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„Die Staufer und Italien“: Des Kaisers neue Kleider

Waren sie die ersten Europäer? Was die Mannheimer Ausstellung „Die Staufer und Italien“ über unser Verhältnis zur Geschichte verrät.

Alles beginnt mit einem Zahn. Beziehungsweise dem, was von ihm noch übrig ist: ein kleines Papierbändchen, auf dem zu lesen steht, dies sei die Reliquie des heiligen Kaisers Friedrich Barbarossa. Die Legende dazu ist weniger ehrfürchtig: Barbarossa habe sich, nachdem er 1176 die Schlacht von Legnano gegen den lombardischen Städtebund verloren hatte, im Wirtshaus von Brienno aus Frust derartig betrunken, dass er danach die Treppe heruntergefallen sei und sich diesen Zahn ausgeschlagen habe. Bis 1937 bewahrte die Gemeinde von Brienno in Norditalien das gute Stück in der Sakristei auf. Dann griff der Bischof von Como ein. Heute wird nur noch ein Stück Holz im Papierstreifen verwahrt.

Friedrich I. Barbarossa wird als Heiliger verehrt in Italien? Das sind verkehrte Verhältnisse. Galten die Staufer in Norditalien doch jahrhundertelang als transalpine Unterdrücker, die sich buchstäblich die Zähne am Widerstandsgeist und Unabhängigkeitsstreben der lombardischen Städte ausgebissen hatten. Opern wie Verdis „Battaglia di Legnano“ von 1849, folkloristische Spektakel wie der jedes Jahr im Mai abgehaltene Palio di Legnano hatten diese Tradition bis heute wachgehalten. Und noch jüngste Filmproduktionen wie der im Oktober 2009 in den italienischen Kinos angelaufene Monumentalstreifen „Barbarossa“ hatten ins gleiche Horn gestoßen. Von der italienischen Presse war der 30-Millionen-Euro-Film als Propagandawerk der Lega Nord angegriffen worden. Alberto da Guissano, der Gegner des Stauferkaisers in der Schlacht von Legnano, wird von den Leghisten als Gründungsvater im Wappen geführt. Bossi und Berlusconi erschienen zur Vorpremiere – die Schauspielerin Cécile Cassel, die im Film Barbarossas zweite Ehefrau Beatrix spielt, blieb aus Protest fern.

Das Verhältnis zwischen den Staufern und Italien ist jetzt Thema einer Großausstellung in Mannheim, die von den Ländern Baden-Württemberg, RheinlandPfalz und Hessen gemeinsam ausgerichtet wird. Doch mehr als die historische Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd, Teutschen und Welschen interessiert man sich in Mannheim für die touristische Verwertbarkeit. Als „Innovationsregionen“ werden die drei von den Staufern regierten Landstriche Rheinland, Oberitalien und Sizilien gefeiert – da hört man im Hintergrund doch gleich die Marketingagentur und das Fremdenverkehrsamt jubeln. Ein entsprechend breites Angebot an Rundreisen, Staufer-Spektakeln und Jagdvogelflügen begleitet die Ausstellung, bis hin zum Stauferbier.

Es nutzt halt ein jeder die Geschichte, wie er kann. Gerade die Staufer waren in dieser Hinsicht immer besonders dankbar, als Tyrannen verteufelt, als Staatengründer verehrt, wahlweise als erste moderne Menschen oder als Urväter der Nation. Es war das Wilhelminische Kaiserreich, das mit dieser Legendenbildung angefangen hatte und Wilhelm I. in deutlicher Parallele zu Barbarossa, dem Rotbart, als Barbablanca, Weißbart verherrlichte. Das monumentale Kyffhäuserdenkmal im Harz, 1896 eingeweiht, kündet von der Stelle, wo der Stauferkaiser seit Jahrhunderten tief im Berg schlummern und die Wiederkehr seines Reiches erwarten soll. Folkloristische Legenden wie sein langer roter Bart, der in den Jahrhunderten immer weiter gewachsen und mit dem Felsen verwachsen war, waren Schulstoff im Kaiserreich. Schon Friedrich Rückert hatte 1817 in seinem Gedicht „Der alte Barbarossa“ den Kaiser zum Sinnbild eines geeinten Reiches stilisiert: „Er hat hinabgenommen / des Reiches Herrlichkeit / und wird einst wiederkommen / mit ihr, zu seiner Zeit.“ Heinrich Heine hatte in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ 1844 genau diese Barbarossa-Seligkeit persifliert, indem er eine Traumbegegnung mit dem Stauferkaiser schildert: „Herr Rotbart“ – rief ich laut –, „du bist / ein altes Fabelwesen, / Geh, leg dich schlafen, wir werden uns / auch ohne dich erlösen“. Adolf Hitler schließlich hatte seinen Russland-Feldzug unter den Code „Unternehmen Barbarossa“ gestellt. Da war von der Stauferherrlichkeit ohnehin nichts mehr zu retten.

