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Gelbwesten-Proteste in Paris (Archivbild)

© imago images/Le Pictorium

Generalstreik in Frankreich: Die Angst, dass die Gelbwesten den Konflikt eskalieren

In ganz Frankreich hat der Generalstreik begonnen. Wie gefährlich werden die Proteste für den Präsidenten? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

In Frankreich haben alle Gewerkschaften bis auf die gemäßigte CFDT für den Donnerstag zu Streiks aufgerufen. Der Generalstreik hat bereits begonnen, viele Bahnen und Flüge sind ausgefallen. Die Protestwelle droht massiv zu werden. War anfangs nur von einem Streiktag die Rede, hat die Staatsbahn SNCF schon vor einigen Tagen alle Reservierungen vom 5. bis 8. Dezember gesperrt. Im Mittelpunkt steht die geplante Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron.

Was plant Macron mit der Rente?

Bei der Rentenreform geht es um eine Angleichung aller 42 Rentensysteme in Frankreich, öffentlich und privat, das hatte Macron schon im Wahlkampf als Vorhaben angekündigt. In zahlreichen Bereichen gibt es sogenannte „Spezialregime“, die abgeschafft werden sollen. Noch ist der genaue Reformtext aber nicht bekannt, nur die Grundlage: Jeder eingezahlte Euro wird dieselben Ansprüche für den Versicherten nach sich ziehen.

Über das Einführungsdatum ist sich die Regierung noch im Unklaren. Im Januar allerdings soll das Projekt schon dem Parlament vorgelegt werden. Die Reform der Rentenkasse ist überfällig. Der Rentenrat COR hat vorgerechnet, dass in der staatlichen Kasse bis 2025 zwischen 7,9 und 17,2 Milliarden Euro fehlen.

Reisen am Tag des Generalstreiks in Frankreich – was Sie beachten sollten

  • Wer am Tag des französischen Generalstreiks mit der Bahn fährt, kann sich vorab auf bahn.de/aktuell über seine Reiseverbindung und eventuelle Ausfälle unter bahn.de/reiseauskunft informieren.
  • Die Deutsche Bahn schreibt zudem: „Fahrkarten können ab sofort bis einschließlich 11.12.2019 für die gleiche Verbindung kostenfrei auf einen anderen Reisetag umgebucht werden. Fahrkarten nach Frankreich, die für diesen Zeitraum gelten und nicht mehr genutzt werden, können kostenfrei zur Erstattung eingereicht werden.“
  • Das entsprechende Erstattungsformular für online gebuchte Fahrten finden Sie hier.
  • Folgende Züge sind betroffen: ICE-/TGV-Züge Paris Est – Saarbrücken – Mannheim – Frankfurt (M), TGV-Züge Marseille – Strasbourg – Mannheim – Frankfurt (M) und ICE-/TGV-Züge Stuttgart –Strasbourg – Paris Est
  • Wer von Frankreich aus nach Deutschland fährt, kann seine Fahrkarte bei jeder SNCF-Verkaufsstelle auf einen anderen Direktzug derselben Verbindung nach Deutschland kostenfrei umbuchen. Weitere Informationen auch unter www.sncf.com
  • Auch an den Flughäfen und bei Fluganbietern wird es möglicherweise zu Streiks kommen. Reisende kontaktieren am besten vorab Ihre Airline und überprüfen, ob ihr Flug an diesem Tag stattfinden wird oder welche Alternativen und Stornierungsmöglichkeiten es gibt.
  • Wie der ADAC auf seiner Webseite schreibt, könnten weitere touristische Sektoren vom Generalstreik betroffen sein wie Banken, Post, Fähren, Hotels, Restaurants, Museen, aber auch Abschleppunternehmen, Tankstellen, Autoverleiher und Autobahn-Mautstationen
  • Möglicherweise wird auch der Eiffelturm geschlossen sein, wenn die Mitarbeiter streiken.
  • Autofahrer sollten zudem Blockaden an wichtigen Straßenverbindungen nicht ausschließen.
  • Der ADAC rät zudem: Wer in Frankreich am Streiktag unterwegs ist, sollte größere Menschenansammlungen meiden. In der Vergangenheit kam es bereits zu Ausschreitungen bei Großkundgebungen.

Viele fürchten um ihre alten Rechte, vor allem die Mitarbeiter der SNCF und der Verkehrsbetriebe RATP. Dort gehen die Mitarbeiter im Schnitt schon mit 56 Jahren in Rente, bei doppelt so hohen Pensionen wie in der Privatwirtschaft. Die durchschnittliche Rente bei der SNCF liegt bei 2600 Euro.

Das offizielle Rentenalter ist 62. Aber die Angestellten, die ihre Jahre noch nicht voll haben, bekommen erst mit 67 Jahren volle Rente. Auch die Fluggesellschaft Air France will sich an den Streiks beteiligen. Anwälte und Freiberufler fürchten ebenfalls, dass sie weniger Rente bekommen werden.

