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Karneval: Üb immer Drei und Röthlichkeit!

Fasching, Fastnacht, Karneval: Die fünfte Jahreszeit ist viel witziger, als wir denken. Über Humor, das Lachen und die Narren.

Sigmund Freud hat ihm innerhalb der Erscheinungsformen des Komischen den höchsten Rang eingeräumt und seine sublime Kulturleistung gerühmt; für Charlie Chaplin war er der alte Schuh, den er sich genüsslich zubereitete und briet. Oder der Globus, den er als Pseudo-Hitler auf Kopf und Fuß und Hinterteil balancierte. Für manche ist er typisch britisch, für andere wesensgemäß jüdisch; dem Fremden oftmals das dünnste Buch, das er in deutscher Sprache kennt, während der Rheinländer ihm im Karneval huldigt, mit heidnisch-katholischer Lebensfreude. Dem Bajuwaren Karl Valentin wird er zur ständigen verbalen Stolperfalle, dem Schwaben schrumpft er zum Diminutiv.

Als himmlisches, närrisches Kind streunte er noch eben mit Paul Klee durch die Räume der Berliner Nationalgalerie, bei Mozart triumphiert er mit unermüdlichem Dacapo als Figaro und tobt sich heiter-schamlos aus in seinen Briefen ans Bäsle. Aristoteles indessen verging er wohl, ging ihm endgültig verschollen mit seinem Komödientraktat, obgleich gerade ihm, dem Vordenker des Abendlands, das Lachen als ein Proprium des Menschen, als diesem wesenhaft zu eigen galt. Für den Araber aber ist er ein Kamel, mit dem der Mensch durch jede Wüste kommt. Und für den Dalai Lama oder den chinesischen Weisen nichts als ein Lachen oder Lächeln, nicht Kamel, sondern Buddha-Natur: Humor.

Ein Weltbürger also, ein gewitzter Schelm, der überall in immer neuen Verkleidungen anzutreffen ist und sich überraschend wie Cherubino hinterm „Fürhängerle“ oder wie Diogenes als rebellischer Underdog in der Tonne zeigt. Er ist wie Till Eulenspiegel, wie Münchhausen, wie der dumme August oder der Clown ein Erbe des Tricksters, der als vormenschliches Wesen seit je alle Naturen und Kulturen durchwandert. War dieser jedoch noch jenseits von Gut und Böse angesiedelt, so ist der Humor(ist), gleichsam der zivilisierte Trickster, tief ins Diesseits aller Moral samt seiner Schuld- und Schuldenhaftigkeit verstrickt. Als echter Antiheld indessen vermag er sich ebenso listig wie fintenreich daraus zu befreien, sich spöttisch über derart irdische Anmutungen und Zwänge zu erheben. Er ist wie Kafka, wie Shakespeares Narren, wie Woody Allen ein Melancholiker, der das Schwarz und Weiß derselben Medaille ins Bunte aufmischt. Der Rösselsprung ist seine Bewegungsform, Maskierung seine List und Geistesgegenwart seine Waffe. Er ist ein Meister des Zufalls, die Höflichkeit des Verzweifelten, ein Überlebenskünstler, der aller kleinen oder großen Unbill, ja auch dem donnernden Schicksal selbst, zu jeder Zeit ein zumindest verbales Schnippchen zu schlagen weiß.

Umso erstaunlicher, dass sich das Wort Humor erst spät in die europäischen Sprachen eingenistet hat, da doch seine Sache, die Fähigkeit zu lachen, auch über sich selbst, so alt sein dürfte wie der Mensch und die nachparadiesische Menschheit selbst. Auch etymologisch zeigen sich im Wort Humor die Wurzeln des Menschlichen, das heißt, der Homo sapiens et ridens offenbart darin seine Abkunft aus Staub und Erde (= humus), zu der er bibelgemäß wieder werden soll, wenn er das Jammertal in allen seinen Höhen und Tiefen erfahren und durchlitten hat. Und nicht zu vergessen, dass Humus in arabisch-orientalischen Kulturen, den jüdischen Speisezettel eingeschlossen, eine schwere Speise aus Kichererbsenbrei bezeichnet.

