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Geburtstag: Karl Marx: Seit langem tot, aber höchst virulent

Alle paar Jahre wird gefragt, ob Karl Marx denn nun ein toter Hund oder aber doch höchst lebendig sei. Allein diese Tatsache nährt den Verdacht, dass einer wie er heute fehlt.

Die Frage nach der Aktualität der Ideen von Karl Marx hat manchmal etwas leicht Bemühtes, weil doch ohne Zweifel feststeht, dass er tot ist, und das seit 125 Jahren. Aber allein der Umstand, dass sie in obsessiver Regelmäßigkeit gestellt wird, zeigt auch, dass Marx lebendig ist. Die Frage käme ja gar nicht erst auf, gäbe es nicht einen Verdacht: den, dass seine Themen noch immer aktuell sind und, simpel gesagt, dass einer wie Marx fehlt.

Elektrisierend ist immer noch, wie sich der originelle Intellektuelle Marx der Welt stellte. Er hat ja nicht so sehr „die Kapitalisten“ angeklagt, sondern theoretisch begreifen wollen, wie ein hochkomplexes System funktioniert. Und wie daraus, ohne dass irgendjemand Böses im Schilde führen müsste, eine kapitalistische Welt-Maschine entsteht, die jeden und jede als kleines Teil in ihr Räderwerk fügt. Die kapitalistische Gesellschaft unterjocht jeden, „subsumiert“ alles Leben, so wie in der Fabrik der „Automat selbst das Subjekt ist, und die Arbeiter sind nur als bewusste Organe seinen bewusstlosen Organen beigeordnet“. Das ist heute höchst virulent: wie sich die Imperative der Wirtschaftswelt die Menschen herrichten, wie Kommerz und Warenwirtschaft in alle Poren eindringen.

Marx’ ungebrochene Größe beruht immer noch auf der von ihm geschaffenen Methodik, soziale Prozesse zu verstehen. Es gibt keine bessere Weise, denken zu lernen, als Marx zu lesen. Marx schrieb keine Jeremiaden. Er war nicht gegen den Kapitalismus, weil er diesen für böse hielt. Er zeigte, dass der Kapitalismus nichts Statisches ist, sondern immer ein Prozess, dass er Kräfte schafft, die ihn selbst herausfordern. Im Sinne der schönen Brecht-Formel: „Weil es so ist, bleibt es nicht so.“ Das heißt ja etwas anderes als: „Weil es schlecht ist, wie es ist, sollte es anders werden.“ Auch die scheinbar stabilste Ordnung steht immer auf des Messers Schneide. Jeder Moment ist auch ein Beginn. Marx war der Meister des „mit den Verhältnissen gegen die Verhältnisse Denken“.

Als Mensch widersprüchlich, war er als Denker grundsätzlich sympathisch. Er analysierte seine Welt mit kühlem Kopf und scharfem Blick, verband seine Detailarbeit aber immer mit einer klaren moralischen Position und mit Gerechtigkeitssinn.

Wir sollten seine Schüler sein, was aber auch heißt: Man sollte die Schule durchlaufen und am Ende zu eigenständigem Denken fähig sein.

Robert Misik, 40, lebt als Publizist in Wien. Von ihm erschien 2003 das Buch: „Marx für Eilige“ (Aufbau) und zuletzt „Gott behüte! Warum wir die Religion aus der Politik raushalten müssen“ (Ueberreuter).

Robert Misik

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