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Geschichte: Karl der Käfer trägt jetzt Designermode

Seit mehr als dreißig Jahren gibt es Ökotextilien. Plötzlich werden sie trendy. Den aufgeklärten Besserverdienenden zieht es zur Latzhose.

Als Heinz Hess seine Firma gründete, gab es schon die ersten richtigen Ökos. Sie trugen Pullover aus Wolle, die so nah wie möglich am Rohmaterial dran war. Im schlimmsten Fall roch der Träger nicht nur nach Schaf, er sah auch so aus. Öko musste wehtun. Die Pullover und Socken selbst gestrickt, Körner fürs Müsli grob gemahlen, wie der Kaffee schmeckte war egal – Hauptsache er kam aus dem Dritte-Welt-Laden, Marke Sandino Dröhnung. Nur die Schuhe waren bequem. Der Begriff Shoppen war noch nicht erfunden, das Einkaufen gehörte nicht zu den anerkannten Freizeitbeschäftigungen. Man hat einfach nicht so viel darüber nachgedacht, was man sich als Nächstes kauft.

Heute ist Öko sexy. Wie das T-Shirt mit goldfarbenem Anti-Atomkraftsymbol vom Berliner Designer Michael Michalsky, das er zusammen mit lilafarbenen Schuhen und wallenden Hippiekleidern im Juli auf der Fashion Week zeigte. Das Palästinensertuch ist allerdings der Hype vom vorletzten Jahr, also nicht mehr tragbar.

Die Trendsetter langweilt der Anblick von Biosiegeln und der Aufschrift „organic cotton“ inzwischen schon wieder. Sie wittern eine Marketingfalle. Man könnte sie mit dem Stichwort Bio ködern wollen. Aber sie haben sich daran gewöhnt biologisch wertvoll einzukaufen. Lebensmittel schmecken nun mal besser, wenn weniger Geschmacksverstärker und Pestizide drin sind und von organischer Baumwolle bekommt man vielleicht keinen Ausschlag.

Auf der Berliner Modemesse Premium bekommen die Aktivisten jetzt einen eigenen Bereich namens „Green Area“. Dazu halten sie Symposien ab mit dem Dänen Peter Ingwersen auf dem Podium: Der macht Mode unter dem Namen Noir, die zu 70 Prozent aus Ökostoffen hergestellt wird. Die Baumwolle bezieht er von seiner eigenen Firma, die in Uganda anbauen lässt. Clever ist, dass Ingwersen nicht damit hausieren geht, sondern alle in Erstaunen versetzt, dass elegante, schöne Kleider, die er so inszeniert, dass sie möglichst viel Sex ausstrahlen, tatsächlich ökologisch wertvoll sein sollen.

Ein wenig lauter müssen große Unternehmen ihre guten Produkte anpreisen – immerhin waren die Discounter früher leicht als die Bösen auszumachen. Ihnen ging es um Profit mit billiger Kleidung. Dafür benutzte man Pestizide, Weichmacher, Aufheller, Formaldehyd. Seither werden Sprüche von Greenpeace mit bitterem Ernst auswendig gelernt und wer einen hinten auf seinem Auto kleben hatte, wusch sich ein wenig von der Schuld rein, ein Umweltsünder zu sein.

Inzwischen wissen wir, dass wir Geld nicht essen können. Dazu haben auch die Grünen beigetragen, so viel, dass sie sogar eine Zeit lang mitregieren durften. Umweltbewusstsein gehört inzwischen zu den hippen Charaktereigenschaften und auch die Grünen heben sich stilistisch nicht mehr von ihren Kollegen von der CDU ab. Ein Vorreiter war sicherlich der ehemalige Außenminister Joschka Fischer, als er entdeckte, dass zu seiner Marathonfigur ein dreiteiliger Anzug besser passte, als ein Pullover, der während einer langweiligen Bundestagsdebatte gestrickt wurde. Ein Vorreiter war Fischer allerdings schon früher, als er 1985 in Turnschuhen, Jeans und Sakko den Eid als hessischer Umweltminister leistete.

