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Bücherverbrennung: Verbrannt, vergessen, verfemt

Die Werke von mehr als 300 Autoren landeten 1933 auf dem Scheiterhaufen – für viele das Ende ihrer litarischen Biografie. Die Täter waren jung, und nicht alle kamen aus den Reihen der Nazis.

Ja, ich habe sie brennen sehen.“ Elfriede Brüning, inzwischen 97, gehört zu den letzten lebenden Augenzeugen der Bücherverbrennung vor 75 Jahren in Berlin. „Aber es war nicht die Begeisterung, die mich zum Opernplatz geführt hat.“ Das unterschied sie von der großen Masse der Schaulustigen, die sich dort drängten.

Als am 10. Mai 1933 auf dem heutigen Bebelplatz die Bücher von Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky verbrannt wurden, um nur drei der über 300 verfemten Autoren zu nennen, war Elfriede Brüning gerade 22 Jahre alt. Sie schlug sich als Sekretärin bei einem Filmjournal durch. Dabei wollte sie doch Schriftstellerin werden. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte sie sich dafür allerdings kaum aussuchen können. Denn vor ihren Augen ging gerade die Literatur in Flammen auf, die ihr am Herzen lag. Elfriede Brüning war als Kommunistin Mitglied im „Bund Proletarisch Revolutionärer Schriftsteller“. Und sie konnte froh sein, dass der Einzige, der sie an diesem Abend erkannte, ein Genosse war, mit dem sie sich im Angesicht des Scheiterhaufens zum Widerstand verabredete.

Nur einen Steinwurf von ihr entfernt stand ein junger Student in SA-Uniform: Herbert Guthjahr, Berlin-Brandenburgischer Anführer der „Deutschen Studentenschaft“. Mit Elfriede Brüning hatte er nur gemeinsam, dass beide 1910 in Berlin geboren wurden. Guthjahr studierte seit 1930 an der Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität (heute Humboldt-Universität) Jura. Ein Jahr später trat er der NSDAP und der SA bei, avancierte mit 22 Jahren als Vertreter des NS-Studentenbundes zum Vorsitzenden der Studentenschaft an der Berliner Universität.

Gegen 23 Uhr erfolgte das Signal für die Liveübertragung der Bücherverbrennung im Rundfunk, Guthjahr schrie in die Mikrofone: „Ich übergebe alles Undeutsche dem Feuer.“ Dann rief er den ersten von neun Feuersprüchen aus: „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung. Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Marx und Kautsky.“

An 22 deutschen Hochschulorten wurden an diesem 10. Mai 1933 Scheiterhaufen entzündet. Seit März hatte es einzelne Bücherverbrennungen gegeben, dies aber war der Höhepunkt der reichsweiten „Aktion wider den undeutschen Geist“.

Entgegen der lange verbreiteten These, Joseph Goebbels sei der Urheber der Bücherverbrennung gewesen, sind sich die Historiker inzwischen einig, dass die „Deutsche Studentenschaft“ die Gesamtaktion gleichsam im Alleingang durchgeführt hatte. Diese These hat bis heute Gültigkeit, wenngleich sie in ihrer Absolutheit korrigiert werden muss. Von Anfang an wurde auf die Mithilfe staatlicher Institutionen und vor allem der NS-Parteiorganisationen gesetzt. Und die kam auch: von staatlichen Institutionen und NS-Organisationen. Sicher ist, dass die Bücherverbrennung sehr junge Initiatoren hatte.

Herbert Guthjahr leitete die Aktion in Berlin. Deutschlandweit führte die Reichsstudentenführung Regie, die ihren Sitz ebenfalls in Berlin hatte. Verantwortlich dort war das eigens eingerichtete „Hauptamt für Presse und Propaganda“ mit seinem Chef Hans Karl Leistritz. Leistritz wurde am 10. Mai 1909 in Tannhausen/Schlesien geboren. Ob er sich die Bücherverbrennungen zu seinem 24. Geburtstag schenkte, bleibt sein Geheimnis.

Leistritz war nicht auf dem Ticket des NS-Studentenbundes auf seinen Posten gelangt, sondern als Vertreter des „Akademischen Turnbundes“. Erstaunlich und neu ist daran die Erkenntnis, dass mit Leistritz kein hauptamtlicher Nazi, sondern ein Korporierter, genauer: ein Turnstudent, die Bücherverbrennungen zentral leitete. In traditioneller Hinsicht war Leistritz’ Rolle jedoch konsequent: Hatten die Korporationsstudenten doch bereits 1817 auf dem Wartburgfest auf Betreiben des „Turnvaters“ Jahn eine Bücherverbrennung veranstaltet.

Leistritz wollte auf dem Opernplatz Verse von Homer verlesen lassen. Guthjahr hielt dies für Firlefanz. Behindert wurde die „Aktion“ durch solche Machtkämpfe zwischen den Studentenführern jedoch nicht. Am 13. April 1933 lief sie an: An allen Hochschulorten des Reiches wurde das Plakat „Wider den undeutschen Geist“ aufgehängt. Darauf in roten Lettern die Positionen und Ziele. „Sprache und Schrifttum wurzeln im Volke“ lautete die erste der insgesamt zwölf Thesen. Durch die vierte These: „Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude“ wurde das antisemitische Leitmotiv herausgestellt. Mit der zwölften wurde das wichtigste Ziel neben der „Säuberung der Bibliotheken“, die Vertreibung der deutschjüdischen und NSkritischen Intelligenz an den Hochschulen benannt.

