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Scientology Hamburg

© dpa

Geringe Nachfrage: Ein Spiegel der Verhältnisse

In den USA gehört die „Lebenswende“ à la Scientology zum Erfahrungsalltag – in Deutschland tut sich die Organisation aber schwer. Bislang konnte sie nur wenige neue Mitglieder werben.

Berlin - Alarmrufe hallen durch das Sommerloch. Pünktlich zur Ferienmitte stellte die Hamburger Sektenjägerin Ursula Caberta ihr neues Schwarzbuch über Scientology vor. Und der Innensenator der Hansestadt sekundierte ihr mit der Forderung nach einem Verbot der Hubbard-Jünger – untermalt mit dem drohenden Hinweis, Scientology werde schließlich schon seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Dann muss an der Sache ja etwas dran sein.

Doch was? Die Erkenntnisse der Verfassungsschützer jedenfalls kommen reichlich farblos daher. Nordrhein-Westfalen verliert seit Jahren schon kein Wort mehr über Scientology, weil es zu deren verfassungsfeindlichem Tun nichts mehr zu sagen gibt. Berlin hatte die Observierung 2003 aufgegeben, fängt jetzt wieder an. Zum Glück, so drängt sich bei der Lektüre der Jahresberichte der Eindruck auf, hat sich Scientology jetzt an der Otto-Suhr-Allee ein protziges Hauptquartier hingesetzt – sonst wäre den Verfassungsschützern bald ganz der Stoff ausgegangen. Denn auch im Blick auf die Hubbard-Organisation haben sich die Perspektiven durch den 11. September 2001 erheblich verschoben. Vor zehn Jahren noch Gegenstand monatelanger Debatten, war es angesichts der von radikalen Muslimen ausgehenden neuen Gefahren zuletzt recht still geworden um den kalifornischen Psychokonzern. „Die Werbeaktionen der Scientology blieben – wie in den vergangenen Jahren – meist erfolglos. Der Organisation gelang es (…) weiterhin nur in sehr geringem Umfang, neue Mitglieder zu gewinnen und diese langfristig an sich zu binden“, bilanziert der jüngste Verfassungsbericht des Bundesinnenministeriums.

Produkt der frommsten Industrienation der Welt

Dieses nüchterne Fazit kommt nicht von ungefähr – zieht man die religiös-kulturellen Unterschiede zwischen Europa und den USA mit in Betracht. Und da ist Scientology ein spirituell-weltanschauliches Projekt, was zunächst einmal passgenau für die Verhältnisse in den USA konzipiert ist. Im Zentrum seiner Ideologie steht die radikale Lebenswende: die magische Verwandlung des defizitären Menschen in den vollkommenen, neuen Menschen – mittels einer Kaskade von kostspieligen, spirituellen Kursen – im internen Jargon auch „Brücke der Freiheit“ genannt. Dieses Wendemuster ist in Amerika auch außerhalb von Scientology weit verbreitet. Die USA sind nicht nur die frommste Industrienation der Welt. Ihre religiöse Mentalität ist auch, anders als in Europa, geprägt von einer geistbewegten evangelikalen Spiritualität. Für Millionen US-Bürger gehört darum die „conversion experience“ – also die innere Lebensumkehr – ganz selbstverständlich mit zum religiösen Erfahrungsalltag. 50 Millionen Gläubige, die sich den evangelikalen Milieus zugehörig fühlen, erleben Sonntag für Sonntag, wie einige unter ihnen an die Mikrofone treten und in bewegenden Worten erzählen, wie sie Jesus entdeckt haben und damit in ihrem Leben alles anders geworden ist. Das alte Leben und seine Probleme haben sie abgestreift, ihre „spirituelle Wiedergeburt“ markiert den Start in eine neue Biografie – befreit, erleuchtet, das eigene Heil fest vor Augen. Präsident George W. Bush hat mit der Entdeckung von Jesus sein Alkoholproblem in den Griff bekommen, andere haben ihre Ehe gerettet, wurden von einer Krankheit geheilt oder sind zu Geld gekommen. Menschen erleben Religiosität als Möglichkeit, sich ganz neu zu entwerfen, die verzwickten Knoten ihres bisherigen Lebenslaufes mit einem Hieb zu durchschlagen und überzuwechseln in ein vermeintlich neues authentisches Dasein.

„Wir dagegen empfänden es als grauenhaft, wenn sich jeden Sonntag jemand vorne hinstellt und einen Seelenstriptease macht“, erläutert Rolf Schieder, Professor für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität. Die Vorstellung einer spirituellen Wiedergeburt ist für den evangelischen Theologen auch ein Spiegel der sozialen Verhältnisse in Amerika. „Durch die geringe soziale Absicherung kann man hoch steigen, aber auch tief fallen“, sagt er. Darum sei das Bewusstsein für die Dramatik der eigenen Biografie viel stärker ausgeprägt als in Europa, die sozialen Brüche und Neuanfänge oft viel krasser.

In Deutschland dagegen seien die Lebensläufe in der Regel kontinuierlicher. Entsprechend deuten die Menschen ihre religiösen oder spirituellen Biografien eher evolutiv. Vielleicht taucht eines Tages am Horizont des eigenen Lebens ein religiöses Erlebnis auf. Man beginnt, sich damit zu beschäftigen, man nähert sich an und lagert das neu Entdeckte als Bereicherung in das bisherige Leben ein. Zudem werde in Deutschland Religion, aber eben auch Religionslosigkeit eher vererbt, erläutert Schieder. So hätten nach der Wende viele erwartet, dass Sektenmissionare aus den USA nun das religiöse Vakuum in Ostdeutschland rasch füllen würden. „Keine der Gruppen hat sich wirklich erfolgreich etablieren können“ – ein Fazit, das im Blick auf die Scientologen auch der Verfassungsschutz bestätigt: „Viele der neu gewonnenen Mitglieder“, heißt es in dem Jahresbericht 2006, „verlassen die Scientology bereits nach kurzer Zeit wieder oder verhalten sich inaktiv.“

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