Das ist eine schwere Hypothek, die jeder mit dem Thema aufnimmt. Kein Wunder, dass nach 1945 die Stauferrezeption erst einmal auf lokale und regionale Bezüge, auf Fremdenverkehr und Gastronomie beschränkt blieb. Erst die große Stauferausstellung 1977 in Stuttgart wagte hier einen Neuanfang – und begründete gleichzeitig einen Trend, der bis heute anhält: Historische Ausstellungen, festgemacht an großen Herrscherfiguren des Mittelalters, gehören zu den beliebtesten Themen überhaupt, sei es Otto I. 2001 in Magdeburg oder Heinrich II. 2002 in Bamberg. Selbst der als Loser verlachte Welfenkaiser Otto IV. lockte 2009 viele Besucher nach Braunschweig. Speziell die Landesausstellungen der einzelnen Bundesländer haben das historische Terrain als dankbares Feld entdeckt. Und wenn der „Spiegel“ mal wieder ein Auflagentief hat, kommt eine historische Titelgeschichte auch immer recht.

1977 war das noch anders. Da bestand erheblicher Rechtfertigungsdruck. „Für unsere Generation gibt es keinen Weg vorbei an den Schutt- und Schmutzgebirgen, die zwischen 1977 und den Pfalzen des Barbarossa, samt Kronen und Madonnen, aufgehäuft liegen. Vielleicht wäre es nicht schlecht, den Weg durch diese Ausstellung von hinten nach vorn zu gehen. Auch wer bei ’Barbarossawein’ und Postkartenkitsch beginnt, kann solcherart ins Zentrum gelangen“, schrieb damals der Tagesspiegel-Rezensent. Weshalb man sich, in Zeiten von Deutschem Herbst und Terroristenjagd, in der Stuttgarter Ausstellung denn auch klug überwiegend auf Kunst und Kunsthandwerk beschränkte. Sagenhafte 671 000 Besucher in 72 Tagen waren der Dank.

Heute sieht man das deutlich entspannter. Ganz im Gegenteil: Die MittelalterMythen taugen als Vorbild für gegenwärtige Konflikte. Am deutlichsten wird das in Mannheim natürlich im Sizilienkapitel. Viele Völker, viele Sprachen und Religionen, alle im friedlichen Zusammenleben. Davon kündet zum Beispiel die Grabplatte, die ein Priester Grisandus seinen Eltern setzt, mit arabischen, lateinischen, griechischen Inschriften. Davon künden vor allem aber die großartigen Mosaike und Kunstwerke des Palazzo Reale in Palermo, mit der unlängst wieder eröffneten Capella Palatina und ihrem überwältigenden Bildschmuck. Eine Schrifttafel grüßt Friedrich II. in vier Sprachen als „Felix elmelic dober Friderich salemelich“, glücklicher König, guter Friedrich, Friede sei mit dir. Und der Gelehrte Ibn Wasil berichtet 1261 aus Lucera, wo Friedrich II. ein Kastell erbaut hatte: „Hier wird der Freitagsgottesdienst öffentlich abgehalten. Das ist dort so seit der Zeit des Kaisers (Friedrich II.). Die Mehrheit seiner Vertrauten im Hoflager waren Muslime.“