Wie ist die sozialpolitische Lage und die Stimmung in Frankreich?

Die Situation ist äußerst angespannt. Ein Vertrauter der Macrons sprach im „Parisien“ davon, dass Brigitte Macron Angst um ihren Ehemann und ihre Familie habe. Sie fürchtet sich angeblich vor Drohungen. Die Regierung hat vor allem eine Sorge, dass die Gelbwesten, die im vergangenen Jahr das Land und vor allem Paris verwüsteten, sich den Protesten anschließen und sich eine große Front bildet.

Mit der Reform der Vermögenssteuer hatte Macron den Ruf des „Präsident der Reichen“ weg, dann kam noch die Arbeitsrechtsreform, die Entlassungen vereinfachte. Spätestens seit den Protesten der Gelbwesten ist die gesellschaftspolitische Stimmung in Frankreich äußerst angespannt. In den Krankenhäusern wurde gegen die Zustände protestiert.

Die Landwirte fuhren mit Traktoren durchs Land und nach Paris, um auf ihre schwierige Situation aufmerksam zu machen. Nachdem sich ein Student vor der Universität von Lyon aus Protest angezündet hat, sind auch die Studenten in Aufruhr.

Was ist an diesem Wochenende geplant? Wie bereiten sich die Franzosen darauf vor?

Die Eisenbahn streikt mindestens vier Tage, nur zehn Prozent der Züge fahren am Donnerstag, bei den Vorortzügen sogar nur drei Prozent. Auch die Metro in Paris ist betroffen, elf von 14 Linien sind ganz unterbrochen. Hunderte Flüge sind annulliert.

Die Franzosen wurden aufgefordert, ihre Reisepläne zu verschieben. Viele haben sich zumindest den ersten Streiktag freigenommen. Die Schulen haben aus Sicherheitsgründen geschlossen. In den Schulen können sich die Streiks länger hinziehen, 55 Prozent der Lehrer wollen streiken, 78 Prozent in Paris. Wer ein eigenes Fahrrad besitzt, hat schon mal vorsorglich aufgepumpt, denn die Leihfahrräder werden schnell vergeben sein.

Im ganzen Land wurden 242 Demonstrationen angekündigt. Innenminister Christophe Castaner schließt Zwischenfälle nicht aus. Viele Geschäfte und Restaurants werden geschlossen sein, Terrassencafés wurden angewiesen, ihre Stühle und Tische nach innen zu räumen, um nicht zur Munition zu werden.

Was bedeutet der Generalstreik in Frankreich für Macron innenpolitisch?

Macron steht vor einer großen Prüfung. Die Rentenreform ist sein Vorzeigeprojekt und die wichtigste Reform, die er geplant hat. Nachdem er die Arbeitsrechtsreform trotz Protesten zügig durchgezogen hat, haben die Proteste der Gelbwesten die Rentenreform verzögert.

Seit Wochen diskutiert die Regierung mit Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern. Die Mehrheit der Franzosen findet laut mehreren Umfragen mit Werten von mehr als 60 Prozent die Streiks gerechtfertigt, allerdings sind etwa ebenso viele für eine Abschaffung der Spezialregime.

Macron weiß, dass er daran gemessen wird, wie er diese Reform durchzieht. In Frankreich scheiterten schon zahlreiche Reformen an der Macht der Straße. Der konservative Premierminister Alain Juppé wollte bereits 1995 die öffentlichen den privaten Rentensystemen angleichen. Auch damals hatten die Eisenbahner und die RATP stark mobilisiert. Drei Wochen war das Land blockiert, dann zog Juppé die Reform zurück. Danach wagte sich niemand mehr an eine grundlegende Reform – bis zu Macron.

Auch diesmal stehen die Eisenbahner wieder in der ersten Reihe. Macron weiß, dass er es nicht riskierten kann, die Reform zurückzuziehen. Deshalb wird er ebenso wie in der Krise der Gelbwesten versuchen, Zugeständnisse zu machen, ohne die Reform zu kippen. Von einer Niederlage könnte er sich kaum erholen. Dann wäre keine Reform mehr möglich. Es steht noch eine Reform des öffentlichen Dienstes an, bei dem die Zahl der Beamten reduziert und ihre Stellung geschwächt werden könnte.

Generalstreik in Frankreich: Wie steht Macron außenpolitisch da?

Der Generalstreik trifft Macron zu einem Zeitpunkt, da ihm eine entscheidende außenpolitische Woche bevorsteht. Am kommenden Montag trifft er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj in Paris.

