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Manfred von Richthofen

© dpa

Legende: Der blutrote Baron

Er war der Popstar des Ersten Weltkriegs: Im April 1918 wird Manfred von Richthofen abgeschossen und stirbt. Die Mythen verdecken: Es ging ums Töten, und darin war er gut.

Azurblau ist der Himmel, der sich über der nordfranzösischen Picardie wölbt. „Was für ein schöner Tag zum Fliegen“, sagt der Held, bevor der Propeller seines Dreideckers knatternd startet. Er wirft einen letzten Blick auf die Geliebte, mit der er die Nacht in seinem Zelt neben dem Rollfeld verbracht hat. Sie lächelt zurück. Dann wird das Bild schwarz und erstarrt.

So endet in dem Spielfilm „Der Rote Baron“ das Leben des Manfred von Richthofen: mit einer Abblende. Der Film, der am 10. April in die Kinos kommt, suggeriert, dass der legendäre deutsche Kampfflieger von seinem kanadischen Kontrahenten Arthur Roy Brown abgeschossen wurde. Matthias Schweighöfer spielt Richthofen, er gewinnt zu Beginn des Films ein Luftduell gegen den von Joseph Fiennes verkörperten Kanadier, rettet ihm nach dessen Absturz das Leben. Der Kampf ist hier eine Ehrensache, der Erste Weltkrieg vor allem ein Liebesmelodram.

In Wirklichkeit war der 21. April 1918, Richthofens Todestag, ein trüber, in der Frühe nebliger Sonntag. Der Flieger, ein junger Mann von 25 Jahren, hatte keine Liebesnacht hinter sich, nicht einmal eine Freundin gab es. Aber er hatte 80 gegnerische Flugzeuge abgeschossen, im Ersten Weltkrieg ein einsamer Rekord. Der größte Held des Kaiserreichs sollte, so wollten es die Vorgesetzten, dem Vaterland möglichst lange erhalten bleiben. Urlaub war ihm bereits genehmigt, die Schlafwagenbillets für die Fahrt in die Heimat lagen auf seinem Tisch. Es gab keinen Befehl, an diesem Tag aufzusteigen. Richthofen handelte, wie so oft, eigenmächtig.

Es herrscht Ostwind, eine nicht ungefährliche Konstellation. Der Wind treibt die deutschen Flugzeuge schnell ins Feindesland, sie können mit ihren Maschinengewehren nur nach vorne schießen, sind auf dem Rückweg ungeschützt. Richthofen führt in seinem berühmten roten Fokker-Dreidecker seine Jagdstaffel 11 an. Neun deutsche Maschinen sind in der Luft, hinter einem Wolkenfeld treffen sie in 1000 Meter Höhe auf sieben englische Kampfflieger und zwei Aufklärer. Aus größerer Höhe nähern sich sieben weitere Engländer.

Richthofen attackiert trotzdem. Als Opfer hat er eine Maschine auserkoren, an deren ungelenken Bewegungen er erkennt, dass sie von einem Anfänger gesteuert wird. Second Lieutenant Wilfrid Reid May hat tatsächlich erst einen Luftkampf absolviert, in wildem Zickzack versucht er zu entkommen. Mit 185 Stundenkilometern jagen die Flugzeuge durch das Somme-Tal, manchmal nur knapp über Baumwipfelhöhe. Doch Richthofen wird bald selbst verfolgt, von Captain Brown, der seinem Kameraden zu Hilfe eilt. Richthofens Maschinengewehr versagt, im linken Lauf klemmt ein Zündhütchen, im rechten ist der Schlagbolzen gebrochen. Der Deutsche versucht, die Waffe mit der Hand zu bedienen, ruckelt auf seinem Pilotensitz hin und her. Seine Fokker wird von Salven aus Browns MG durchlöchert, im Sinkflug gleitet sie über eine Hügelkette, hinter der sich australische MG-Schützen verschanzt haben. Hunderte Soldaten schießen auf Richthofen. Eine Kugel trifft ihn ins Herz, er ist sofort tot, sein Dreidecker schlägt unweit einer Ziegelei auf der Erde auf.

Auch die alliierte Propaganda brauchte Helden, deshalb wurde der Kanadier Brown als Bezwinger des berüchtigten „Roten Teufels“ gefeiert. Im Militärmuseum von Toronto können noch heute makabre Devotionalien besichtigt werden: der Motor und der Aluminiumsitz aus dem Flugzeug, in dem Richthofen starb. Wahrscheinlicher ist aber, dass er von einem der australischen Infanteristen getötet wurde.