Die Gedankenfreiheit des Mittelalters: Davon hatten schon Ausstellungen wie „Sizilien“ und „Byzanz“ in der Bundeskunsthalle erzählt, oder auch „Constantin“ in Trier, „Saladin“ in Mannheim. Und jedes Mal betont, dass man in Sachen friedliches Zusammenleben zwischen den Weltkulturen schon einmal bedeutend weiter war als heute. Weshalb auch in Mannheim nun dem Kapitel Kunst und Wissenschaft, Medizin und Technik viel Raum gewidmet ist: die Gründung der ersten Universitäten in Bologna und Neapel, die Kräuterkunde der Hildegard von Bingen, die chirurgischen Instrumente eines Bruno von Longoburgo, der an der Medizinschule von Salerno studiert hatte, die Enzyklopädie des Wissens von Michael Scotus, die mathematischen Formeln von Fibonacci – alles kündet davon, dass es sich keineswegs um das „finstere Mittelalter“ handelt, als welches es Johan Huizinga in seinem berühmten Buch noch schilderte, sondern um die Wiege der modernen Kunst und Kultur.

Hier hat sich, mit dem Abrücken von den alten Herrschaftslegenden, auch der Blick auf die Zeit entscheidend gewandelt. Schon in Magdeburg, wo man 2009 aus Anlass des 800. Domjubiläums den „Aufbruch in die Gotik“ feierte, galt neben den Meisterwerken gotischer Kunst mindestens so viel Aufmerksamkeit den Ausgrabungen auf dem städtischen Terrain, wurde über Essens-, Lebens-, Abfallgewohnheiten umfassend informiert. Der Alltag des Mittelalters hat spätestens seit Arno Borsts Klassiker „Lebensformen im Mittelalter“ gleichberechtigte Bedeutung erlangt, neben der Hochkultur. Auch in Mannheim gehört dieses Thema zu den stärksten Bereichen, mit einer einfachen, aber eindrücklichen Inszenierung: Eine lange Tafel, gedeckt mit Geschirr, Krügen, Lebensmitteln, und zwar unterschieden nach Regionen. Da isst man in Italien Zucchini, Limonen, Oliven, im Rheinland Äpfel und Birnen, jagt hier Falken, dort Wildschweine, nutzt hier Majolika, die wunderbar mit Tierbildern verziert sind, und Krüge mit Fliegengitter, dort Pingsdorfer Ware aus dem Rheinland, gröber, unbemalt. Und muss im kalten Deutschland den Kachelofen erfinden, wo man sich in Sizilien mit raffinierten Kühlungs- und Lüftungsanlagen behilft.

Was dabei etwas auf der Strecke bleibt, sind die Herrscherpersönlichkeiten, mit denen sich vorangegangene Zeiten so gern und ausführlich beschäftigt haben. Der bärbeißige Barbarossa, sein Traum von Italien und sein Tod auf einem Kreuzzug 1190 in Kleinasien, der glücklose Philipp von Schwaben, der feinsinnige Friedrich II., der Jüngling aus Apulien – „Chint von Pulle“ nannten ihn die Zeitgenossen – mit seinem Musen- und Gelehrtenhof, nach Jakob Burckhardt der „erste moderne Mensch“. Und schließlich seine tragischen Nachkommen: Heinrich VII., der gegen seinen Vater rebelliert, abgesetzt und gefangen gehalten wird, Manfred, unehelicher Sohn Friedrichs II., der ihm so ähnlich gewesen sein soll und der Macht nicht widerstehen kann, sich selbst zum König von Sizilien krönt und schließlich in der Schlacht von Benevent stirbt. Und schließlich der jugendliche Konradin, der den Kampf gegen Karl von Anjou verliert und 1268 mit 16 Jahren auf dem Marktplatz von Neapel hingerichtet wird: Johann Anton Tischbein hat den blonden Stauferjüngling im Kerker 1784 gemalt.

