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Politik: Genforschung: Zellenwärter. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sitzt am Hebel, nicht die Politik

Am Anfang vom Ende war Goethe. Der hatte von einem Schachbrett geschrieben, das die Natur uns Menschen gegeben habe.

Am Anfang vom Ende war Goethe. Der hatte von einem Schachbrett geschrieben, das die Natur uns Menschen gegeben habe. Und von Schachfiguren, deren Wert und Vermögen uns erst nach und nach bekannt werden. "Nun ist es an uns, Züge zu tun, von denen wir uns Gewinn versprechen; dies versucht nun ein jeder auf seine Weise..." Soweit Goethe, den der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker, am Mittwoch bei der Festveranstaltung zum Ende der dreitägigen DFG-Jahresversammlung zitierte.

Zum Thema Online Spezial: Die Debatte um die Gentechnik Die Bonner Forscher Oliver Brüstle und Otmar Wiestler wollten auch einen "Zug" tun: embryonale Stammzellen aus Israel importieren, zu Forschungszwecken. Davon versprechen sie sich "Gewinn", vor allem für Menschen mit krankem Gehirngewebe, das sie mit Hilfe der Stammzellen nachzüchten wollen. Zweimal hat die DFG die Entscheidung bereits verschoben, ob das Vorhaben der Bonner Forscher gefördert werden soll. Jetzt, in Berlin, steht die Entscheidung wieder an. Gerade einmal 200 000 Mark wollen die Bonner haben. Lächerlich eigentlich. Andere Forscher beantragen 22 Millionen Mark, für die Entwicklung eines neuen Kernspintomografen etwa. Es ist ein neues Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, das sich da in den vergangenen Tagen gezeigt hat, vielleicht auch ein neues Verhältnis der Wissenschaftler zur Macht. Die DFG sitzt am Hebel. Sie kann entscheiden, ob sie den Import von embryonalen Stammzellen fördert. Das wäre dann der offizielle Startschuss für die umstrittene Forschung. Die Politik aber braucht noch Zeit. Sie ist in diesen Tagen Bittsteller.

Regierungsmitglieder, Bundestagsabgeordnete, Vertreter der Länder, sie alle haben Winnacker in öffentlichen Reden und freundlichen Briefen gebeten, die Entscheidung zu vertagen. Jetzt liegt die Macht der Entscheidung beim Hauptausschuss der DFG. Die Politik schaut bang auf die Berliner Humboldt-Universität, wo im sonnendurchfluteten Senatssaal im ersten Stock die DFG-Gremien tagen.

Dem höchsten deutschen Wissenschaftsgremium geht es ähnlich wie dem Rest der Gesellschaft. Die Stammzellenfrage spaltet. Am Montagnachmittag im Senat wirbt der Präsident für die Vertagung der Brüstle-Entscheidung. "Das ist erst mal auf großen Widerstand gestoßen", berichtet ein Teilnehmer. Wir sollten uns von der Politik nicht reinreden lassen, kritisieren einzelne. "Die Bewertung von Forschungsanträgen ist am besten bei Experten aufgehoben. Und die sitzen in der DFG, nicht im Bundestag, nicht in der Regierung", schimpft ein Teilnehmer.

Hat die DFG Macht? Im Sinne von Max Weber wohl eher nicht, sagt Professor Manfred G. Schmidt. Schmidt sitzt im Senat der DFG und im Hauptausschuss, ist Politologe aus Heidelberg. Macht habe der Bundestag oder das Forschungsministerium, sagt Schmidt. "Aber wir haben eine Stimme. Und die ist nicht ohne Gewicht." Er lächelt. Gewicht hat vor allem die Stimme des Präsidenten. Winnacker ist der erste Genforscher im DFG-Chefsessel. Von Bundeskanzler Schröder ist bekannt, dass er Winnackers forschungsfreundliche Position in der Gentechnik schätzt, sich von ihm beraten läßt. Es war symptomatisch, dass das erste Treffen des Nationalen Ethikrats Anfang Juni fünf Minuten später begann, weil der Kanzler das Ratsmitglied Winnacker noch kurz zum Vieraugengespräch zur Seite nahm. Jetzt bei der Festveranstaltung der DFG in Berlin sitzt der Kanzler in der ersten Reihe, und Winnacker sagt, dass es bei der Forschung an embryonalen Stammzellenforschung um ein "zutiefst humanes Anliegen" gehe. Es gehe um das Bedürfnis, für eine Reihe von schweren Krankheiten "Heilungsperspektiven ganz neuer Art zu entwickeln".

Dieses Mal ist die DFG noch einmal gnädig gewesen. Aufschub bis zur nächsten Hauptausschusssitzung am 7. Dezember. Bis dahin soll "spätestens" entschieden werden. "Irgendwann ist unsere Geduld am Ende", sagt ein Senatsmitglied. Dann wollen sie endlich Züge fördern, von denen sie sich Gewinn versprechen.

Markus Feldenkirchen

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