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Guerillakrieg: Amerikas Sündenfall

Sie wollten die Freiheit bringen und den christlichen Glauben. Sie brachten Folter, Massaker und Pressezensur – ein moralisches Desaster. 1899 verstrickten sich die USA auf den Philippinen in einen Guerillakrieg.

Der Mann war erschüttert. Tote hatte er gesehen, Männer, Frauen, sogar Kinder von gerade zehn Jahren, ermordet „ohne den mindesten Beweis, dass es sich bei ihnen überhaupt um Aufständische handelte“. Amerikanische Soldaten, angetreten im Namen der Freiheit, hätten den Gegner behandelt, als stünde er „kaum höher als ein Hund oder ein widerliches Reptil“, schrieb der Korrespondent des „Philadelphia Ledger“ weiter. Gefangene seien mit Salzwasser vollgepumpt worden, um sie zum Reden zu bringen. Andere habe man auf einer Brücke aufgestellt und einen nach dem anderen erschossen.

Das grausame Geschehen ereignete sich vor über 100 Jahren auf den Philippinen. Anfang 1901 kam der Mann aus Philadelphia in seinem Bericht zu dem Schluss: „Unser derzeitiger Krieg ist keine unblutige Spiegelfechterei oder Operette.“ Doch die Geschichte erinnert in vieler Hinsicht an die Kriege in Vietnam und im Irak. Wie waren die USA nur in diesen Sumpf geraten? Und hatten sie die Filipinos nicht aus ihrer Unterdrückung befreien wollen?

Begonnen hatte es mit einem Triumph: dem Sieg über Spanien. Die Herrschaft der alten Kolonialmacht auf Kuba wurde von den Amerikanern als Barbarei betrachtet. Im April 1898 gab Präsident William McKinley den Marschbefehl. Die US-Navy griff weltweit spanische Stützpunkte an. Kuba war rasch erobert. Die Philippinen gab es gleichsam als Prämie. Am 1. Mai 1898 hatte Commodore George Dewey mit seinem Geschwader die spanische Flotte vor Manila vernichtet. Der Friedensvertrag von Paris diktierte am 10. Dezember die neue Weltordnung: Spanien verlor die Reste seines Überseereiches. Kuba, Puerto Rico, Guam und die Philippinen fielen an die USA.

Was sollte mit den mehr als 7000 Inseln des philippinischen Archipels und seinen sieben Millionen Einwohnern geschehen? Anfangs schien der amerikanische Präsident William McKinley bescheiden: Die USA sollten sich mit einem Marinestützpunkt begnügen. Doch dann besann sich der strenggläubige Methodist auf seine missionarischen Ambitionen. McKinley erzählte Glaubensbrüdern: „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns ihrer aller anzunehmen und die Filipinos zu erziehen und emporzuheben, zu christianisieren und mit Gottes Hilfe das Bestmögliche für sie, unsere Mitmenschen, zu tun.“

Im Urteil der Historiker kommt McKinley mit seinem kühnen Anspruch nicht gut weg. Nach Richard E. Welch, der über 30 Jahre amerikanische Geschichte am Lafayette College in Easton lehrte, kannte der Präsident die Filipinos „nicht im Geringsten“. Wie wenig Kenntnis er von der Situation auf den Philippinen hatte, zeigte allein sein Eifer, ein Volk christianisieren zu wollen, das bereits seit Jahrhunderten katholisch war. Für Welchs Kollegen Stanley Karnow, der für seine Geschichte des philippinischen Archipels 1990 den Pulitzer-Preis erhielt, markiert diese Episode einen entscheidenden Punkt im Erfahrungsprozess Amerikas: „Zum ersten Mal kämpften Soldaten der USA in Übersee. Und zum ersten Mal eroberte Amerika Land, das sich jenseits seiner Küsten befand – die einstige Kolonie wurde ihrerseits Kolonialist.“

Drei Wochen nach seinem Triumph über Spaniens Flotte empfing der zum Konteradmiral beförderte Dewey den philippinischen Guerillaführer Emilio Aguinaldo an Bord seines Flaggschiffs. Der 29-jährige Aguinaldo entstammte einer einflussreichen Familie. Bereits mit 17 Jahren war er Oberhaupt des Vorortes seiner Heimatgemeinde geworden. 1895 trat er dem nationalistischen Geheimbund der Katipunan bei, ein Jahr später erhoben sich die Filipinos gegen die spanische Kolonialherrschaft. Ein erbitterter Guerillakrieg entbrannte.

