zum Hauptinhalt
Champagner

© Kai-Uwe Heinrich

Champagner: A votre santé!

Nichts sprudelt so kostbar köstlich wie der Champagner. Einst ein Teufelszeug – bis ein listiger Mönch und eine lustige Witwe kamen.

Wie der Champagner schäumt und fließt, das wissen auch die eher biertrinkenden Kreise. Ein Grund sind die Rennen der Formel 1, deren Fernsehbilder immer damit enden, dass sich drei erwachsene Männer wie Kinder mit dem Inhalt einer Supermagnum-Flasche bespritzen. Dieses Ritual hat vor gut zwanzig Jahren die Champagnerfirma Moet erfunden. Zuvor wurde das edle Nass, wenn es nicht in feine Gläser und lustvolle Kehlen floss, in aller Öffentlichkeit nur am Bug bis dahin ungetaufter Schiffe vergossen.

Den siegestrunkenen Autopiloten stiftet inzwischen die Marke Mumm ihren gerüttelten Spaß, während die Konkurrenten der schäumenden Branche bis heute darüber sinnieren, ob die Formel-1-Feier vor hunderttausend schwitzenden Fans und ein paar hundert Millionen Fernsehzuschauern wohl eine bedenkliche Vulgarisierung oder eine weitere allgemeine Popularisierung des kostbaren Schaumweins darstellt.

Übermorgen, an Silvester, fließt der Champagner jedenfalls in Strömen und in geordneten Bahnen. Selbst Menschen, die sich sonst auch mit einfacherem Sprudel vergnügen, leisten sich zum Jahreswechsel nur zu gerne mal einen „echten Champagner“. Was eigentlich ein weißer Schimmel ist. Denn „Champagner“ muss immer echt sein, zumindest dürfen in Europa mit dieser Marke nur Weine und Hersteller der im Nordosten Frankreichs gelegenen Champagne firmieren.

Allein in den USA ist der Name nicht geschützt. Aber Kenner haben dort auch in den irakkriegsbedingten Zeiten des franko- amerikanischen Zerwürfnisses den Unterschied zum eher fruchtig-süßeren kalifornischen „Tschämpain“ nicht vergessen und lieber nur auf Frites, Fois gras oder Froschschenkel verzichtet. Nicht aber auf jenen alkoholischen Sprudel, den schon Amerikas Gründungsvater George Washington schätzte und dessen Export in die Neue Welt sogar die Jahre der Prohibition dank karibischer Schmuggler nicht schmälerten.

Der Champagner boomt, seit Jahren, weltweit, selbst in Krisenzeiten. Man kann es auf die Formel von Coco Chanel bringen, die meinte, dass sie Champagner brauche, wenn sie verliebt sei. Und wenn nicht, dann erst recht. Napoleon, sonst alkoholischer Abstinenzler, trank ihn nach Siegen – und Niederlagen. Zur Freudenfeier wie zur Trauertröstung taugt das traditionell hellgoldene Perlgetränk aus den bauchig schweren Flaschen allemal. Und mit der Liebe, mit dem Erotischen hängt der Erfolg des Schampus ohnehin zusammen. Damit spielt natürlich auch das Formel-1-Ritual: in Hüfthöhe gerüttelt, geschüttelt und im Triumph verspritzt. Eindeutiger könnte die Symbolik kaum sein.

Champagner, schon der Name hat einen lockenden Klang. Und die Symbolik nutzten vor allem die Damen der französischen Gesellschaft ab Ende des 17. Jahrhunderts. Der berühmte Mönch Dom Pérignon hatte da gerade als Kellergeist eines Champagne-Klosters bei Épernay in der Diözese Reims anstelle des ölverputzten Holzstopfens einen völlig neuen Weinverschluss erfunden. Aus der von durchreisenden spanischen Mönchen erworbenen Korkeiche schnitzte der Dom den ersten Champagnerkorken, den er mit einer kreuzweisen Verschnürung zusätzlich sicherte. Von nun an war es den weiblichen Gästen vorbehalten, bei galanten Diners die Schnüre am Flaschenhals zu öffnen – was häufig schon den Korken zum Springen und den Inhalt zum Spritzen brachte.

