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Geschichte: Die Römerschlacht an der Autobahn

Herodian hatte doch recht: Neue Fundstücke im Harz bestätigen den römischen Geschichtsschreiber.

Von Andreas Austilat

Das Jahr 233 war kein gutes für das römische Imperium. Die Alemannen durchbrachen den Limes. Für manche Kastelle wie etwa das von Pfünz im Altmühltal kam der Überfall so plötzlich, dass die Wache nicht einmal mehr Zeit fand ihr Tor zu schließen. Bis über den Rhein und an die Donau drangen die Germanen plündernd vor. Der Schutzwall, hinter dem Rom ein paar Jahrzehnte nach der Niederlage des Varus im Jahre 9, besser bekannt als Schlacht im Teutoburger Wald, seinen Teil von Germanien gesichert hatte, er war durchlöchert.

Zwar sollte das Imperium auch nach dem Alemanneneinfall noch 200 Jahre bestehen, aber es war eine Macht auf dem Rückzug. Und in Germanien ließ sie sich schon lange nicht mehr blicken. So ungefähr lautete sie, die gängige Lehrmeinung.

Daran änderte auch der Geschichtsschreiber Herodian nichts mit seiner Eloge auf seinen Zeitgenossen Maximinius Thrax, den Haudrauf auf dem römischen Kaiserthron. Selbst von berserkerhafter Gestalt soll besagter Maximinius 235 bei Mainz den Rhein überschritten haben, um Rache zu nehmen für die Schmach am Limes. Den Feind will er in seiner Heimat aufgesucht haben, tief in Germanien, mit einem Riesenheer, darunter afrikanische Speerschleuderer und Bogenschützen aus Kleinasien. Und nachdem die Truppe brennend und mordend das Land des Gegners verheert hatte, sei es in fernen Sümpfen zu einer entscheidenden Schlacht gekommen, die Rom siegreich bestritt.

Handelsübliche Übertreibung eines Schreiberlings, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm, hieß das Verdikt gegen Herodian. Kaum ein Althistoriker nahm ihn richtig ernst. Nicht 300 oder 400 Meilen, wie manche aus den ältesten Handschriften der Historia Augusta meinten herauszulesen, könne dieses Heer nach Germanien vorgedrungen sein, sondern allenfalls 30 bis 40.

Doch offenbar ist Herodian unrecht getan worden. Und der Beweis scheint im Harzhorn zu stecken, einer 80 Meter hohen Hügelkette an der A 7 bei Kalefeld. Dort graben Archäologen – neben der niedersächsischen Landesdenkmalpflege sind die Professoren Günther Moosbauer von der Uni Osnabrück und Michael Meyer von der Freien Universität Berlin maßgeblich beteiligt – seit zwei Jahren ein antikes Schlachtfeld aus. Gestern legten sie auf einer Pressekonferenz eine Bilanz vor: 1800 Artefakte wurden geborgen, vor allem Pfeil- und Speerspitzen, eine Messerscheide, Sohlennägel von römischen Militärsandalen, Zeltheringe, ein eiserner Pferdeschuh – Vorläufer des Hufeisens. Die Metallteile sind bemerkenswert gut erhalten, Folge des basischen Milieus im kalkhaltigen Untergrund.

Die römische Truppe muss von Norden kommend am Harzhorn auf irgendetwas gestoßen sein, das ihr den Rückweg zum Rhein verwehrte. Was genau sie am Durchmarsch hinderte, eine Barrikade vielleicht, der Engpass zwischen Sumpf und Steilhang ist dort 300 Meter breit, wird sich wohl nicht mehr ergründen lassen, dazu wurde die Gegend in den letzten 1800 Jahren zu oft umgepflügt. Anders verhält es sich mit dem Hang, Kalkstein unter dünner Krume, der nie bewirtschaftet wurde.

An mindestens drei Stellen erklommen die Römer seinerzeit die Höhe, womit das Schlachtfeld sich über einen Kilometer erstreckte. Und bevor sie zum Sturm ansetzten, beschossen sie den Hang mit allem, was römische Wehrtechnik so hergab.