Öko ist angekommen, raus aus der Nische der Schollenbewohner, rein in den Markt der Besserverdiener. Das merkt man auch bei Hess Natur. Die Zentrale des größten deutschsprachigen Naturtextilversandhauses Hess Natur im hessischen Butzbach sieht aus wie eine Waldorfschule. Die Wände sind rosa gewischt. Die Schilder an den Büros haben Kinder mit Wachsstiften gemalt, es gibt keine geraden Ecken. Die Menschen, die hier arbeiten, sind zwar schon groß, aber trotzdem fröhlich. Bei Hess Natur kann man Ökomode schon seit mehr als dreißig Jahren kaufen. 1976 wurde der Sohn von Firmengründer Heinz Hess geboren. Und weil der keine Strampler aus synthetischen Fasern tragen sollte, machte sich sein Vater auf die vergebliche Suche nach einem aus Biobaumwolle und gab schließlich selbst ökologische Babykleidung in Auftrag. Ein paar Jahre später ließ Heinz Hess seine eigene Baumwolle in Afrika anbauen.

Der heutige Geschäftsführer Wolf Lüdge ist auf das örtliche Gymnasium gegangen und sieht in seinem schwarzen T-Shirt nicht sonderlich esoterisch aus. Wie sich der neue Chef ökologisches Bauen vorstellt, können sich Hess-Kunden gleich nebenan auf dem angrenzenden Feld anschauen. Dort steht ein Haus, aus bunten Glasflächen zusammengesetzt, ohne Heizung, dafür mit einer befeuchteten Lehmwand und einer aus recycelten Backsteinen. Dazu passen die Produkte aus Baumwolle, Seide und Wolle ohne Chlorbleiche, Motten- und Flammschutz, Antistatika, Bioziden, Tributylzinn, Phenole und Formaldehyd, um nur eine kleine Auswahl an Giftstoffen zu nennen, die in Kleidung vorkommen können. „In unsere Bettwäsche können Sie gleich reinschlüpfen“, sagt Wolf Lüdge.

Der Leiter der Abteilung Innovation und Ökologie nennt sich selbst den „Schrecken der Designer“. Rolf Heimann findet jedes Mikrogramm Gift und wenn die Kreativen noch so gern Pailletten verarbeiten würden, Heimann schüttelt den Kopf, „die sind toxisch.“ Bei Hess Natur weiß man, sie sind auf der richtigen Seite. Aber jetzt hat sie die Geschichte eingeholt. Öko ist in Mode gekommen.

Öko bedeutete immer auch, ein bisschen spießig zu sein, alles Neue erst einmal skeptisch zu betrachten. Es könnte Pestizide enthalten, Allergien hervorrufen, oder weit weg könnten für ein T-Shirt Arbeiter ausgebeutet worden sein. Damit die sowieso nicht konsumfixierte Zielgruppe von Hess Natur, Frauen über 40, länger was von den guten Naturfasern hat, sind die Schnitte eher zeitlos, die Farben und Muster eher zurückhaltend. Vom modischen Standpunkt aus gesehen, ist das eher bieder und langweilig.

Mit dem Klischee eines Modeopfers ist das eigentlich nicht vereinbar. Das interessiert sich für den Namen auf dem Etikett des neuen Kleidungsstücks, nicht für die Inhaltsangaben. Hauptsache, es war besonders billig oder teuer. Selbst im Vorwort des aktuellen Hess-Natur-Katalogs steht: „Prinzipiell besteht ein Konflikt zwischen der Öko-Bewegung und der Modewelt. Dieser Konflikt ist lösbar …“

Die Rettung kommt überraschenderweise direkt aus der Modewelt. Dort gibt es im Moment tausende Microtrends: Die weite Hose, der große Wollpullover, das karierte Hemd und nur ein bestimmendes Thema: die Ökobewegung.