Kurzum, das Wort Humor entstammt der Medizin, der Lehre des Hippokrates (5./4. Jh. v. Chr.), nach der die Gesundheit des Menschen von der richtigen Mischung der „Säfte“, den humores naturales abhängt, als da sind: Blut (sanguis) – gelbe Galle (chole) – Schleim (phlegma) – schwarze Galle (melaina chole). An diesen Säften erkennen wir bereits die vier Temperamente oder Charaktere – eine Typisierung, deren Reinformen allerdings weniger die Realität als die Komödien bevölkern. Zunächst aber bezeichnen diese Säfte noch neutral die Launen, die Stimmungen des Menschen, ob gut oder schlecht, ob traurig oder heiter oder gelangweilt, und in diesem launenhaften, launischen Sinn wird Humor als humour zum Beispiel noch von Shakespeare gebraucht. Auch er kannte noch nicht das Wort im Sinne der ihm allzu bekannten, in seinem Werk allzu manifesten und uns beglückenden Sache: Humor. Was wir heute so nennen, hieß bei ihm zumeist wit – noch in schillernder Nicht-Synonymität mit unserem heutigen „Witz“.

Auch Goethe, weniger humorverdächtig als Shakespeare, lässt in „Clavigo“ einmal den intriganten Freund Carlos fragen, als der auf den nachdenklich von seiner Braut kommenden Clavigo trifft: „Ein schwermüthiges gepresstes guten Tag! Kommst du in dem Humor von deiner Braut?“ (IV. Akt) – wobei hier dem Launenhaften schon ein launiger Beiklang abzuhören ist.

Wer aber hätte gedacht, dass ausgerechnet jenem aufgeklärten Denker der Pflicht und reinen Vernunft, Immanuel Kant, zeitgenössischen Zeugnissen zufolge in höchstem Maße ein „freier Diskurs, mit Witz und Laune gewürzt“ zur Verfügung stand? Doch nicht nur dies. Auch die genaueste Unterscheidung der Begrifflichkeit von „Laune“, in der sich bereits die Bedeutung von „Humor“ als „launige Manier“ ankündigt, finden wir bei ihm vorgeprägt. Nach seiner Darstellung in der „Kritik der Urteilskraft“ sei zunächst englisch humo(u)r neutral „Laune“, während good humour als (gute) Laune im 18. Jahrhundert dann die Bedeutung des heutigen „Humor“ gewinne. Wie innig mochte er schmunzeln, als er seiner großen Menschenrechtschrift den Titel „Zum ewigen Frieden“ gab, da er, wie er trocken im Vorwort vermerkt, dabei das Wirtshausschild eines holländischen Gastwirts vor Augen hatte, auf dem ein Kirchhof aufgemalt war.

Goethe aber, dem der Humor eines Lichtenberg „problematisch“ war, konnte nicht hindern, dass mit Jean Paul das Wort „Humor“ endgültig Einzug in die deutsche Sprache hielt und die ersten Definitionen erfuhr, die es mit dem heutigen Sinn verbinden. Jean Paul ist es, dem wir mit den entsprechenden Kapiteln in seiner „Vorschule der Ästhetik“ die erste umfassende Erörterung und Reflexion des Phänomens Humor und dessen Adelung verdanken, abgesehen von seinem vor Humor strotzenden Erzähl- und Romanwerk selbst. Mit seiner Kurzdefinition des Humors als des „umgekehrten Erhabenen“ hat er alles in allem eine philosophische Attitüde beschrieben, eine Haltung dem Leben gegenüber, die sich zugleich immer des Kontrastes, der Disproportionalität des Endlichen und Unendlichen, des Kleinen und Großen lächelnd bewusst ist. Ihm gleicht das humoristische Lachen „dem Flug des Vogels Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz zukehrt, aber doch in dieser Richtung zum Himmel auffliegt. Dieser Gaukler trinkt auf dem Kopfe tanzend den Nektar hinaufwärts.“

Ein Narr, ein Gaukler also, der, wenn nicht die Welt, so doch den Blick auf sie oder sich selber auf den Kopf stellt, um ihr eine neue unpathetische, weil unerhabene Perspektive abzugewinnen.