Voller Vorlust sang Mozarts Don Giovanni seine „Champagnerarie“, und Casanova und seine Nacheiferer haben das kalte Nass zum heißen Herzen auch aus den Pumps und High Heels ihrer Geliebten getrunken. Als symbolische Steigerung darf dann höchstens das filmreife Bad in Champagner gelten. Eine derart moussierende Massage, die nicht nur der Schaumgeburt einer Hollywoodvenus dient, birgt in der Realität freilich die Gefahr einer so teuren wie auch tödlichen Dosis alkoholischer Dämpfe. Weshalb erfahrene Wellnässer als Badezusatz nicht mehr als eine Magnumflasche empfehlen.

Champagner regt nicht nur unsere Sinne an, die Geschmacksknospen, Geruchsnerven, Augenreize und Schwellkörper, er verführt, ähnlich wie große Weine, auch zum sprachlichen Schwärmen, um die sensorischen Sensationen in Worte zu fassen. Wobei Champagner beim ersten Mal (und auch noch einige Male später) gar nicht so aufregend schmeckt. Wer nur Sekt und Prosecco kennt, wird die trockensten und für Kenner besten Champagner zunächst als unweinig, als stählern herb oder gar metallisch säuerlich empfinden. Das ist wie mit der ersten Auster, die bloß glibbrig, salzig, meerwässrig schmeckt.

Es bedarf schon einer etwas ausgebildeten Zunge, die sich dann, wenn’s im Geist und Gaumen sprudelt, allerlei Vergleiche einbildet und je nach Schampus den Geruch oder Geschmack von Vanille und Karamell, von Pfirsichblüten, Honig und Zimt, von frischem Brot, Aprikosen, Johannisbeeren und Zitrusfrüchten beschwört. Geht auch kaum anders, weil man über Geschmack viel leichter streiten als präzise schreiben kann.

Im Grunde hat der Champagner in seiner Mischung aus Frische, Fülle und schwerelos eleganter Wucht als Festtagsstoff etwas Unvergleichliches. Auch wenn es „den“ Champagner gar nicht gibt. Heute werden im Jahr weltweit rund 325 Millionen Flaschen verkauft, von knapp 300 Champagnerherstellern, die ihre Trauben von einigen tausend Winzern beziehen, deren Rebstöcke auf exakt klassifizierten Gebieten im Umkreis der Stadt Reims und des Marne-Flusses im Norden bis etwa 150 Kilometer südöstlich hinab beim Tal der Seine an der Côte des Bar stehen. Auf kalksteinhaltiger, durch ihre starken Mineralien aromatisch ergiebiger Erde.

Obwohl tausenderlei verschiedene Champagnerabfüllungen existieren, sind fast alle nur Mischungen der drei klassischen Champagnertrauben Pinot Noir (Spätburgunder), Pinot Meunier (Schwarzriesling), beides rote Reben, sowie der weißen Chardonnaytraube. Reine Chardonnays ergeben den sehr hellen, fruchtigeren Blanc de Blanc, eine noch größere Ausnahme sind die roten und zunehmend beliebten Rosé-Champagner. Der Witz, um nicht zu sagen Esprit des Champagners, liegt freilich im je unterschiedlichen, von großen Champagneurs oft intuitiv ersonnenen Mischungsverhältnis der handverlesenen Trauben erster Pressung, dem je unterschiedlichen Verschnitt der gegorenen Grundweine eines Jahrgangs und der Zusätze von hauseigenen Reserven aus älteren Jahrgängen.

Sehr ausgetüftelt ist dann die zweite, mindestens einjährige Flaschengärung auf der Hefe, anschließend das heute fast durchweg mechanische, ursprünglich aber von Hand ausgeführte mehrwöchige Rütteln, Drehen und langsame Kopfstellen der Flaschen und später das Dégorgement. So nennt sich das Abschlämmen des zuvor vereisten Hefepfropfens im Kopf der Flaschen, die erst dann nach dem Zusatz einer das markeneigene Geschmacks-Cuvée bestimmenden Dosage (aus Süßweinstoffen) endgültig verkorkt werden.