Während sich die Welt außerhalb von Butzbach gerade Gedanken macht, ob das mit dem Bio auf den Etiketten wirklich mehr ist, als eine Modeerscheinung, machen die bei Hess es umgekehrt: Nach mehr als dreißig Jahren wollen sie Mode machen. Und dafür haben sie Miguel Adrover eingekauft. Der Designer ist kein Absolvent einer elitären Designschule. Er ist anders und sieht auch so aus. Seit 14 Jahren hat er sich nicht die Haare geschnitten. In New York wird er verehrt, weil er eine perfekte Tellerwäscherkarriere vorweisen kann: Als Teenager Mandelpflücker in seiner Heimat Mallorca, dann Reinigungskraft in billigen Hotels in London, abschließend zieht Adrover weiter nach New York. Er hilft beim Designerstar Alexander McQueen aus, beginnt, seine eigene Kleidung zu entwerfen. Auf seiner ersten Modenschau präsentiert er ein Kleid aus dem Stoff einer alten Matratze, auf der sein Nachbar, der Entertainer Quentin Crisp, starb, und einen Rock aus einer umgestülpten Louis-Vuitton-Tasche. Kurz darauf wählt ihn der amerikanische Moderat zum „Newcomer des Jahres 2000“.

Jemand der mit zwölf Jahren die Schule verlässt, bis heute nicht richtig schreiben kann, muss sich auf sein Gefühl verlassen.

Die Geschichte von Adrover wird in diesen Tagen gern erzählt, auch weil sie eine tragische Wende nimmt: Am 9. September 2001 zeigt er eine Kollektion mit arabischen Einflüssen, zwei Tage später will sie keiner mehr kaufen. Dann geht sein Investor pleite. 2004 kehrt Miguel Adrover nach Mallorca zurück und kellnert fürs Erste in seiner eigenen Bar. Dort fand ihn vor zwei Jahren Rolf Hunsinger, der PR-Mann von Hess Natur. Mehrere Nächte saß er an der Theke und wartete auf den Designer im Vorruhestand. Wenig später flog Wolf Lüdge auf die Insel und handelt mit dem 42-Jährigen einen Fünfjahresvertrag aus. In der „International Herald Tribune“ feiert Suzy Menkes, die Päpstin unter den Modejournalistinnen, die Rückkehr eines für die Mode verloren geglaubten Sohnes. Die deutsche „Vogue“ berichtete auf fünf Seiten. So viel Aufmerksamkeit hätte sich Wolf Lüdge vor einem Jahr nicht träumen lassen.

Für Hess Natur ist Adrover ein trojanisches Pferd. Zum ersten Mal in seiner Firmengeschichte zeigt das Versandhaus Anfang September auf der New Yorker Fashion Week von Miguel Adrover entworfene Modelle, die nichts mehr mit tragbarer Ökomode zu tun haben. Kleider aus übereinander geschichteten Leinenstreifen, Bustiers aus gefilzter Wolle und Kostüme mit zarten Schmetterlingsflügeln aus Seide. „Miguel wollte demonstrieren, was man mit ökologischen Materialien alles machen kann“, sagt Unternehmenssprecherin Verena Kuhnert. Jetzt können auch Amerikaner Hess Natur bestellen. Gerade werden 50 000 Kataloge in den USA verschickt. Ganz vorne ist ein Mantel aus toskanischem Lammfell für umgerechnet 1299 Euro abgebildet – nicht gerade ein Klassiker der Ökomode. „Miguel wollte den unbedingt machen. Die Felle sind ein Abfallprodukt aus der Schlachterei, chromfrei gegerbt“, sagt Rolf Heimann. Trotzdem gab es erboste Anrufe von Stammkunden, was denn bei Hess los sei, plötzlich ganze Schafe für ein Kleidungsstück zu verschwenden.

Die zwei Ikonen der Ökomode sahen unspektakulär aus: Die lila Latzhose und der kratzige Wollpullover, dazu die passenden Accessoires: Der gelbe Anstecker mit „Atomkraft? Nein Danke!“ und das weiße Frauenzeichen auf lilafarbenem Grund.

Die Hoch-Zeit beider Kleidungsstücke ist lange vorbei. So lange, dass die Modewelt sie genau deswegen wieder schick findet. Latzhosen kriegt man in diesem Herbst auch für über Fünfjährige, Lila ist die Farbe der Saison und Wollpullover sollen möglichst selbst gestrickt aussehen – nur kratzen dürfen sie nicht mehr.