Sie alle haben die Fantasie vorangegangener Generationen beschäftigt, in Dramen, historischen Bildern und Jugendromanen. Doch die Zeit der romanhaften Geschichtsschreibung scheint vorbei: In Mannheim präsentiert man die einzelnen Staufer mit knappen Texten und ihren Siegeln, auf denen sich kaum individualisierende Merkmale ausmachen lassen, dafür der allgemeine Glaube an Antikennachfolge und Kaisertum. Und auch das beliebte Spiel „Wie sahen sie denn nun wirklich aus?“ wird höchstens andeutungsweise gespielt: Friedrich I. Barbarossa ist mit der prächtigen Büste des Cappenberger Barbarossakopfes vertreten, der schon den Katalog zur Ausstellung von 1977 zierte: Doch interessanter sind die Reliquien, die sich im Inneren des Bronzekopfes verbargen und die in Mannheim erstmals untersucht wurden. Und bei Friedrich II., dessen feine Züge der sogenannte Solari-Gips von der Eingangspforte von Capua wiedergeben soll, tappt man mindestens ebenso sehr im Dunkeln: Der Gips ist eine Kopie aus dem 18. Jahrhundert, und besonders stolz ist man in Mannheim nicht auf ihn, sondern darauf, dass es gelang, alle Relikte des 1557 zerstörten Brückentors von Capua mit seinen zwölf großartigen Skulpturen in der Ausstellung zu zeigen.

Das eindrucksvollste Kunstwerk in Mannheim ist jedoch ein anonymes Bild: der „Thronende König“ aus New York. Eine milde, würdige Herrscherfigur, wohl aus Norditalien, die das Metropolitan Museum erstmals seit dem Ankauf Anfang des 20. Jahrhunderts nach Europa entliehen hat. Er diente wohl der Verbildlichung idealer Herrschertugenden und war vielleicht an einem Stadttor oder einem Gerichtshof angebracht. Wie überhaupt die Skulpturenensembles die stärksten Rauminszenierungen sind: die wunderbaren Lettnerfiguren aus dem Mainzer Dom, die dem Naumburger Meister zugeschrieben werden, Zeugen hochgotischer Kunst – und die Trümmer der ehemaligen Reichsabtei von Lorsch, die nach dem Tod der letzten Staufer im Streit zwischen dem Erzbischof von Mainz und dem Pfalzgraf vom Rhein buchstäblich zerrieben wurde.

Ist es nun eine Erfolgsgeschichte oder eine Niederlage, die in Mannheim erzählt wird? Und: Macht es noch einen Unterschied? Dass die Staufer mit ihrem Traum vom römischen Kaisertum letztlich scheitern, weil sie sich statt auf die Gegenwart des 12. Jahrhunderts mit ihrer gerade erstarkenden Stadtstaatlichkeit lieber auf eine idealisierte Antike bezogen – das hat das 19. Jahrhundert nicht daran gehindert, Friedrich I. Barbarossa und Friedrich II. als Vorläufer großdeutscher Großmannssucht zu feiern. In Mannheim hingegen wird gezeigt, wie aus dem Scheitern der Staufer eine neue Gesellschaft entsteht, mit neuen Märkten, neuen Städten, neuer Kunst und Wissenschaft, aber auch einer neuen Frömmigkeit in der Nachfolge Franz von Assisis, die etwa Elisabeth von Thüringen zur Armenpflegerin werden lässt.

Geradezu lächerlich folkloristisch wirken dagegen die Machtspielchen, die etwa zur Eroberung der Mailänder Carroccio, des städtischen Wappenwagens, durch Friedrich II. führten – um dieses Gefährt wurden ganze Kriege begonnen? Kein Wunder, dass ein Stauferkaiser in einer Skulptur der Mailänder Porta Romana als Spottgestalt auftaucht. Ein anderes Relief aus Mailand zeigt die Heiligen Drei Könige, deren Gebeine Rainald von Dassel schließlich nach Köln brachte, ein früher Fall von Beutegut. Dass der heute als Kulturtransfer gerühmte Austausch oft doch wenig freiwillig geschah – darüber deckt sich heute ein Mantel des Vergessens, der mindestens so prächtig ist wie der angebliche Krönungsmantel Karls des Großen, eines der Prunkstücke der Ausstellung. Immerhin ist es inzwischen unser aller Kultur.

Die Staufer und Italien, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, bis 20. Februar, Katalog im Museum 39,90 €

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