Wo aber am, im Körper sitzt eigentlich das Lachen, das Lächeln, der Humor? Der witzfreudige Kant hatte das Lachen im Zwerchfell lokalisiert und trocken als die „plötzliche Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ bestimmt, zugleich aber nichts weniger als seine Heilsamkeit gerühmt. Elias Canetti leitete in seiner großen anthropologischen Studie „Masse und Macht“ das Lachen aus der „entgangenen Beute“ (statt sie zu fressen) ab, womit er es unausgesprochen der Peristaltik zuwies. Sein Ausdruck zeige sich in dem wie zum Fressen bereiten, entblößten „Gehege der Zähne“ (Homer), das wir in seiner ursprünglichen Aggressivität zuweilen noch zu empfinden vermöchten.

Diese dem Lachen sichtbar innewohnende Gefährlichkeit hat wiederum vor einigen Jahren der französische Mittelalterforscher Jaques le Goff zum Gegenstand seiner Abhandlung über das Lachen im Mittelalter gemacht, insbesondere über das Lachverbot, das besonders in Klöstern daraus resultierte. Zugleich untersuchte er darin auch jene Sitten, die lautes Lachen untersagten oder, zumal den Frauen, vorschrieben, beim Lachen den Mund mit der Hand zu bedecken. Sein älterer russischer Kollege Michail Bachtin hatte indes bereits um 1940 in seinem berühmt gewordenen Buch „Literatur und Karneval“ jener lachfernen mittelalterlichen Gelehrtenwelt – und vielleicht auch jener stalinistischen Welt – die lachfreudige Volkskultur entgegengestellt: den alle Verkehrungen, alle Tabubrüche feiernden Karneval.

Wie fragwürdig, konträr und umstritten im Einzelnen – all diese Werke und Thesen belegen doch auf ihre je eigene Weise, was in aller Zensur, in allen Lachverboten und damit auch aktuell, anlässlich des Karikaturenstreits, gleichermaßen zum Ausdruck kommt: Angst vor Kontrollverlust beim Lachen ebenso wie jene Angst aller Macht und Autorität, dass ihr im Lachen alle Kontrolle entrissen werde, Angst auch vor der Blasphemie des Lachens, sind nur zwei Seiten derselben Medaille – sie sind der unbehagliche, schwarzgallige Fond auch des Humors. Der ist beileibe kein Weichzeichner, vielmehr, wo nötig, ein Ketzer, ein Rebell. Nichts ist ihm heilig, respektlos und blasphemisch entlarvt und verlacht er die falschen Posen und Mächte und tut dies doch immer nur im Dienste der einzigen Würde und Wahrheit, die er anerkennt: der Würde des Menschen.

Die gilt ihm alles, bei sich und bei anderen. Er ist der wahre Humanist, der das Göttliche eher in sich als außer sich findet. Dies Menschenrecht ist ihm Gesetz. Mit unbestechlichem Blick erkennt er wie das Kind des Kaisers Nacktheit – und bleibt doch selber jederzeit bestechlich, wenn es seiner eigenen Würde an den Kragen geht: „Höre“, so sagte ein Reicher einst zu Herschel, dem jüdischen Eulenspiegel aus Ostropol, „wenn du mir, ohne nachzudenken, eine Lüge sagst, gebe ich dir einen Rubel.“ – „Wieso einen“, erwiderte Herschel, „Ihr habt mir doch zwei versprochen.“

