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Politik: Genossen für die Reform der Reform

In der SPD punktet Beck mit der Forderung nach Korrektur der Agenda 2010

Berlin - Wer hält noch zu Franz Müntefering? Im aufgeladenen Streit der SPD um die längere Zahlung des Arbeitslosengelds I steht der sozialdemokratische Arbeitsminister und Vizekanzler ziemlich alleine da. Bisher haben nur der scheidende SPD-Vizevorsitzende Jens Bullerjahn und die Sprecherin des reformorientierten SPD-Netzwerks, Nina Hauer, den Plänen von Kurt Beck eine Absage erteilt. Der Rest der Partei schweigt – wie der im „Seeheimer Kreis“ zusammengeschlossene rechte SPD-Flügel. Oder er stellt sich hinter das Vorhaben des SPD- Chefs, die Agenda 2010 an diesem Punkt zu korrigieren, wie am Donnerstag Fraktionschef Peter Struck, der dem „Handelsblatt“ sagte, die Finanzentwicklung der Bundesagentur für Arbeit lasse das zu.

So viel Unterstützung war selten: Beck kann sich vor Solidaritätsbekundungen aus den SPD-Landesverbänden derzeit kaum retten. Ein Wunder ist das nicht: An der Basis war die als Teil der Agenda verfügte Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von maximal 32 auf 12 Monate (oder 18 Monate für über 55-Jährige) noch nie beliebt. Denn die Sozialdemokraten in den Kreis- und Ortsverbänden sahen sich mit einer schwer zu beantwortenden Frage konfrontiert: Die Wähler wollten wissen, warum es gerecht sei, dass jemand, der zwei Jahre gearbeitet hat, ebenso lange Geld bekommt, wie einer, der 30 Jahre gearbeitet hat.

Richtig schmerzhaft wurde diese Frage für die Genossen, als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) im Herbst 2006 in seiner Partei die Forderung durchsetzte, das Arbeitslosengeld I gekoppelt an die Zahl der Beitragsjahre bis zu 24 Monate zu zahlen. Nun musste die SPD fürchten, von der CDU links überholt zu werden. Entsprechend harsch fielen die Reaktionen der SPD-Führung auf Rüttgers’ Vorstoß aus. Müntefering sprach in einer umjubelten Rede vor der SPD-Bundestagsfraktion von einer „Sauerei“. Was die CDU da veranstalte, sei „blanke Heuchelei“, keilte der Arbeitsminister. Fest an Münteferings Seite stand damals auch Kurt Beck.

Was der SPD-Chef dem Bundesparteitag nun zur Abstimmung vorschlagen will, kommt den einst so heftig kritisierten Rüttgers-Plänen jedoch ziemlich nahe. Nach dem Modell des DGB, das die SPD in Hamburg übernehmen soll, wird das Arbeitslosengeld I, nach Alterstufen gestaffelt, ebenfalls bis zu 24 Monate gezahlt. Ende 2006 war derselbe Vorschlag der Gewerkschaften von der SPD-Führung noch abgelehnt worden.

Beck ficht das aber nicht an. Er kann sich bei seiner Initiative der Zustimmung einer deutlichen Mehrheit in der SPD sicher sein. Dem Pfälzer dient der Streit – davon sind Parteifreunde jedenfalls überzeugt – auch dazu, seinen Führungsanspruch zu untermauern und Müntefering in die Schranken zu weisen. Und noch ein Ziel verbindet der SPD-Vorsitzende offenbar mit der Auseinandersetzung um das Arbeitslosengeld: Korrekturen an der Schröder’schen Reformagenda sollen für die Partei in Zukunft nicht mehr tabu sein.

Und so lässt Beck keine Gelegenheit verstreichen, um für die „Weiterentwicklung“ des Arbeitslosengeldes I zu werben. Es müsse möglich sein, die als richtig anerkannte Reformagenda fortzuführen, „aber das eine oder andere, was sich als veränderungsnotwendig gezeigt hat, auch zu verändern“, sagte er am Donnerstagmorgen bei einer Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus unter dem Beifall der Zuhörer. Auch stehe es der SPD gut an. eine solche Diskussion in aller Offenheit zu führen.

Am Nachmittag wiederholte der SPD-Chef seine Aussage auf dem Kongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Leipzig. Wieder trug Beck seine Doppelbotschaft vor, wonach sich die SPD zu den Zielen der Agenda 2010 bekenne, man diese Linie aber nicht verlasse, „wenn man erkennt, dass eine Weiterentwicklung und Veränderung des Agenda-Prozesses ansteht“. Dafür werde er kämpfen. Anders als am Morgen in der Berliner Parteizentrale wurde Beck dafür von den Gewerkschaftern aber nicht gefeiert. Etliche Delegierte reagierten mit Buhrufen. Offenbar ging ihnen das Versprechen, Schröders Reformagenda zu ändern, nicht weit genug.

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