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Politik: Genug geschlagen

Immer weniger Eltern halten Gewalt für ein Erziehungsmittel - nur noch zehn Prozent verteilen „schallende Ohrfeigen“

Von Ruth Ciesinger

Erziehung ist Privatsache – oder nicht? Darüber gab es vor zwei Jahren eine intensive Debatte, als es um das rot-grüne Gesetzesvorhaben „Zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“ ging. Trotz einiger Widerstände, vor allem bei der Union, passierte es im September 2000 den Bundesrat. Am Mittwoch präsentierten Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und Familienministerin Christine Bergmann (beide SPD) eine Studie, nach der Gewalt gegen Kinder in den Familien zurückgegangen ist. Aus Sicht der Politikerinnen ein Ergebnis des Gesetzes.

Nachdem 1996 noch über 80 Prozent der Eltern Schläge oder zumindest Ohrfeigen für ein akzeptables Erziehungsmittel geholten hatten, ist diese Zahl entsprechend der Untersuchung der Martin-Luther-Universität in Halle auf 53 Prozent zurückgegangen. Und nicht nur in der Theorie, auch in der Praxis setzen die Eltern offensichtlich mehr auf das Gespräch mit dem Sprössling als auf Gewalt. „Schallende Ohrfeigen“ verabreichen nach eigenen Angaben heute nur noch 10 Prozent der Väter und Mütter, 1996 waren es noch 20 Prozent. Dem Kind „kräftig den Po versohlen“ – das tut immer noch ein erstaunliches Viertel der Eltern – vor sechs Jahren war es ein Drittel. Bei den „leichten Ohrfeigen“ ist die Zahl von 72 auf 60 Prozent gesunken. Statt auf Schläge setzen viele Eltern jetzt auf Fernsehverbot und gekürztes Taschengeld.

Bergmann spricht von einem klaren Trend: „Gewalt ist out.“ Angesichts nach wie vor prügelnder Eltern klingt das sehr optimistisch. Katharina Abelmann-Vollmer vom Kinderschutzbund bestätigt jedoch die Entwicklung, zu der ihrer Ansicht nach auch das Gesetz einen Beitrag geleistet habe. Einerseits gebe es eine gewisse „Unsicherheit von Seiten der Eltern“ nicht mehr. Es sei klar geworden: Schläge sind nicht in Ordnung.

Neben dieser symbolischen Wende startete andererseits eine Projektreihe zur Selbsthilfe für Eltern. Und diese sei „sehr stark nachgefragt“ worden. Väter und Mütter seien „willens, etwas für die gewaltfreie Erziehung zu tun“, sagt Abelmann-Vollmer. Viele müssten aber erst lernen, mit ihrem Kind „zu verhandeln und ihm zuzuhören, anstatt sich abzukämpfen“. Nach einer Untersuchung der Fachhochschule Köln geschieht das mit Erfolg. Kinder benoteten ihre Eltern vor und nach dem Besuch der Kurse für gewaltfreie Erziehung. Wer vorher eine „Drei“ bekam, wurde nachher mit einer „Zwei plus“ bewertet. Auch das Ergebnis der Studie Halle zeigt, dass die meisten Eltern ihre Kinder aus Unsicherheit schlagen, und nicht, weil sie es für besonders sinnvoll halten.

Die Kinder bestätigen die Angaben ihrer Eltern. Im Vergleich zu 1992 ist die Gewalt gegen Kinder nach deren eigenen Angaben um rund 30 Prozent gesunken. Und ihr eigenes Rechtsbewusstsein hat sich geändert. Während vor zehn Jahren etwa 90 Prozent „leichte Gewalt“ durchaus akzeptierten, ist das heute weniger als ein Drittel. Etwa 70 Prozent der Jugendlichen geben an, ihre Kinder später selbst ohne Gewalt erziehen zu wollen. Das liegt nach Ansicht von Abelmann-Vollmer aber an einem längeren Prozess. Diskussionen über Rechtsextremismus und Gewalt oder so genannte „Lotsen“ zur Prävention an Schulen hätten in den vergangenen zehn Jahren eine andere Einstellung zur Gewalt auf den Weg gebracht.

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