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Politik: Genosse Zufall regiert die Republik (Leitartikel)

Das war kein Parteitag, das war eine Therapiesitzung. Atmen für Atemlose, Zuspruch für die Sprachlosen.

Das war kein Parteitag, das war eine Therapiesitzung. Atmen für Atemlose, Zuspruch für die Sprachlosen. Kein Wunder in diesen Zeiten.

Mittlerweile wissen wir, wie die Berliner Republik ist. Nicht gefährlich, wie einige befürchtet hatten, aber anstrengend, nervös, verwirrt. Dieses erste Jahr der neuen Republik hat einen Krieg erlebt, die Selbstpensionierung eines SPD-Vorsitzenden, eine beispiellose Niederlagenserie der neuen Regierung, den Hauptstadtumzug. Schließlich die Demontage des Helmut Kohl, der ausgerechnet seine Union, die geborene Regierungspartei, den Hort der sekundären Tugend, in einen Abgrund zieht, dessen Tiefe noch niemand kennt. Deutschland mag in diesem Jahr tatsächlich keine gute Regierung gehabt haben - eine regierungsfähige Opposition hat das Land zurzeit auch nicht.

Berliner Republik, das bedeutet zudem eine lange nicht dagewesene Deutungskrise. Der hochverdiente deutsche Literaturnobelpreisträger ist politisch eingesperrt in den 70er Jahren, Vordenker wie Ulrich Beck holen oft auch mit den schönsten Metaphern die Wirklichkeit nicht mehr ein. Als letzte Heilsgewissheit des ausgehenden Jahrhunderts bleibt der Neoliberalismus, der Hochgesang eines Sachzwangs, der ohnehin wütet. Diese Lehre wird von vielen Deutschen intuitiv abgelehnt. Auch der Kanzler hatte mit dem Schröder-Blair-Papier versucht, von der suggestiven Kraft dieser Weltsicht zu profitieren. Es hat ihm nicht genützt. Und die Journalisten, die Deuter des Täglichen? Sie wirken seltsam ratlos, befangen in der neuen Berliner Lebens- und Arbeitssituation, unsicher über Ziel und Ethos ihres Berufes - und über die Grundlinien der Politik.

Was also kann die SPD angesichts dieser Lage tun? Nur eines: Sie kann sich beruhigen. Eben das hat sie bei ihrem Parteitag getan. Die Rede des SPD-Vorsitzenden hatte weiter keinen bedeutenden Inhalt, aber viele unvereinbare Inhalte. Im Grunde bestand sie nur aus einem Wort: Ommm. Fernöstliche Meditation in einem Berliner Hotel.

Damit gelang es dem Vorsitzenden, seine Genossen zu beruhigen, ihnen ein bisschen Zuversicht zu geben. Die wochenlang aufgeladene Debatte über Gerechtigkeit verlief ruhig und verebbte in ein wenig Pro und ein wenig Contra zum Thema Vermögensteuer. Die Linke wollte mal drüber geredet haben. Damit ist es gut. Auch die neurotische Strahlkraft, die aus der Vergangenheit kam, nahm spürbar ab, die letzten Reste der Schröder-Scharping-Lafontaine-Phase verblassten auf diesem Parteitag. Das Phantom Lafontaine hat Schröder durch dessen zweifache Erwähnung in seiner Rede gebannt. Nicht zuletzt straften die Delegierten den Ich-kann-es-besser-Gestus des Rudolf Scharping ab.

Nicht der Trend ist ein Genosse, aber der Zufall. Dieser Genosse Zufall ermöglichte es der SPD, das Jahr 1999, das annus horribilis, hinter sich zu lassen. Was vor ihr liegt, weiß die Sozialdemokratie nicht. Schröder, das hat seine Rede auch gezeigt, hat keine Vorstellung davon, wie dieses Land in fünf Jahren aussehen könnte. Darum hatte sein Vortrag bei den Delegierten auch keine nachhaltige Wirkung. Fast eineinhalb Stunden hat der Kanzler geredet - gerade mal zwei Minuten Beifall hat er dafür bekommen.

Auch die Schwäche der SPD-Linken kann nicht nur beruhigen. Denn eine Strömung müsste es doch geben in dieser Partei, die sich um einen neuen Gerechtigkeitsbegriff, um eine neue Gerechtigkeitspolitik kümmert. Doch die Linke denkt immer noch an Umverteilung von oben nach unten. Ach, wie schön waren doch die 70er Jahre. Allerdings gibt es auch in der Mitte der Partei kaum einen, der über mehr nachdenken würde als darüber, wie man die nächsten Wochen übersteht. Franz Müntefering jedenfalls, der neue Generalsekretär, sieht sich offenbar mehr als Wortpolizist denn als Denker. Besser eine Sprachregelung als gar keine Ordnung.

Nicht nur die Lage der SPD, auch der Zustand der Partei hat sich gebessert. Schröder hat gelernt, was ein Vorsitzender ist, das Durcheinanderreden lässt nach. Die Partei sammelt sich. Es wird besser. Aber doch noch nicht so sehr, dass die Bürger das Land dieser Partei allein überlassen würden. Das ist es jedoch bis auf weiteres: Sie finden nun eine Opposition, aber keine Alternative.

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