Wo aber sitzt das Lachen, der Körperausdruck von Witz und Humor? Wie auf fast alles derzeit hat auch hier die Hirnforschung die Antwort parat. Nach ihr sitzt der Schalk im rechten Stirnlappen, und nach den neueren Lachforschungen, wie sie der Humanbiologe und Anthropologe Carsten Niemitz an der Freien Universität Berlin unternimmt, muss Canettis und anderer Statement, dass Tiere nicht lachen, infrage gestellt werden. Niemitz’ Untersuchungen haben ergeben, dass Menschenaffen lachen, wenn auch mehr in Form eines Hechelns, das es allenfalls zu einem tonlosen Hehe, noch nicht aber zum menschlich volltönenden Haha bringt. Unser Lachen ist also vererbt, sitzt tief in unseren Genen und reaktiviert die ältesten Regionen des Gehirns aus der Zeit, als der Mensch noch keine Sprache besaß. Niemitz weist in seinen Untersuchungen nach, wie tief das Lachen in der Evolution verankert ist und dem Schutz des Menschen dient(e) als Geste der Beschwichtigung und Unterwerfung. Das Auslachen sei eine menschliche Neuerwerbung. Lachen, so fragt man sich da, die Menschen heute anders als früher, oder lachen sie über anderes? So viel steht fest: Im Humor hat sich das ursprüngliche, aggressive Lachen gleichsam gezähmt und sublimiert. Immerhin, Intelligenz und „Humor“ eines Schimpansen reichen sogar so weit, ohne zu lachen, den Hitlergruß zu zeigen – wie seinerzeit, im „Dritten Reich“, ein Schausteller vorführte, der für diesen originellen Beitrag zur Frage des Humors als eines ausschließlichen proprium humanum freilich eingesperrt wurde.

Was einer hinter den Ohren hat, lässt sich indessen oft genug an körperlichen Merkmalen auch außerhalb der Stirnlappen und Mundwinkelzonen wahrnehmen: wie Wangengrübchen, ein einseitig zitternder Nasenflügel, mittig zuckende Augenbrauen, ein Zwinkern oder jene eine deutlich nach oben zielende Braue bei Loriot – wie vielleicht aber auch der schon Symbol gewordene Buckel Lichtenbergs, in dem sein metaphysischer, ebenso hintergründiger wie aufgeklärter Humor sich förmlich gesammelt, gehäuft, gebuckelt zu haben scheint.

Im weniger metaphysischen Alltag aber mag jeder bei sich selber einmal wahrnehmen, wie bei sich ankündigendem Lachen, übers Gelächter bis hin zum Lachkrampf, oder bei unaufhaltsamem, unterdrücktem Kichern der sich verziehende Mund womöglich nur noch wie eine Verlängerung des Steißbeins und der weich werdenden Knie, wie ein bloßes Reagenz der alles in allem versagenden Sinn-, Halte- und damit auch Kniestützen wirkt. Nicht zu vergessen auch die Verwandlung harmloser Buchstaben, das Weichwerden der Konsonanten: zum Beispiel eines „t“ in ein „d“: „Üb immer Drei und Röthlichkeit“, so rief seinerzeit der Berliner Lokalhumorist Adolf Glassbrenner seinen braven Landsleuten zu. Ein unheiliges „Te Deum“, das uns nur allzu leicht im Drüben fischen lässt (Walter Benjamin) oder das, wie der aufgeklärte Lichtenberg wusste, Gott zum Vergelder alles Guten macht – und das auch hierzulande bei der täglich geübten Wiederjudmachung am Werke ist.

Womit wir unversehens bei der Verwandlung, vielmehr beim Sturz des haltlos Albernen in jenen schwarzen Humor angelangt sind, dem der surrealistische Dichter André Breton kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs seine berühmte Anthologie des Schwarzen Humors widmete. Erst mit dieser Sammlung, die alsbald von der Vichy-Zensur verboten wurde und die eine Vielzahl großer melancholisch illuminierter Geister und Künstler von de Sade, De Quincey über Poe, Baudelaire, Nietzsche bis zu Kafka, Picasso und Gide Revue passieren lässt, wurde die Verbindung von „Humor“ und „schwarz“ zum geflügelten, absturzsicheren Begriff. Als sei erst in dieser Verbindung zum Begriff gelangt, was als Unbehagen in allem Humor überdauert und was einmal jährlich im Karneval als Dämonenaustreibung, als Austreibung, Verlachen und Verpfeifen aller falschen Herrschaftsmächte, schamlos-fröhliche Urständ feiert.

Von Marleen Stoessel erschien zuletzt: Lob des Lachens, Eine Schelmengeschichte des Humors. Insel-Verlag 2008, 218 Seiten, 15 Euro.

Marleen Stoessel

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