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Politik: Genug gegraben

Von Moritz Döbler

Die schwarz verschmierten Gesichter der Kumpel sind hoffentlich bald nur noch Ruhrgebietsfolklore. Deutschland muss Abschied von der Steinkohle nehmen. Einst hat sie zwar das Land vorangebracht; ohne sie wäre die Industrialisierung langsamer verlaufen. Das Wirtschaftswunder wurde mit Steinkohle befeuert. Aber die Ära ist vorbei. Nur gut, dass die Bundesregierung und die Kohleländer endlich die Konsequenz daraus ziehen und die letzte Zeche in gut zehn Jahren schließen wollen. Allein in den vergangenen zehn Jahren sind fast 38 Milliarden Euro unter Tage geflossen. Deutschland kann sich diesen Subventionswahnsinn nicht leisten.

Denn das ist mindestens so verrückt wie das Anlegen von Milchseen und Butterbergen mit Steuergeldern. Wenn, wie derzeit der Fall, die deutsche Steinkohle etwa drei Mal so viel kostet wie importierte, hat sie ihre Existenzberechtigung verloren. Was hätte man mit dem schönen Geld nicht alles erforschen können! Vielleicht wäre das emissionsfreie Braunkohlekraftwerk, das im nächsten Jahr seinen Testbetrieb in der Lausitz aufnimmt, schon eine gängige Technologie. Oder vielleicht wäre das erste Hybrid-Auto ein Volkswagen und kein Toyota gewesen.

Gerade in Zeiten zunehmender Sorge um das Klima kann es nicht richtig sein, auf Steinkohle als Energieträger zu setzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel fragt gerne, wo denn der Strom herkommen soll, wenn die deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Egal, ob man bei der Antwort eher auf erneuerbare Energien oder auf französische Atomkraft kommt: Die Verstromung von Steinkohle ist ökologisch nicht mehr lange vertretbar – und die teure deutsche Variante gehört erst recht nicht zu einem sinnvollen Energiemix.

Darin sind sich Wirtschaft und Politik einig, sogar in einer Person. Werner Müller, Chef des RAG-Konzerns, einst Bundeswirtschaftsminister, gilt als ungewöhnlich kluger Kopf. Ihm scheint nun zu gelingen, was noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten wurde: das Ende der deutschen Steinkohle herbeizuführen, ohne dass gesellschaftliche Gräben aufgerissen werden, ohne dass in Rheinhausen und anderswo Barrikaden brennen. Womöglich zeigt vor allem das, wie gestrig die Kohle ist. Essen, die Kulturhauptstadt!

Müller wird von betriebswirtschaftlichen Erwägungen geleitet. Er will die RAG an die Börse bringen: als zukunftsfähigen Mischkonzern aus Energie, Chemie und Immobilien – ohne die Kohle. Die Einnahmen sollen die verbleibenden Risiken des Bergbaus decken. Das klingt gut – und doch betet man als Steuerzahler, dass die Berechnungen stimmen. Es gibt aber noch einen größeren Albtraum, vor allem in jüngerer Zeit. Was wäre denn, wenn Russland sich nicht als der verlässliche Partner, die lupenreine Demokratie entpuppte, die sich alle wünschen? Wäre die Versorgung mit russischem Gas viel teurer und weniger krisensicher, wünschte man sich die deutsche Steinkohle vielleicht zurück: als die einzige strategische Energiereserve.

Leider lassen sich Zechen nicht heute dichtmachen und in ein paar Jahren wieder auf. Raus aus der Kohle, rein in die Kohle, das geht nicht. Oder, um mit Müller zu sprechen: „Wenn es typisch deutsch läuft – das heißt ein bisschen doof –, dann schließen wir den letzten Schacht genau dann, wenn der Kohlepreis oben ist.“ Deswegen ist es kein bisschen doof, den Ausstieg im Jahr 2012 noch einmal zu prüfen. Mit der Notbremse in Reichweite lebt es sich besser.

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