herz westlicher Zivilisation fand. Auch deshalb sehen sich die Iraner als wichtigen Faktor der Weltpolitik. „Die Tatsache“, betont der Intellektuelle Assad Homayoun, „dass ein großer und geostrategisch so wichtiger Staat von fanatischen Pseudoideologen gekidnappt wurde, bedeutet nicht, dass man ihn missachten oder unterschätzen darf. Der Iran ist ein wichtiges Gravitationszentrum im Mittleren Osten.“

Gefühle erlittenen historischen Unrechts nähren den Konflikt auf beiden Seiten. Doch welcher Verbrechen sich die „Islamische Republik“ seit 1979 gegenüber dem Westen auch schuldig gemacht hat, von der Besetzung der US-Botschaft bis zur Verwicklung in Terrorakte – in den Augen der Iraner wiegt die Missachtung souveräner Rechte durch Türken, Briten, Russen und schließlich Amerikaner weit schwerer.

Auch nach Einschätzung westlicher Orientexperten hat sich Iran in den vergangenen zwei Jahrhunderten als friedlichster und zurückhaltendster Staat des Mittleren Ostens erwiesen. Während diverse Mächte in sein Territorium einmarschierten, besetzte Persien zuletzt Ende des 18. Jahrhunderts mit Armenien und Georgien ein anderes Gebiet – das im Übrigen lange Teil seiner politischen und kulturellen Welt gewesen war. Und selbst in nationalistischen Kreisen hat man den Verlust dieser Gebiete Anfang des 19. Jahrhunderts an die Russen widerstandslos hingenommen. Während im auflebenden Nationalismus des 20. Jahrhunderts andere Nationen verlorene Gebiete verbal oder kämpferisch zurückforderten, ist dies in Iran kein Thema.

Heute verweigern die Amerikaner Teheran nach Ansicht vieler Iraner jede Möglichkeit, ökonomische und politische Interessen in der Region zu berücksichtigen. Es herrscht ein Gefühl nationaler Unsicherheit. Viele sehen sich bedroht durch ein atomwaffenbestücktes Israel. Und Iraks Diktator Saddam Hussein werde vor allem wegen des Einsatzes chemischer Waffen gegen die Kurden im Nordirak zur Verantwortung gezogen, heißt es. Von den ersten Opfern der Chemie-Attacken, den Hunderten iranischen Soldaten, werde kaum gesprochen. „Mit Ausnahme Kanadas stehen die Amerikaner nur im Iran an allen Grenzen“, hört man besorgte Bürger in Teheran sagen. Im Unterschied zu Kanada betrachteten die USA Iran jedoch als ihren Erzfeind.

Das Gefühl, dass man dem eigenen Staat jedes Verständnis für seine Sicherheitsängste verwehrt, nährt Radikalismus, wie ihn Teherans Führung inzwischen so beängstigend demonstriert. Auch die Anrufung des UN- Sicherheitsrates werde Iran nicht von seinem Programm zur Urananreicherung abbringen, sagte Atomunterhändler Ali Laridschani am Samstag in Teheran. Gleichzeitig drohte er mit dem Austritt seines Landes aus der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO). „Warum wurden wir Mitglied der IAEO?“, fragte Laridschani in der Wiener Tageszeitung „Kurier“ – und gab die Antwort selber: „Um die Atomtechnologie haben zu dürfen.“ Es sei „ein Paradox, dass wir IAEO-Mitglied sind und trotzdem nichts tun dürfen“.

Iran ist seit den späten 50er Jahren Mitglied der IAEO und seit Mitte der 70er Jahre Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags, der jedem Land die friedliche Nutzung der Kernenergie ausdrücklich zusichert. Laridschani betonte, Teheran wolle nicht „den Weg Indiens und Pakistans gehen“ – beide haben den Sperrvertrag nicht unterzeichnet. „Diese Länder strebten Atombomben an“, sagte Laridschani. „Wir nicht, auf keinen Fall.“

Birgit Cerha[Beirut]

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