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Politik: Geschichte wird gemacht

SPD UND DGB

Von Tissy Bruns

Die SPD ist keine Regierungspartei. Jedenfalls nicht vor dem Hintergrund ihrer 140jährigen Geschichte, die sie in diesem Monat feiern wird. Auf eine lange Geschichte blicken auch die Gewerkschaften zurück – und der Sozialstaat, über den sich der DGB bei den diesjährigen Mai-Kundgebungen mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler heftig gestritten hat. Angekündigt hat sich unsere soziale Ordnung schon 1881, in der Kaiserlichen Botschaft. Sie musste verkündet werden, weil die oppositionelle SPD und die Arbeiterbewegung eine Macht im vordemokratischen Deutschland geworden waren.

Das muss man wissen, um in den gewerkschaftlichen Mai-Kundgebungen noch die lange Geschichte zu spüren, die in ihnen steckt. Denn sie spricht nicht mehr aus den Reden, aus Fahnen, Trillerpfeifen und Forderungen. Am allerwenigsten spricht sie aus Gewerkschaftsführern, die aktuelle politische Diskussionen über den Sozialstaat in die Nähe von Weimar und 1933 rücken. Der Vergleich des designierten Chefs der IG Metall, Jürgen Peters, ist dumm und unverschämt; da kostet es fast Mühe, die gewerkschaftliche Kritik an der Bundesregierung nicht einfach als ebenso dumm abzutun.

Trotz solcher Vergleiche geht es aber um ernsthafte Fragen, wenn DGB und SPD so scharf miteinander ins Gericht gehen. Gerhard Schröder hat nicht drum herumgeredet: Er bleibt bei den Vorhaben der Agenda 2010, soziale Leistungen zu stutzen. DGB-Chef Michael Sommer hat mit wirksamer Rhetorik zurückgeschlagen: Warum zahlen denn nur wir? Das ist die Gegenfrage der organisierten Arbeitnehmerschaft, die nicht als bloße Verweigerung besitzstandsbewusster DGB-Funktionäre abgetan werden darf. Sie muss Schröder interessieren, weil sie in seine Schwachstelle zielt. Es ist eben nicht nur die engste Anhängerschaft der SPD, die der Bundesregierung nicht abnimmt, dass ihr Reformpaket ein sozialstaatliches Ziel hat. Viele Gewerkschafter sehen – ganz im Geiste Oskar Lafontaines – die SPD vom neoliberalen Ungeist befallen, wenn sie das Krankentagegeld privatisieren will oder die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes kürzt. Weniger ideologie-geschulten Zeitgenossen leuchtet der Sachzwang ein: Leere Staatskassen und schwache Konjunktur, die zum Sparen zwingen. Die engen SPD-Anhänger fragen, ob soziale Einschränkungen überhaupt sein müssen, weil in ihrer Denktradition ein Fluchtweg offen ist: Wachstum durch staatliche Konjunkturmaßnahmen. Viele andere, parteiungebundene „normale“ Bürger vollziehen nach, dass dieser Weg versperrt ist, weil wir sonst auf Kosten der Zukunft leben. Gemeinsam ist den skeptischen SPD-Anhängern und den zähneknirschend veränderungsbereiten Bürgern aber die Frage danach, ob nicht – wie immer – die Kleinen zahlen, während die Großen davonkommen. Sommers Anklagen gegen ausbildungsunwillige Unternehmen, Manager mit Spitzengehältern, Ärzte und Pharmakonzerne, die sich aus den Sozialkassen bedienen, haben deshalb einen Widerhall weit über das Gewerkschaftslager hinaus.

Die SPD steht vor einer Verantwortung, für die ihre Geschichte kein positives Beispiel kennt. Ihre Bedeutung für den Wandel des frühen, rohen Kapitalismus zum gezügelten Sozialstaat ist gewaltig. Sie hat - als Opposition - den eisernen Kanzler Bismarck bis zum ersten Modell einer solidarischen Sozialversicherung getrieben. Sie hat – als Opposition – Pate gestanden, als der Christdemokrat Ludwig Erhard die Bundesrepublik zur sozialen Marktwirtschaft entwickelt hat.

Die Geschichte hat einen feinen Sinn für Ironie. Ausgerechnet jetzt, wo es darum geht, die Segnungen dieser Entwicklung wieder einzudämmen, hat die SPD die Regierungsverantwortung. Und muss beweisen, ob sie gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur von außen antreiben, sondern als Regierungspartei gestalten kann. Schröder hat seinen Anhängern gestern nicht nach dem Munde geredet. Insofern ist der Streit zwischen DGB und SPD ermutigend. Denn er ist ein Schritt zur Wahrheit. Der Staat kann nur sozial bleiben, wenn er seinen Bürgern nicht abnimmt, was sie selber leisten können. Wer aber bezieht soziale Leistungen? Die Bundesregierung wird es ausgesprechen müssen: Das sind nicht die Reichen.

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