Trotz aller Vorkehrungen sind bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die bereits von Dom Pérignon extra verstärkten und zum besseren Ausgleich des Kohlensäurendrucks am Boden konkav gewölbten Flaschen oftmals schon in den Kalksteinkavernen der Champagnergüter explodiert. Als wären sie mittelalterliche Folterknechte, trugen die Kellermeister zu ihrem Schutz noch eiserne Masken. Auch deshalb hielt man den moussierenden Wein lange Zeit für Teufelszeug.

Dass er dennoch zum Trinkerhimmel auf Erden wurde, gleicht fast einem Kuriosum. Dom Pérignon, der dem in Reims (wie alle französischen Könige seit dem 5. Jahrhundert) gekrönten Champagnerliebhaber Ludwig XIV. zu Diensten war, bot bis zu seinem Tod 1715 all seine Kelterkünste auf, um dem Champagner eben seine Perlen, das stark Moussierende, auszutreiben. Ohne Erfolg. Dass er die sprudelnde „Perlage“ im Wein erfunden und dabei ausgerufen habe, „Ich trinke Sterne!“, ist Legende. Der große Dom hatte das rätselhafte Moussieren, das schon bei seinen Grundweinen im Fass begann, nur mittels der zweiten Gärung in der Flasche besser unter Kontrolle gebracht.

Als jedoch im 18. Jahrhundert die hitzige Kohlensäure im stark gekühlten Wein immer beliebter wurde, beauftragte Friedrich der Große, der ohnehin alles Französische schätzte, die Berliner Akademie der Wissenschaften herauszufinden, wie genau der Sprudel in den Schampus komme. Weil sich die Professores von ihren preußischen Gehältern jedoch das Untersuchungsmaterial nicht leisten konnten, erbaten sie sich vom König 40 Flaschen aus dessen Keller. Worauf der sparsame Friedrich beschloss, seinen Schampus doch lieber selber zu trinken.

Die Studie hätte wohl sowieso nichts erbracht, da erst Louis Pasteur ein Jahrhundert später die Funktionen des in der Champagne offenbar besonders virulenten Hefepilzes und die mikrobiologischen Ursachen der Alkoholgärung und Schaumweinproduktion entdeckte. Größte Verdienste jedoch um unseren heutigen Genuss hat auch Nicole-Barbe Clicquot (1777–1866), jene Veuve Clicquot, die berühmteste der vielen lustigen, langlebigen und geschäftstüchtigen Champagnerhaus-Witwen. Mit ihrem Kellermeister Müller – wie die Champagnerwinzer Krug, Mumm, Deutz und manch andere ein deutscher Einwanderer – entwickelte Madame Clicquot vor 150 Jahren die eigentliche „méthode champenoise“: das Rütteln und Drehen der in der Flasche gärenden Weine und dazu auch das bis heute übliche Verdrahten der Korken.

Kurz nach Clicquots Tod stellte ihre Kollegin Louise Bollinger im Jahr 1874 den ersten wirklich trockenen, klar perlenden Champagner her. Davor war das durch Napoleons Truppen in ganz Europa verbreitete und auch als Heilmittel gegen Malaria und andere Unpässlichkeiten geschätzte Getränk eher süßlich und bräunlich trüb gewesen. Wie damals fast alle weißen Weine. Auch deshalb trank man sie einst aus farbigen, kristallenen Gläsern, die ihren Inhalt optisch entsprechend verklärten. Aber, fragt sich auch heute mancher Trinkgenosse, muss es denn überhaupt Champagner sein?

Wem 30 Euro für einen normalen Pommery oder 120 Euro für eine Flasche Dom Pérignon Jahrgang 1999 zu viel sind, der braucht sich nicht unbedingt mit den oft aus mehreren Grundweinen aus zweiter oder dritter Pressung zusammengemixten Discount- Champagnern begnügen. Alternativ gibt’s um zehn Euro etliche sehr gute Cremants aus dem Burgund oder Elsass, die trockenen Cavas aus Spanien und die von Jahr zu Jahr ambitionierteren deutschen Winzersekte, die allesamt nach der „méthode champenoise“ gegoren, gerüttelt und geschüttelt sind. Gleiches gilt für einige italienische Spumante aus dem Franciacorta, einem Anbaugebiet zwischen Brescia und Bergamo.

