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Politik: Gerhard Schröder will die Mitte erobern

93 Prozent der Delegierten stimmen für den SPD-Kanzlerkandidaten / Lafontaine warnt vor zu großer SelbstsicherheitVON KLAUS J.SCHWEHN LEIPZIG.

93 Prozent der Delegierten stimmen für den SPD-Kanzlerkandidaten / Lafontaine warnt vor zu großer SelbstsicherheitVON KLAUS J.SCHWEHN LEIPZIG.Der niedersächsische Ministerpräsident Schröder ist am Freitag auf dem Parteitag in Leipzig mit 93 Prozent der Stimmen zum SPD-Kanzlerkandidaten gewählt worden.Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Beschleunigung des Aufbaus Ost und die "Überwindung des politischen Stillstands" in Deutschland sollen die wichtigsten Vorhaben einer von der SPD geführten Bundesregierung sein.Schröder forderte den Regierungswechsel, den er als einen "Aufstand gegen die Alternativlosigkeit" bezeichnete. In geheimer Abstimmung hatte Schröder 479 Stimmen erhalten.24 Delegierte stimmten gegen ihn, zehn enthielten sich.Schröder, der sein politisches Programm für eine "neue Mitte in der Gesellschaft" in einer anderthalbstündigen Rede in Form einer Regierungserklärung vortrug, blieb damit knapp unter dem Prozentergebnis des Kanzlerkandidaten von 1994, Scharping.Schröder unterstrich, alle Maßnahmen, die eine von der SPD geführte Regierung anpacken werde, müßten unter den Vorbehalt gestellt werden, ob sie vorhandene Arbeit sicherten oder neue Stellen schafften.Er werde ein neues Bündnis für Arbeit initiieren.Nicht zuletzt wolle er den Aufbau Ost zur Chefsache machen.Alle Initiativen hätten allerdings auch unter einem Finanzierungsvorbehalt zu stehen. Entsprechend der Forderung des Wahlprogramms, das nach kurzer Debatte beschlossen wurde, versprach Schröder, Kürzungen im Rentensystem zurückzunehmen und den Kündigungsschutz in kleinen Unternehmen zu korrigieren.In den außenpolitischen Passagen seiner Rede legte er ein Bekenntnis zur NATO ab und versprach, den "Euro ehrlich und sicher" zu machen. Der Parteitag feierte neben Schröder vor allem Parteichef Oskar Lafontaine, der nach den Worten von Altkanzler Helmut Schmidt dafür gesorgt hat, daß die Partei in den beiden vergangenen Jahren "zu politischer Vernunft und Selbstdisziplin" habe zurückfinden können.Jetzt sei die Wahrscheinlichkeit groß, daß "die Sozis", wie er sich ausdrückte, im Bund wieder die Regierungsverantwortung übernehmen könnten.Angesichts undurchsichtiger öffentlicher Finanzen würden vier Jahre SPD-Regierung für die Erneuerung Deutschlands jedoch nicht ausreichen.Schmidt unterstützte Schröder nachdrücklich in dem Versprechen, den "Aufbau Ost" voranzubringen.Zugleich warnte er vor neuen Abgrenzungen und sagte in der ihm eigenen Deutlichkeit: "Jede westdeutsche Beckmesserei gegenüber den Landsleuten im Osten ist nur zum Kotzen".Der Parteitag verabschiedete Ergänzungen zum Grundsatzprogramm aus dem Jahr 1990, in dem die Rolle der ostdeutschen Sozialdemokraten im deutschen Einigungsprozeß gewürdigt wird. Lafontaine warnte seine Partei nachdrücklich vor zu großer Euphorie vor dem Wahltag: "Wir dürfen uns nicht in Selbstsicherheit wiegen".Zugleich mahnte er, von vorzeitigen Personaldebatten abzulassen: "Erst muß der Bär erlegt werden, bevor das Fell verteilt wird".Die Partei habe sich stark gezeigt; deshalb brauche sie auch keine Koalitionsdebatten. In Bonn nannte CDU-Generalsekretär Hintze den SPD-Parteitag ein "verkitschtes Spektakel".Schröder versuche, Konzepte zu verkaufen, die er und die SPD bislang blockiert hätten."Schröder ist das politisch unmoralischste Angebot, das die SPD jemals in der Kandidatenfrage gemacht hat", sagte Hintze.Unionsfraktionschef Schäuble meinte, die SPD verweigere eine inhaltliche Debatte.Der FDP-Vorsitzende Gerhardt sagte, Schröder benenne Ziele, bleibe aber die Antwort über den Weg dorthin schuldig.Der Vorstandssprecher der Grünen, Trittin, warf Schröder vor, über alles zu reden und nichts zu sagen.Die SPD habe nun einen Kandidaten, aber kein Konzept zur Lösung der sozialen Probleme."Sie ist auf dem besten Weg, sich zum Kanzlerwahlverein zu entwickeln", sagte Trittin.

KLAUS J.SCHWEHN

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