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Politik: Generäle, stillgestanden! Die türkische Regierung

will EU-Reformen durchsetzen

Das Parlament ist die entscheidende Institution, wenn es um grundlegende Beschlüsse geht – diesen Satz wiederholt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan derzeit fast täglich. Erdogan unterstreicht die an sich selbstverständliche Rolle der Volksvertretung nicht von ungefähr. Denn die große Frage in der türkischen Politik ist zur Zeit, ob Erdogans Regierung ihr neues europapolitisches Reformpaket verabschieden wird, ohne die nächste Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates abzuwarten, in dem die Militärs den Ton angeben.

Erdogan will das Reformpaket in dieser Woche ins Parlament einbringen. Noch vor dem EU-Gipfel Ende Juni soll den Europäern damit signalisiert werden, dass der Beitrittskandidat Türkei willens und in der Lage ist, die Anforderungen an eine Mitgliedschaft zu erfüllen. Ein Einspruch des Sicherheitsrates gegen die Reformen bei der nächsten Sitzung des Gremiums am 26. Juni würde das geplante pro-europäische Signal aus Ankara ins Gegenteil verkehren. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die Regierung doch noch Rücksicht auf die Einwände der Militärs nehmen wird – oder muss.

Die Militärs haben Vorbehalte gegen Kernpunkte des Pakets. So lehnen sie die Entschärfung des Anti-Terror-Gesetzes ab, das die Meinungsfreiheit einschränkt. Außenminister Abdullah Gül sagte am Montag, insbesondere hier würden keine Abstriche gemacht. Die Reformen sehen auch die Freigabe kurdischsprachiger Sendungen im Privatfernsehen sowie die Entfernung von Militärvertretern aus der Aufsichtsbehörde für Kino, Video und Musik vor.

Offiziell bekennen sich hohe Militärs in Ankara wie Generalstabschef Hilmi Özkök zum Ziel der EU-Mitgliedschaft. Doch gleichzeitig betrachten sie sich als Kontrolleure der Regierung. Diesen Anspruch leiten sie von Staatsgründer Atatürk ab. Deshalb können sich die Militärs nicht mit dem Gedanken anfreunden, den Politikern das Steuer zu überlassen. Aber genau das wird bis Ende 2004 von ihnen verlangt. Derzeit bestärken große Teile der türkischen Öffentlichkeit die Militärs noch in ihrem Machtbewusstsein; viele Türken betrachten die Armee als Schutzschild gegen die vermutete fundamentalistische Bedrohung. Generalstabschef Özkök wird innerhalb der Armee schon dafür kritisiert, dass er einen freundlichen Umgangston mit den Politikern pflegt. Unmöglich ist die Demokratisierung der Militärs aber nicht.

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