Am 19. April rief die organisierte Studentenschaft dazu auf, Dozenten, „die Juden sind oder kommunistischen Organisationen bzw. dem Reichsbanner u. ä. angehört haben“, zu boykottieren. An den Hochschulen in Königsberg, Rostock, Münster und Dresden wurden zwei Meter hohe „Schandpfähle“ errichtet, an die man die Namen betroffener Professoren mit Nägeln anschlug. Parallel verfügte der preußische Kultusminister Bernhard Rust die Entlassung zahlreicher Professoren. Naziführung und der Terror der Studenten ergänzten sich so, trieben die Gleichschaltung der Hochschulen voran.

Anfang Mai 1933 setzte die Sammelaktion der zur Verbrennung bestimmten Bücher ein. Welche Titel aber sollten betroffen sein? Mit dieser Frage waren die studentischen Akteure überfordert, sie holten sich sachverständigen Rat bei einem ihrer Bündnispartner. Aus den Reihen des „Verbandes Deutscher Volksbibliothekare“ war bereits Anfang April 1933 ein „Ausschuss zur Neuordnung der Berliner Stadt- und Volksbüchereien“ gebildet worden. Erstellt hatte der zunächst ein Papier mit dem Titel „Grundsätzliches zur Anfertigung von Schwarzen Listen“.

Diese Listen entsprachen nicht nur den stereotypen literarischen Feindbildern der Nazis (siehe Kasten links). Auf ihnen finden sich auch Publikumslieblinge, bei denen man es noch nicht wagte, ihr Gesamtwerk zu verbieten. So hieß es im Falle Erich Kästners ausdrücklich „alles außer Emil“, Waldemar Bonsel wurde wegen seiner „Menschenwege. Aus den Notizen eines Vagabunden“ verfemt, seine „Biene Maja“ dagegen ausgenommen.

Breiten Raum nahm die Sachliteratur ein, ein Genre, das in der Gedenkkultur nach 1945 kaum mehr beachtet wurde. Zuletzt hat Volker Weidermann in seinem gerade erschienenen „Buch der verbrannten Bücher“ ausschließlich die Belletristik aus der schwarzen Liste „Schöne Literatur“ herangezogen. Die Listen „Geschichte“, „Politik und Staatswissenschaften“, „Literaturgeschichte“, „Religion, Philosophie, Pädagogik“ und „Jugendliteratur“ erwähnt er mit keinem Wort.

Aber auf den Scheiterhaufen endete eben auch die literarische Biografie vieler Wissenschaftler. Etliche Werke wurden nie wieder aufgelegt. Wer kennt heute noch die Schriften des Vaters der Weimarer Verfassung Hugo Preuß? Wer beachtet die Arbeiten der Ökonomen Rudolf Hilferding oder Franz Oppenheimer? Wer weiß, dass auch das Buch des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss „Hitlers Weg“ in die Flammen geworfen wurde? Die wissenschaftliche Exzellenz, die Deutschland vor 1933 trotz leerer Staatskassen so viele Nobelpreise eingebracht hatte, ist heute fast gänzlich vergessen. Dabei fand die eigentliche geistige Enthauptung Deutschlands während der „Aktion wider den undeutschen Geist“ in den Universitäten statt. Bis heute haben sie an ihren Weltrang von vor 1933 nicht wieder anknüpfen können.

Liest man jenseits der schwarzen Listen die Zeitungsberichte von den insgesamt 94 Bücherverbrennungen, die 1933 deutschlandweit stattfanden, so findet sich Überraschendes. In der Heine-Stadt Düsseldorf warf die Hitlerjugend bereits am 11. April 1933 dessen Gedichtband „Romanzero“ ins Feuer. In Berlin kokelten tagelang auf den Schulhöfen die Scheiterhaufen, dabei traf es auch Boccaccios „Decamerone“. Und in Offenbach am Main verbrannte am 17. Juni 1933 der „Kampfbund für deutsche Kultur“ die „Relativitätstheorie“ von Albert Einstein.

Weder Heine noch Boccaccio oder Albert Einstein standen auf den Listen. Diese waren für die studentischen Stoßtrupps also nur eine grobe Richtschnur, als sie deutschlandweit Buchhandlungen und Leihbüchereien heimsuchten.

Elfriede Brünings Eltern betrieben eine Leihbücherei: „Unser Laden lag im Wedding. Viele Arbeiter gingen bei uns ein und aus.“ Ihre Eltern kauften also Arbeiterliteratur wie Grünbergs „Brennende Ruhr“, „Sturm auf Essen“ von Hans Marchwitza oder „Barrikaden im Wedding“ von Klaus Neukranz. Autoren, die den Nazis so verhasst waren, dass sich niemand die Mühe machte, sie auf die Listen zu setzen. Ihre Bücher wurden in Stadtbibliotheken sowieso nicht geführt. Schließen mussten die Brünings ihren Laden trotzdem.

