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Georgien: Saakaschwilis Macht ist brüchig

Russlands Militärpräsenz in Georgien schweißt das Volk zusammen – nur das hält den Präsidenten im Amt.

Eigentlich, meint Georgi Chuchaschwili, der in Tiflis als unabhängiger Politikwissenschaftler arbeitet, müsse Michail Saakaschwili Gott, dem Herrn, für jeden Tag militärischer Präsenz Moskaus im georgischen Kernland danken. Bis zum Abzug der Russen brauche der Staatschef um sein Amt nicht zu bangen. Krieg und Besatzung hätten einfache Menschen und Eliten kurzzeitig auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners zusammengeschweißt. Zumal während der Besatzung das Kriegsrecht gilt: Medien werden scharf zensiert, alternative Informationsquellen – vor allem die Websites russischer Medien – sind geblockt. Sobald die unmittelbare Bedrohung vorbei sei, würden jedoch die alten internen Konflikte wieder mit aller Schärfe aufbrechen.

Ähnlich sehen das offenbar nicht nur Chuchaschwilis Kollegen in Moskau. Offiziell haben die USA und Europa zwar geschlossen Solidarität mit Georgiens durch Wahl legitimierten Präsidenten bekundet. Glaubt man indes hiesigen Beobachtern, sondiert man in Brüssel wie in Washington dennoch bereits Alternativen für Saakaschwili. Dass Russland mit diesem nicht verhandeln will, wie Medwedew und Außenminister Sergej Lawrow mehrfach zu Protokoll gaben, ist dabei zweitrangig. Vielmehr scheint sich auch im Westen allmählich die Erkenntnis durchzusetzen, dass ein demokratisch gewählter Staatschef nicht zwangsläufig auch ein Demokrat ist.

Saakaschwili ist aus Sicht der georgischen Opposition ein beredtes Beispiel dafür. Sein autoritärer Führungsstil und Personalentscheidungen, bei denen nicht Kompetenz, sondern persönliche Loyalität zählen, sorgten kurz nach der „Revolution der Rosen“ im November 2003 dafür, dass Mitkämpfer enttäuscht in die Opposition wechselten. Inzwischen rumort es auch in den Streitkräften und sogar in Saakaschwilis unmittelbarer Umgebung. Aus beider Sicht hat dieser die Niederlage im Konflikt um Südossetien persönlich zu verantworten. Eine Gruppe hochrangiger Militärs will ihn vor dem „Abenteuer“ ausdrücklich gewarnt haben – das letzte Mal unmittelbar vor Beginn der Offensive am Abend des 7. August – und erklärt die katastrophale Fehleinschätzung der Lage durch Saakaschwili mit dessen krankhaft übersteigertem Selbstbewusstsein.

Hochrangige Offiziere und einflussreiche Persönlichkeiten aus Saakaschwilis Entourage sind daher bereit, mit dem konstruktiven Flügel der Opposition ein Zweckbündnis auf Zeit einzugehen, um das Land aus der Krise zu führen – mit einer Regierung der nationalen Einheit. Saakaschwili, der die Gefahr offenbar erkannt hat, soll sich mit ähnlichen Gedanken tragen, von führenden Oppositionspolitikern jedoch bereits eine Abfuhr kassiert haben. Begründung: Er wolle damit nur Zeit gewinnen und währenddessen seine Position erneut festigen.

Russische Medien jonglieren schon mit Namen für die Saakaschwili-Nachfolge. Am häufigsten fällt der Name von Ex-Parlamentschefin Nino Burdschanadse.Die 44-jährige Professorin für Völkerrecht, die ihre Emotionen stets im Griff hat, genießt in Moskau wie im Westen hohes Ansehen, könnte jedoch, wie Politikwissenschaftler Chuchaschwili fürchtet, an der georgischen Macho-Mentalität scheitern. Zu Recht: Seit Königin Tamar Georgien zu Blüte und Wohlstand führte, sind fast 800 Jahre vergangen.

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