Die Archäologen fanden Pfeilspitzen verschiedenster Bauart, darunter Geschosse, die nicht zur römischen Standardausrüstung gehörten, wie Michael Meyer, Germanenspezialist der FU, berichtet. Ein Beweis für die multiethnische Truppe des Maximinius? Außerdem führten die Römer mindesten zwei Katapulte mit sich, sogenannte Torsionsgeschütze. Die Spitzen ihrer Geschosse bestehen aus gut 200 Gramm Eisen und durchschlagen auf 100 Meter jeden Schild. Mancherorts steckten 40 Projektile in einem auf kaum zehn Quadratmeter begrenzten Areal. Schwerer Beschuss also, der mindestens zwölf Minuten anhielt – Experimente ergaben, dass eine geübte Mannschaft drei Projektile pro Minute verschießen konnte.

Elf Münzen konnten die Archäologen bislang bergen, darunter eine, die der Numismatiker Frank Berger vom Historischen Museum Frankfurt am Main auf das Jahr 228 datieren konnte. C14-Untersuchungen hölzerner Speerschäfte deuten ebenfalls auf ein Ereignis zwischen 230 und 240 hin. Vor allem aber konnten inzwischen Teile eines Pferdeskeletts geborgen werden, möglicherweise ein Reittier, das beim Sturm auf den Hügel umkam. Die Radiokarbondaten der Knochen dieses ersten identifizierten Opfers deuten auf den gleichen Zeitraum. Damit wäre der Fund die archäologische Bestätigung für den Bericht des Herodian.

Für Meyer, der übrigens vor fünf Jahren in seinem Habilitationscolloquium die Frage aufwarf, wie wahrscheinlich es sei, noch auf ein antikes Schlachtfeld zu stoßen, stellt sich das Szenario damit etwa folgendermaßen dar: Die Römer befanden sich mit einer Truppe von mindestens 1000 Mann auf dem Rückmarsch – dafür spricht die Größe des Schlachtfeldes aber auch die Ausrüstung mit schwerem Gerät. Ihr Operationsgebiet könnte an der Elbe gelegen haben. Zwar ist nicht bekannt, ob die Alemannen dort siedelten, aber Meyer vermutet genau das. Sie dürften bereits zwei bis drei Wochen unterwegs gewesen sein, allein zwölf Tagesmärsche sind es vom Rhein bis zum Harzhorn. Vielleicht lassen sich daraus sogar Rückschlüsse auf Siedlungsdichte und Organisationsgrad der Germanen ziehen, es dauert immerhin eine Zeit, bis eine Truppe zusammensteht, die sich mit der römischen Militärmaschine messen kann.

Die Römer dürften das Schlachtfeld als Sieger verlassen haben, denn bisher fanden die Archäologen kaum etwas von dem, was der Legionär am Leibe trug. Große Ausnahme ist die Fibel, die wohl einmal einen römischen Offiziersmantel zusammenhielt. Vielleicht blieb der im Unterholz hängen und die Spange riss ab. Dagegen wurde keine einzige Schließe entdeckt, Teil jener Scharniere, mit denen römische Körperpanzer zusammengehalten wurden. Ziemlich viele dieser Schließen fanden die Archäologen in Kalkriese, dem wahrscheinlichsten Schauplatz der Varusschlacht. Germanen, die ein Schlachtfeld plünderten, waren zuallererst auf Eisen aus. Und immer wenn sie einem toten Legionär den Panzer abrissen, sprangen die Verschlüsse ab und blieben unbeachtet im Gras liegen.

Die bisherige Finanzierung der Grabung war auf zwei Jahre angesetzt. Aber Meyer ist zuversichtlich, glaubt fest an eine Fortsetzung. Was er noch zu finden hofft? Vielleicht Fragmente germanischer Ausrüstung. Vielleicht auch Knochen oder Zähne, Material für eine Isotopenuntersuchung, die Rückschlüsse auf Ernährung und Herkunft der Beteiligten zuließe. Meyer weiß, dass das zynisch klingt. Schließlich sind hier Menschen gestorben. Und wer eines der verformten Projektile in die Hand nimmt, braucht nicht viel Fantasie, sich das Blut vorzustellen, das einst an der verbogenen Spitze haftete.

Der Sieg der Römer war übrigens nicht von Dauer. Kaum 25 Jahre später überrannten die Germanen den Limes erneut.

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