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Kreisch! Heidi Klum, Mehrfachmutter mit Supermaßen und seit zehn Jahren Moderatorin ihrer Fernseh-Modelsuche.

© dpa

Germany's Next Topmodel und die Macht der Medien: Warum die TV-Show nicht für den Magerwahn verantwortlich ist

Auf Heidi Klum zu schimpfen, hat etwas Entlastendes - richtig ist es nicht. Ein Kommentar

Es gibt Abende, da kann, wer fernsieht, durch unzählige TV-Kanäle zappen und in jedem begegnet ihm irgendeine Form von Kriminalität: Menschen werden ermordet, überfallen, zusammengeschlagen, bedroht, betrogen, bestohlen, vergiftet, entführt, misshandelt, Sadisten und Psychopathen treiben ihr Unwesen, Kleinganoven verstricken sich, Blut strömt, Messer stecken in Leibern, Gehirne kleben an Wänden, Polizeisirenen heulen, Reifen quietschen, Kommissare ermitteln, Täter entschlüpfen – die Welt ist ein bösartiger Ort und der Menschheit nichts zu grausam. Und solche Abende sind keinesfalls die Ausnahme.

Dass das aber je als Erklärung oder zumindest Hintergrundgeräusch für polizeiliche Realstatistiken herangezogen worden wäre, ist nicht bekannt. Die Deutschen schauten eben gerne Krimis, heißt es stattdessen lapidar.

Anders verhält es sich mit der Lust am Schuldigerklären und Verantwortlichmachen bei anderen Sendungen. Allen voran die nunmehr zum zehnten Mal zu Ende gehende Topmodel-Suche von Heidi Klum. Wenn Jahr um Jahr ein paar Donnerstagabende lang anfangs sehr viele und dann immer weniger junge, hübsche, sehr große und sehr schlanke Mädchen darum ringen, die „Eine“ zu sein, die das letzte Bild bekommt, dann ist das gefährlich und führt zu Magerwahn, Bulimie oder sonstigen schrecklichen Krankheiten, die Menschen sich aus Seelenpein selber zufügen. So jedenfalls lautete kürzlich das Ergebnis einer Studie des dem Bayerischen Rundfunk unterstehenden Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen, kurz IZI, die große Beachtung fand.

7700 diagnostizierte Fälle von Magersucht - aber jeder fünfte Jugendliche ist zu dick

Auf die Idee zu sagen, die Deutschen schauten eben gerne hübschen Mädchen zu, die flotte Kleider präsentieren und sich danach anmeckern lassen, kam im Zusammenhang mit der Modelshow niemand. Die Macht der Medien und ihr Einfluss auf die Individuen ist also im einen Fall – Krimi – kein Thema, im anderen ein riesiges Problem. Wie kann das sein?

Laut dem Statistikportal Statista ist die „Anzahl der in deutschen Krankenhäusern diagnostizierten Fälle von Anorexie in den Jahren 2000 bis 2013“ von 5300 auf 7700 gestiegen, die diagnostizierten Fälle von Bulimie sind von 2700 auf 2500 gesunken. Ein Grund zur Panik? Im Vergleich: Bereits 2006 galten nach einer Kinder- und Jugendgesundheitsstudie 17 Prozent der 14- bis 17-Jährigen in Deutschland als übergewichtig. Inzwischen ist von 20 Prozent die Rede. Kein Grund zur Panik?

Aber darüber, dass annähernd an jeder Ecke in diesem Land Reklame für Burger, Eistees, Eiscreme, Schokolade, Chips, Bier oder sonstige Dickmacher gemacht wird und zwar selbstverständlich mit Bildern von jungen, hübschen, schlanken Menschen – keine Debatte, keine Klage, kein Wort. Das wird gedruckt oder plakatiert oder gesendet, und zwar auch vom Bayerischen Rundfunk.

Überall geht es dauernd um die Traumfigur, und keiner regt sich auf

In der IZI-Studie stand – neben den Antworten auf Fragen zu Zusammenhängen zwischen Fernsehgewohnheit und Magersucht bei 241 Betroffenen – auch Allgemeines zum Thema Schönheitsvorstellungen. Unter anderem, dass über die Jahrzehnte Foto- und Laufstegmodels allgemein immer dünner geworden seien: „Waren vor 30 Jahren Fotomodels nur circa acht Prozent dünner als die Durchschnittsfrau, sind sie mittlerweile um rund 23 Prozent schmaler“, heißt es da und weiter: „Nur schätzungsweise vier Prozent aller Frauen wären aufgrund ihrer körperlichen Möglichkeiten überhaupt in der Lage, dem aktuellen Schlankheitsideal zu entsprechen.“ Vier Prozent! Und doch hat die Gesellschaft sich auf solche Ideale verständigt und verbreitet sie Tag um Tag um Tag immer weiter. In den Kioskauslagen räkeln sich auf Hochglanzformaten schlanke Grazien und wunderschöne Schauspielerinnen, daneben liegen reihenweise die weniger schrillen Frauenhefte, die jede neue Ausgabe mit einer neuen Diät-Idee und tollen Wegen zur Traumfigur aufmachen. Das ist total akzeptiert – und gehört aber mit zu dem ungesunden Grund, auf dem sich krankhafte Essstörungen entwickeln können.

Damit das wirklich passiert, ist mehr nötig. So wie einer vom Krimi-Schauen nicht zum Täter wird, wird auch keiner vom Modelshowschauen zum Magersüchtigen. Aber es hatte natürlich etwas Entlastendes, auf Heidi Klum zu schimpfen. Da hatte man die Schuldige gefunden, und ihre Sendung zu boykottieren, die ohnehin nur ein paar Wochen im Programm ist, fällt leicht. Ab dem nächsten Überfall auf den „Tatort“ zu verzichten, fiele manchem schon schwerer.

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