Trotzdem sollte man immer mal wieder nach Pérignons fabelhaften Sternen greifen. Denn Genuss und also auch unser Geschmack beruhen nicht bloß auf rationalen Kriterien. Schon zu wissen, dass man Champagner trinkt, versetzt fast jeden in eine besondere Stimmung. Und die wiederum hängt ab vom Ambiente, den Mittrinkern, der eigenen Laune und dem Anlass oder auch Essen. Als Aperitif, zu Austern und überhaupt zu allen delikaten, nicht zu schweren Vor- und Nachspeisen ist ein Champagner kaum zu übertreffen. Doch schmeckt kein Champagner immer gleich.

Das beginnt schon beim Glas. Die früher gebräuchlichen weit offenen Kelche oder die engen Flöten lassen das Bouquet zu schnell entweichen oder schnüren es ein. Zu dicke Gläser machen Wein und Zungen grob. Und wer heute aus einem eher tulpenförmigen geschliffenen Champagnerglas à la Riedel trinkt, macht zwar alles richtig, wird aber merken, dass solch edle Gläser zwar kleinen Sprudlern spürbar auf die Sprünge helfen, indes bei den prestigiösen, hochpreisigen Sorten kaum noch wesentliche Steigerung ergeben.

Wie viel Psychologie, Stimmung und Vorwissen jeweils im Spiel sind, zeigen die oft überraschenden Blindverkostungen. Wir haben das soeben im Freundeskreis nachgespielt: mit dem Premier Cru eines kleinen, feinen und doch preiswerten Champagnerhauses, mit einem 99er Dom Pérignon und mit einem im „Stern“ bei einer hochkarätigen Probe kürzlich fast allen Champagnern vorgezogenen Cremant. Bei unserer begrenzteren Blindwahl hat der Dom Pérignon als „weinigster“ Schampus einerseits deutlich gesiegt. Doch keine der acht Testpersonen hätte dabei auf Preisdifferenzen von rund 100 Euro getippt.

Die Magie macht alles relativ. Manche sagen, ein Krug (ab 120 Euro) sei der König der Champagner, andere schwören republikanisch auf Bollinger (für knapp 40 Euro), ich selber schwanke (schwanke!) jedes Mal – und manchmal auch nicht.

Als Wilhelm II. seinen trinkfreudigen Kanzler einst allein auf deutschen Sekt verpflichten wollte, antwortete Bismarck: „Mein Patriotismus endet oberhalb meines Mageneingangs.“ Im Jahr 2007 haben allerdings die Japaner uns Deutsche vom fünften Platz der Champagnerliebhaber verdrängt, das werden wir zu Silvester wohl nicht mehr aufholen.

Die Hälfte ihres Schampus trinken die Franzosen selbst, der Rest geht in dieser Reihenfolge nach Großbritannien, in die USA und nach Italien. Die meisten Flaschen verkauft das Imperium Moet et Chandon (34, 2 Millionen), vor Veuve Cliquot (knapp die Hälfte) und Laurent-Perrier (ein Viertel). Auf Platz 10 der Hitparade liegt Pommery mit 4, 8 Millionen Bouteillen. Und weil die Nachfrage das Angebot auf den 34 000 Hektar lizensierter Rebfläche längst übersteigt, sollen in den nächsten zehn Jahren noch bis zu 7000 Hektar neu erschlossen werden. Dabei spielt der rein biologische Anbau bisher fast keine Rolle. Zu kostbar ist hier jede Traube, als dass gegen Schädlinge nicht gleich die chemische Keule gezückt würde. Die Angst vor der Reblaus übertrifft in den Winzerpalästen in und um die Champagnerhochburg Épernay noch immer die Furcht vor jeder Weltwirtschaftskrise.

Bleibt die Laus im Haus, dann feiern sie dort. Jetzt, da die neue Ernte im Keller gärt. Bonne année, ihr lustigenWitwen!

Zur Startseite