Noch vor 16 Jahren war Mode Mode, und Öko war Öko. 1992 machte eine Journalistin des Modemagazins „Elle“ auf der Düsseldorfer Modemesse die interessante Entdeckung: „Ökomode muss nichts mit Pumphosen und Palästinensertüchern zu tun haben.“ Zu „pumpenden Disco-Rythmen“ hatte Britta Steilmann gerade ihre Ökokollektion gezeigt und die Tochter des damals größten europäischen Textilherstellers sprach davon, „Verantwortung zu übernehmen, statt Ressourcen auszubeuten.“ Nur wenige Saisons später musste sie ihre Firma schließen – zu wenige Menschen wollten sich mit ökologischer Kleidung ein gutes Gewissen kaufen.

Die Gefahr, dass bei all den T-Shirt-Aktivisten demnächst die Biobaumwolle knapp wird, besteht nicht. Da kann Rolf Heimann beruhigen: „In Afrika liegen große Flächen brach, einfach weil es nicht genug Hacken gibt, um die Felder zu bearbeiten.“ Ein heikles Thema ist für ihn die Biojeans, die neben dem T-Shirt aus organischer Baumwolle zur Grundausstattung der neuen Mode-Ökos gehört. Denn auch wenn das Rohmaterial in Ordnung ist, bis die fertige Hose auf dem Ladentisch liegt, muss sie viele Waschungen, Färbungen und Veredlungen hinter sich bringen. Für eine Jeans werden, vom Baumwollanbau bis zum Färben, 8000 Liter Wasser verbraucht. Aber eine Jeans aus „organic cotton“ hat heute von Levi's bis H&M jeder im Programm.

„Wir hissen nicht die grüne Flagge“, sagt Scott Morrison vom New Yorker Jeanslabel Earnest Sewn. Die Kollektion wird zwar nach strengen Kriterien hergestellt, was die Bedingungen der Arbeiter betrifft. Aber den Gebrauch von Biobaumwolle für Jeans schätzt Morrison kritisch ein. „Für die Veredlung von Denim sind moderne Techniken wie Bleichen und das Einsetzen von Harzen zur Oberflächenbehandlung notwendig, die den Gebrauch von Biobaumwolle ad absurdum führen.“

Die meisten kleinen Firmen wie Earnest Sewn gibt es nicht länger als zwei, drei Jahre und genau in diesem Zeitraum hat sich viel getan: „Es geht richtig voran, wir kommen aus der Nische heraus“, sagt Heike Scheuer vom Internationalen Verband für Naturtextilien (IVN). Der IVN vergibt das anerkannte Zertifikat „Global Organic Standard“. „Bei uns sind 1000 Unternehmen zertifiziert, dazu gehören Wal-Mart, Levi's und Hennes & Mauritz. Die machen das nicht, weil sie die Welt verbessern wollen, sondern weil sie damit Umsätze machen.“ Auch die Fragen, die sie am Telefon beantwortet, haben sich verändert. „Keiner fragt mich mehr was ,kbA‘ (Kontrolliert biologischer Baumwollanbau, d. Red.) bedeutet. Stattdessen möchte eine Frau wissen, wie heiß sie die Hose ihres Sohns waschen muss, damit die Schadstoffe rausgehen.“

Ähnlich geht es da auch Rolf Heimann: „Nur weil wir die Probleme mit dem Formaldehyd gelöst haben, sind wir nicht fertig.“ Mit dem modischen Anspruch ist auch der Wunsch nach mehr Stoffauswahl und Farben gestiegen.

Persönliches Engagement ist deshalb notwendig, weil es immer noch nicht genug Stofffabrikanten gibt, die schöne und ökologische Stoffe anbieten. Auf der Stoffmesse „Premiere Vision“ in Paris muss Heimann regelmäßig den Spielverderber geben. „90 Prozent der Anbieter kommen für uns nicht infrage, da muss ich Miguel immer wieder enttäuschen.“

Deshalb ist man auch bei Hess so entspannt – sie haben durch ihre lange Firmengeschichte viel mehr Erfahrung. Gäbe es in der Naturtextilbranche ein Quartett, Hess würde bei den Biowerten meist vorne liegen. Mit Miguel Adrover hoffen sie jetzt auch modisch einen Stich zu machen.

Öko ist also heute ein Grund zum Shoppen. Und das wird noch eine Weile so bleiben. Weil es Spaß macht und das Gewissen beruhigt. Am Ökologischsten wäre es allerdings, einfach mal nichts zu kaufen.

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