Bei dem Vierer-Gipfel soll der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine entschärft werden. Bei dem Treffen in der französischen Hauptstadt möchte Macron eigentlich die Früchte seines Annäherungskurses in Richtung Moskau ernten. Allerdings ist sein Konzept, demzufolge die Europäer Russland stärker einbinden sollen, innerhalb der Gemeinschaft hoch umstritten. Insbesondere in Polen und in den baltischen Ländern wird der Kurs des Präsidenten skeptisch gesehen.

Am Donnerstag der kommenden Woche wird Macron dann beim EU-Gipfel in Brüssel erwartet. Das Treffen wird voraussichtlich im Schatten der britischen Unterhauswahl stehen, die zeitgleich stattfindet. Macron hatte sich in der Vergangenheit auf EU-Ebene dagegen ausgesprochen, den Briten im Gezerre um den EU-Ausstieg immer wieder neu entgegenzukommen.

Merkel verfolgt hingegen gegenüber London einen konzilianteren Kurs. Der Dissens zwischen dem Staatschef und der Kanzlerin in Sachen Brexit könnte neu aufbrechen, falls auch die britische Parlamentswahl am kommenden Donnerstag kein eindeutiges Ergebnis bringen sollte.

Ein anderes deutsch-französisches Streitthema steht beim bevorstehenden EU-Gipfel erst gar nicht auf der Tagesordnung: die EU-Erweiterung. Macron hatte den Start von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien, den Merkel befürwortet, verhindert. Im Fall Nordmazedoniens ist Macron innerhalb der EU komplett isoliert.

Hat der Streit um die Nato den Präsidenten geschwächt?

Macron hatte der Militärallianz den „Hirntod“ bescheinigt und damit heftige Diskussionen ausgelöst. Auch wenn der Hausherr im Elysée-Palast inhaltlich damit den Finger in die Wunde legte, machte er sich mit seinen Äußerungen im Kreis der Staats- und Regierungschefs des Bündnisses keine Freunde.

Bei einem tête-à-tête mit US-Präsident Donald Trump während des Nato-Jubiläumsgipfels in Großbritannien herrschte eine eisige Stimmung. Zuvor hatte Trump, der seinerseits auch schon einmal das Militärbündnis für „obsolet“ erklärt hatte, die scharfe Wortwahl des französischen Präsidenten als respektlos und gefährlich bezeichnet.

Zwar blieb Macron auch beim Nato- Gipfel bei seiner Analyse, dass die Verteidigungsallianz eine „echte Strategiedebatte“ benötige. Der Anlass für seine „Hirntod“-Diagnose war die mangelnde Abstimmung der beiden Bündnispartner USA und Türkei in der Syrien-Politik gewesen. Allein auf weiter Flur erschien Macron beim Jubiläumstreffen indes mit seiner Idee, dass die Europäische Union eine eigene Verteidigungskapazität aufbauen müsse.

Welche Initiativen sind von ihm noch in der Europapolitik zu erwarten?

In einem gemeinsamen deutsch-französischen Papier, das im Kanzleramt und im Elysée-Palast erstellt wurde, haben sich beide Seiten für eine „Konferenz zur Zukunft Europas“ ausgesprochen. Dabei sollen auch mithilfe von Experten bis zur französischen EU-Ratspräsidentschaft in der erste Hälfte des Jahres 2022 konkrete Inhalte für die Weiterentwicklung der EU benannt werden. Dazu dürfte auch die von Macron forcierte EU-Verteidigungspolitik gehören.

Der Zufall will es, dass die Pariser EU- Präsidentschaft ausgerechnet zu einem Zeitpunkt ansteht, wenn in Frankreich die nächsten Präsidentschaftswahlen stattfinden. Dabei wird ein politischer Zweikampf zwischen dem derzeitigen Amtsinhaber und dem rechtsextremen „Rassemblement National“ erwartet. Es wäre keine Überraschung, wenn sich Macron im Präsidentschaftswahlkampf wie schon bei der Entscheidung von 2017 als Pro-Europäer positionieren wird.

Ob Frankreichs Staatschef den Rest der EU in den kommenden Jahren in seinem Elan zur Erneuerung der Gemeinschaft mitreißen kann, bleibt indes abzuwarten. Die Zeitung „Le Monde“ zitierte den Botschafter eines EU-Landes in Brüssel mit den Worten, dass Macron in vielen Punkten recht habe.

So sei in der EU weiterhin in der Tat die Frage ungelöst, wie das Verhältnis der Gemeinschaft zu den USA, Russland und China künftig geregelt werden solle. Auch die Zunahme des Populismus bleibe eine Herausforderung. Allerdings, so fügte der Botschafter hinzu, sei die Lage Macrons mit einem Spitzenreiter bei der Tour de France vergleichbar: Eines Tages könne sich Macron umdrehen und feststellen, dass er das Feld der übrigen EU-Staaten komplett abgeschüttelt habe.

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