Aguinaldo stieg innerhalb weniger Monate zum General auf. Trotz einiger Erfolge gegen die Spanier blieb ein entscheidender Sieg aber aus. Am 14. Dezember 1897 sah sich Aguinaldo gezwungen, einen Waffenstillstand zu schließen. Er selbst ging nach Hongkong ins Exil.

Als die USA gegen Spanien in den Krieg zogen, sah Aguinaldo die Zeit für seine Rückkehr gekommen. Nach Gesprächen mit amerikanischen Diplomaten glaubte er an ein Bündnis gegen die spanischen Kolonialherren. Mit großen Erwartungen ging er an Bord der „USS Olympia“. Über den Ausgang des Treffens gibt es widersprüchliche Ansichten: Aguinaldo berichtete seinen Landsleuten, er habe mit Dewey vereinbart, gemeinsam gegen die noch auf den Inseln verbliebenen Spanier zu Felde zu ziehen und anschließend eine unabhängige Republik zu gründen. Dewey stritt das ab.

Als Aguinaldo am 12. Juni 1898 die Unabhängigkeit der Philippinen verkündete, war kein amerikanischer Vertreter anwesend. Vielmehr übernahmen die USA am 21. Dezember offiziell die Souveränität über den philippinischen Archipel. Die Aufständischen antworteten mit der Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung. Am 23. Januar 1899 wurde die Republik der Philippinen ausgerufen, Aguinaldo war ihr erster Präsident.

Im amerikanischen Senat, der den Pariser Friedensvertrag mit Spanien ratifizieren musste, hatten unterdessen hitzige Debatten begonnen. Die Gegner bezeichneten das Abkommen als einen imperialistischen Übergriff. Die Befürworter hielten dem entgegen, es sei „lächerlich“, die Filipinos als unabhängig anzuerkennen; Amerika habe vielmehr die Pflicht, die rückständigen Filipinos zu „zivilisieren“.

Die Nachricht von einem Angriff philippinischer Aufständischer auf US-Stellungen in Manila beendete die Diskussion. Die historische Tragik: Wie sich später herausstellte, war es zwar am Abend des 4. Februar 1899 zu einem Scharmützel gekommen. Aber den ersten Schuss hatte ein amerikanischer Soldat abgefeuert. „Wir kommen als helfende Engel, nicht als Despoten“, versicherte Senator Knute Nelson aus Minnesota seinen Kollegen. Mit 57 zu 27 Stimmen ratifizierten sie den Friedensvertrag von Paris.

Amerikas Geschäftsleute zeigten sich begeistert. Die Philippinen galten als Tor nach China, einen riesigen, neuen Markt. „Wir können die Philippinen unmöglich Frankreich oder Deutschland, unseren Handelskonkurrenten im Orient, überlassen“, schrieb Präsident McKinley. Doch mit den Philippinen erbten die USA von Spanien auch die Auseinandersetzungen mit den Aufständischen.

US-Soldaten hatten noch nie außerhalb Amerikas gekämpft. Und abgesehen von den Indianerkriegen waren sie auch noch nicht gegen einen Gegner angetreten, der die Unabhängigkeit seines Landes verteidigte. Folglich hatten sie keinerlei Vorstellung von dem, was sie bei ihrem Feldzug gegen die „Googoos“, wie sie die Filipinos nannten, erwartete.