Es regnete in Strömen, als sich am 10. Mai 1933 gegen 21 Uhr in Berlin schließlich der Fackelzug zur Bücherverbrennung formierte. Studenten in SA- und SS-Uniformen sammelten sich zunächst auf dem Hegelplatz, von wo aus sie zum Studentenhaus in der Oranienburger Straße 18 zogen. Drei Möbellastwagen, mit Hakenkreuzfahnen und Transparenten dekoriert, wurden mit Büchern beladen. Mehrere tausend Menschen versammelten sich vor dem Studentenhaus, Pechfackeln wurden ausgeteilt.

Um 22 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Eine Blaskapelle spielte, Studenten der Berliner „Hochschule für Leibesübungen“ traten in Turnerkleidung an. Wie eine Trophäe trugen sie aufgepflanzt auf einem Stock die Büste von Magnus Hirschfeld vor sich her, die sie bei der Plünderung von dessen „Institut für Sexualwissenschaft“ vier Tage zuvor geraubt hatten. Tausende Schaulustige säumten den Vorbeimarsch der in Talaren gekleideten Professoren, gefolgt von den NS-Studenten, den Verbänden der SA und SS, den verschiedenen Korporationen und der Hitlerjugend. Berittene Polizei eskortierte den Zug Unter den Linden.

Auf dem Opernplatz war inzwischen ein gewaltiger Holzstoß aufgeschichtet worden. Einzig der Regen leistete beharrlichen Widerstand, so dass der Scheiterhaufen mit Benzin überschüttet wurde. Aus den vorbeimarschierenden Kolonnen wurden die brennenden Fackeln in den Holzstoß geworfen.

Gegen 23 Uhr 30 begann die Bücherverbrennung. Eine Reihe von Studenten hielt die Werke der besonders angefeindeten Autoren in ihren Händen und trat nacheinander an das Mikrofon, um jeweils einen der Feuersprüche zu brüllen. Anschließend wurden weitere Bücher von den Lastwagen abgeladen, von einer Menschenkette weitergereicht und in die Flammen geworfen.

Schließlich erschien Joseph Goebbels. Mit keinem Wort ging er auf den Inhalt der vor ihm brennenden Bücher ein. Kein Autor, kein Buchtitel wurde von ihm beim Namen genannt. Stattdessen fielen die üblichen Phrasen über „Ungeist“, „Unflat“, „Unrat“, „Untermenschentum“. Den Studenten schärfte Goebbels in seiner Rede ein: „Der kommende deutsche Mensch wird nicht nur ein Mensch des Buches“ sein, und erklärte, wo die Reise hinging: „Jung schon den Mut zu haben, dem Leben in die erbarmungslosen Augen hineinzuschauen, die Furcht vor dem Tode zu verlernen und vor dem Tode wieder Ehrfurcht zu bekommen.“ Es waren die Jahrgänge 1908 bis 1920, die bei den Bücherverbrennungen 1933 als Studenten und Hitlerjungen auf den NS-Staat eingeschworen wurden. Dieselben Jahrgänge, die sechs Jahre später in den Krieg zogen.

Nachdem die Feuerwehr schließlich den Scheiterhaufen gelöscht hatte, begannen Passanten, verkohlte Bücher aus der Asche zu sammeln. Einige davon wurden in den Folgetagen auf Berliner Straßen als Andenken verkauft.

Herbert Guthjahr, der Organisator der Berliner Bücherverbrennung, wurde nach seinem Juraexamen zunächst wissenschaftlicher Assistent an der Berliner Universität. Als Spitzel des Sicherheitsdienstes der SS denunzierte er an der Juristischen Fakultät 1936 den NS-nahen Staatsrechtler Carl Schmitt. Guthjahr starb 1944 in der Ukraine an den Folgen einer Kriegsverletzung.

Auch Hans Karl Leistritz wurde im Krieg schwer verwundet. Nach 1945 erfand er im Deutschland des Wirtschaftswunders den Motorradschalldämpfer und schrieb rechtsradikale Bücher. Über seine Vergangenheit als Bücherverbrenner und NS-Funktionär schwieg er.

Nur wenige ihrer Generation entschieden sich für einen so steinigen Weg wie Elfriede Brüning, die in den Untergrund ging, verhaftet wurde und nur mit viel Glück wieder freikam. In der DDR wurde sie eine anerkannte Schriftstellerin. Sie schrieb mehr als 30 Bücher, „Regine Haberkorn“ heißt ihr bekanntestes. Vor zwei Jahren, mit 95, veröffentlichte sie „Gedankensplitter“, einen Essayband, und sagte selbst: „Dies ist mein letztes Buch.“

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam und dort zuständig für die Edition „Bibliothek verbrannter Bücher“. Die ersten zehn Bände und das Buch „Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933“ sind jetzt erschienen (Olms Verlag).

Werner Tress

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