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Auswärtige Amt: Späte Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit

Lange Zeit wurde im Auswärtigen Amt der Mythos gepflegt, die deutsche Diplomatie sei nicht in die Nazi-Diktatur verstrickt gewesen. Eine neue Studie belegt das Gegenteil. Warum wird das so spät aufgearbeitet?

Geschichte schreiben die Mächtigen, eine Historikerwahrheit, die auch auf Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) zutrifft. Diese Woche legt er den von ihm beauftragten Untersuchungsbericht zur jüngeren Vergangenheit des Auswärtigen Amts (AA) vor. Der bescheinigt dem Amt nicht nur eine fragwürdige Kontinuität im Umgang mit aus der NS-Zeit belasteten Diplomaten, er weist ihm zugleich eine Schlüsselfunktion in Hitlers Judenmord im „Dritten Reich“ zu. Fischer darf sich feiern. Auch wenn das Werk bereits von manchen als unausgewogen kritisiert wird, setzt es doch einen Meilenstein in der NS-Aufarbeitung staatlicher Administration. Für den ehemaligen Häuserkämpfer und Turnschuhträger auch ein Sieg im Clinch mit den traditionell elitär-konservativen AA-Beamten, nicht selten aus adeliger Oberschicht. „Das ist der Nachruf, den die Herren verdienen“, freut er sich.

Den Stein ins Rollen aber brachte, wie so oft in der Geschichte, kein Mächtiger, sondern eine „kleine“ Mitarbeiterin des AA mit ohnmächtiger Wut. Marga Henseler, Dolmetscherin, zeitweise von der Gestapo inhaftiert, die in der Hauspostille „InternAA“ einen Nachruf auf den Diplomaten Franz Nüßlein lesen musste, der seine Rolle in der NS-Zeit und danach auslässt. Sie sei erschüttert, schrieb Henseler im Mai 2003 dem Minister, der Verstorbene, der in der Tschechoslowakei en masse Gnadengesuche zum Tode Verurteilter ablehnte, sei ein gnadenloser Jurist gewesen. Tatsächlich war man wohl, behördentypisch, nach dem Wie-üblich-Muster verfahren. Nüßlein bekam einen Standardnachruf, formuliert aus dem Fundus seiner Personalakte. Ins Hausarchiv, das 25 Regalkilometer Akten hütet, stieg man dafür scheinbar nicht. So erhielt Marga Henseler auch eine Standardantwort: Alles formal korrekt.

Henseler war empört und schrieb an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), doch auch dieser Brief landete wieder im AA, wieder folgte eine Standardantwort. Eine biografische Würdigung sei nicht vorgesehen, die jahrelange Haft wegen Mitwirkens an Unrechtsurteilen in besetzten Gebieten dürfe man knapp als „Internierung“ bezeichnen. Doch dabei blieb es nicht. Henselers Brief war mittlerweile bei Joschka Fischer gelandet; ob es echte Anteilnahme war oder die Erfahrung eines Politprofis, der den Skandal in der Angelegenheit witterte – ein Rundbrief an die AA-Mitarbeiter stellte jedenfalls klar, dass der Nachruf in dieser Form nicht hätte erscheinen dürfen, das Amt müsse „noch wachsamer und sensibler“ in dieser Frage werden. Danach war Ruhe an der Nachruffront, bis eine Schar „Mumien“, wie frühere AA-Verdiente genannt werden, 2005 mit einer eigenen Todesanzeige für das früherer NSDAP- und SS-Mitglied Franz Krapf gegen die neue Linie opponierte. Die „Kollegen und Mitarbeiter“, die Krapf ein ehrendes Andenken bewahren wollen, hatten Namen zu verlieren: Beispielsweise Andreas Meyer-Landrut, Staatssekretär a. D., Leiter des Bundespräsidialamtes unter Richard von Weizsäcker und Großvater von Schlagersängerin Lena. Ein Affront, so wurde es an der AA-Spitze empfunden. Der öffentlich geführte Streit mündete im Auftrag für die Historikerkommission.

Fischer, so viel wird aus dem Vorgang deutlich, war nicht in das AA gekommen, um mit der braunen Vergangenheit aufzuräumen. Eher im Gegenteil, auch der Ex-Sponti sah sich politisch den Hauskontinuitäten verpflichtet. Die „Mumien“ und ihre noch tätigen Amtsgenossen hatten sich gleichwohl zuvor schon mit ihm angelegt, im Streit um Fischers 68er-Vergangenheit 2001 und seinen Mitarbeiter Joscha Schmierer, der vor Jahrzehnten eine Grußbotschaft an den kambodschanischen Diktator Pol Pot adressiert hatte. Längst verjährt, fand Fischer und schrieb an Ex-Botschafter Erwin Wickert, eine besonders aufmüpfige „Mumie“: „Ich bin sicher, dass das Recht, politische Auffassungen zu ändern, auch grundsätzlich zu ändern, gerade auch in Ihrer Generation vielfach in Anspruch genommen wurde.“

Tatsächlich waren die Verstrickungen von hohen Beamten und ihre späteren Wendungen nichts Ungewöhnliches in der Adenauer-Ära und danach. Erstaunlich war nur, wie lange der Schweige- und Beschönigungsbund im Außenamt hielt. Es zeigt, wo der Nachteil von Leuten liegen kann, die sich für etwas Besseres halten: Für sie ist unvorstellbar, schlecht gewesen zu sein.

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