Mit dem Selbstvertrauen des Ahnungslosen zog die US-Armee in den Kampf. Der begann im Februar 1899 mit einer offenen Feldschlacht um Manila. Wie sie ausgehen musste, war von Anfang an klar: Die Aufständischen verfügten mit 15 000 Mann zwar zahlenmäßig über die größere Streitmacht, aber in Ausbildung und Ausrüstung war ihnen das amerikanische Expeditionskorps mit 12 000 Soldaten überlegen. Die amerikanischen Invasionstruppen gingen in aufeinanderfolgenden Angriffswellen an Land. Doch die Amerikaner wollten einen Feind bekämpfen, dessen Motive sie nicht kannten. Der „New York Times“-Korrespondent und Pulitzer-Preis-Träger Stephen Kinzer zitiert in seiner Geschichte des amerikanischen Imperialismus aus den Briefen der US-Soldaten nach Hause. In ihnen erklärten sie ihren Verwandten und Freunden, sie würden kämpfen, „bis die Nigger wie die Indianer abgemurkst sind“.

Die Aufständischen wechselten ihre Strategie. Angesichts ihrer Unterlegenheit in der direkten Konfrontation gingen sie zu Guerillataktiken über. Sie legten Fallen, Brände und Sprengladungen. Sie vergifteten den Gegner, schlitzten ihm die Kehle auf und verstümmelten Gefangene. Die amerikanischen Offiziere, unter ihnen Veteranen aus den Indianerkriegen, reagierten mit grausamer Vergeltung: Als zwei US-Kompanien südöstlich von Manila aus dem Hinterhalt überfallen wurden, befahl der kommandierende General, jede Ortschaft in einem Umkreis von 18 Kilometern dem Erdboden gleichzumachen.

Dies blieb in der Welt erst einmal unbemerkt, denn während der ersten Hälfte des Krieges verhängte die US-Armee eine Zensur. Erst nachdem die 1901 aufgehoben wurde, erfuhren die Amerikaner, wie die Kämpfe wirklich verliefen.

Als Kriegswende galt der Nachmittag des 23. März 1901: Brigadegeneral Frederick Funston hatte auf der Insel Luzon von Aguinaldos Aufenthaltsort erfahren. Mithilfe philippinischer Späher gelang es Funston, den Guerillaführer und seine Offiziere zu verhaften. Einen Monat später veröffentlichte Aguinaldo eine Erklärung: Er akzeptierte die amerikanische Souveränität und forderte seine Anhänger auf, den Kampf einzustellen. Tausende folgten dem Aufruf. Aber die Schlussfolgerung von General Arthur MacArthur, der das Oberkommando auf den Philippinen führte, der Aufstand sei „fast vollständig niedergeschlagen“, war voreilig: Die verbliebenen Aufständischen kämpften noch verbissener. Am 28. September 1901 überfielen sie eine US-Stellung im Dorf Balangiga auf der drittgrößten Insel Samar. Die Brutalität der Attacke – von 74 Amerikanern überlebten 20 – ließ den Krieg abermals eskalieren.

Die amerikanische Strafexpedition wurde von Jacob H. Smith kommandiert. Der Oberst hatte sich bereits ein Jahrzehnt zuvor daheim am Massaker bei Wounded Knee im Dakota-Reservat beteiligt. Das hatte den letzten Widerstand der Indianer gebrochen. Auf den Philippinen befahl Smith seinen Männern, jeden umzubringen, der älter als zehn Jahre und in der Lage war, eine Waffe zu tragen. Die Insel sollte in „eine einzige große Wüstenei“ verwandelt werden.

Da sich die aufständischen Angreifer als Zivilisten getarnt hatten, unterschieden die Amerikaner nicht zwischen Beteiligten und Unbeteiligten. Als Vergeltung brachten sie schätzungsweise 2000 bis 3000 Filipinos um, brannten die Felder nieder, schlachteten das Vieh ab und zerstörten Dutzende von Siedlungen.

Bis zum Balangiga-Massaker hatten viele Amerikaner daheim geglaubt, ihre Soldaten handelten auf einem höheren moralischen Niveau. Nun riss eine Flut von Enthüllungen die Heimatfront aus ihrer Ahnungslosigkeit. Reporter erfuhren von Heimkehrern Details über Folterpraktiken. Die berüchtigtste Methode war die „Wasserkur“: Dem Gefangenen wurden Bambusstäbe in die Speiseröhre gesteckt. Sie dienten dazu, seinen Magen mit schmutzigem Wasser zu füllen, bis sich sein Bauch qualvoll blähte. Um das Wasser wieder herauszupressen, sprangen Soldaten schließlich auf den Bauch.

Eine Welle der Empörung ging 1901 durch die amerikanische Presse: „Wir sind tatsächlich so weit, dass wir eben die Dinge tun, um deren Abschaffung willen wir in den Krieg zogen“, protestierte der „Baltimore American“. Die „Indianapolis News“ klagte, die Vereinigten Staaten hätten „Methoden der Barbarei“ übernommen. Und die „New York Post“ urteilte, die amerikanischen Truppen hätten „den gezielten Massenmord zu ihrer Strategie gemacht“. Dem Proteststurm folgte eine Gegenkampagne. Die „New York Times“ zeigte Verständnis für die US-Soldaten: „Brave, ihrem Land treu ergebene Offiziere“ hätten auf die „grausamen, verräterischen und mordlustigen“ Filipinos reagiert. Das „Providence Journal“ warnte seine Leser, sich der „Einsicht“ zu verschließen, „dass Feuer mit Feuer bekämpft werden muss“.

Präsident McKinley sollte das Ende der Diskussion nicht mehr erleben. Er wurde am 6. September 1901 Opfer eines anarchistischen Attentäters während eines Ausstellungsbesuchs in Buffalo, New York. Sein Nachfolger, Theodor Roosevelt, war zwar kein Befürworter des Krieges auf den Philippinen, aber er gewann seinen Freund Henry Cabot Lodge, die Ehre der Truppen zu verteidigen. Der Senator aus Massachusetts räumte in einer Rede vor dem Senat ein, dass es so etwas gegeben habe wie „die Wasserkur und grausame Behandlungen, um Informationen zu erlangen“. Doch wer „in Amerika in einem behüteten Zuhause, weit weg vom Schlachtengetümmel und den Strapazen des Krieges“ lebe, der könne nicht verstehen, welche Herausforderung es bedeute, „einem halbzivilisierten Volk mit all den für Asiaten typischen Anlagen und Eigenschaften das Gesetz zu bringen“.

In den Anhörungen im Senat war die Strategie des totalen Krieges kaum Thema. Der Untersuchungsausschuss verzichtete sogar auf einen Schlussbericht. Lediglich die Offiziere, die für die „Hölle von Samar“ und den Terror gegen die Zivilbevölkerung auf Luzon verantwortlich waren, wurden verurteilt und unehrenhaft aus der Armee entlassen.

Am 4. Juli 1902, dem Tag der amerikanischen Unabhängigkeit, erklärte Präsident Roosevelt die Philippinen für befriedet. Der Kampf der Filipinos um ihre Unabhängigkeit war vorerst gescheitert, ihre bedeutendsten Anführer waren entweder tot oder gefangen. Nur im muslimischen Süden wurde noch bis 1913 gekämpft. Erst 1946 sollten die Philippinen die Unabhängigkeit erlangen. Doch die „Befriedung“ des Archipels war für die USA weit kostspieliger geworden als ursprünglich geplant: In dreieinhalb Jahren waren 4347 der insgesamt mehr als 130 000 eingesetzten US-Soldaten gefallen. Auf philippinischer Seite starben mindestens 20 000 Guerilleros – ein Viertel der Aufständischenarmee – sowie nach neueren Schätzungen bis zu einer Dreiviertelmillion Zivilisten. Das entspräche zehn Prozent der damaligen Bevölkerung.

Angesichts der Opferzahlen spricht Stephen Kinzer von „den schlimmsten Repressalien, die amerikanische Offiziere jemals befohlen haben“. Der amerikanische Erfolgsautor zieht ein Fazit, das erschreckend aktuell erscheint: „Den Filipinos blieben diese Jahre als eine der blutigsten Zeiten ihrer Geschichte in Erinnerung. Die Amerikaner vergaßen rasch, dass es den Krieg jemals gegeben hatte.“

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