Das Fliegerass starb demnach nicht in einem turnierartigen Duell Mann gegen Mann, er wurde, wie Millionen andere Soldaten auch, Opfer des industrialisierten Krieges, bei dem es nicht auf Mut und Geschicklichkeit, sondern einzig auf Feuerkraft ankommt. Dieses effiziente, anonyme Töten war die Realität des Ersten Weltkriegs, doch die Flieger in ihren Propellermaschinen schienen als Ritter der Lüfte das Gegenbild zu verkörpern. Eine Aura von Abenteuer und Dandytum umwehte diese Individualisten, die sich mit ihren Flugzeugen über die Schützengräben erhoben, in denen Infanteristen zu Tausenden von Granaten pulverisiert wurden. Selbst ihr Tod, wenn die Maschinen kometengleich mit brennendem Schweif zur Erde stürzten, geriet noch zu einem von Beobachtern auf beiden Seiten der Front bewunderten Spektakel.

In der Nahsicht hat Richthofens Tod nichts Heldenhaftes mehr an sich. Australische und britische Soldaten finden ihn, den Schädel auf dem Armaturenbrett seines Dreideckers zerschmettert. Das Blut ist bis in seine Pelzstiefel geflossen, der Tote, berichtet später ein Zeuge, sieht aus „wie ein abgestochener Ochse“. Die Soldaten durchsuchen ihn nach Souvenirs. Unter seiner Pelzkombi – in ihren offenen Maschinen waren die Piloten auf bis zu 6000 Metern eisigen Temperaturen ausgesetzt – trägt Richthofen noch einen Seidenpyjama. Der Rittmeister pflegte sich nach seinen Einsätzen mit einem kurzen Schlummer von den Strapazen zu erholen.

Fast zwei Jahre lang hatte Richthofen unter den alliierten Fliegern Angst und Schrecken verbreitet. Um seinen Tod unzweifelhaft zu dokumentieren, wird die Leiche gesäubert, der Kopf mit den ins Leere starrenden Augen fotografiert. Einen Tag nach dem Abschuss wird er, begleitet von Briten und Australiern, auf einem kleinen Dorffriedhof in Bertangles mit allen militärischen Ehren beerdigt. Drei Ehrensalven werden abgefeuert, ein Trompeter bläst den Zapfenstreich.

Seine Gegner fürchteten Richthofen, aber sie verehrten ihn auch für seine vermeintliche Fairness. In England und den USA ist der „Red Baron“ bis heute populär, Songs, Filme, Comics wie die „Peanuts“ verwandelten ihn in eine Figur der Popkultur. In Deutschland ist Richthofens Ruhm hingegen inzwischen verblasst. Aus gutem Grund, wie der Historiker Wolfgang Schmidt findet. „Für Leute, die sich ausschließlich für fliegerische Leistungen interessieren, mag einer wie Richthofen immer noch ein Vorbild sein“, sagt der Fachleiter Luftwaffe vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam. „Aber sie müssen dabei großzügig über das Schicksal der von ihm zu Tode Gebrachten hinwegsehen.“

Die Flieger waren Teil des industriellen Vernichtungskriegs, sie wiesen den Granaten der Bodentruppen den Weg . Als die Aufklärer angegriffen wurden, machten neue Taktik und Bewaffnung binnen kurzer Zeit aus den Beobachtern Jäger. Dem niederländischen Ingenieur Anthony Fokker gelang es Ende 1915 im Auftrag der deutschen Heeresleitung, ein Maschinengewehr so mit dem Flugzeugmotor zu synchronisieren, dass es durch den rotierenden Propeller schießen konnte.

Die „Ritterlichkeit“ der Jagdflieger ist eine Legende, es ging, so Schmidt, „einzig um die Vernichtung des Gegners“. Die Angreifer setzten ihre ganze Geschicklichkeit darauf, sich dem Feind so zu nähern, dass diesem keine Gelegenheit zur Gegenwehr blieb. „Das Einfachste ist, einen Einsitzer von hinten zu überraschen, was sehr oft glückt“, bekannte Richthofen in seinem autobiografischen Kriegsbestseller „Der rote Kampfflieger“. Mindestens die Hälfte aller abgeschossenen Piloten des Ersten Weltkriegs hat das angreifende Flugzeug niemals gesehen. Richthofen war ein begnadeter Flieger, aber Joachim Castan, Autor der ersten umfassenden deutschsprachigen Biografie, attestiert ihm vor allem „eine augenscheinlich zunehmende, brutale Gefühlskälte“.

Über seine Einsätze hat der Kriegsheld selbst mit distanzierter Sachlichkeit berichtet: „Ich schieße nie in die Maschine, schieße immer gleich den Führer ab. Wenn noch ein Beobachter dabei ist, natürlich den Beobachter zuerst, damit ich aus

dessen Maschinengewehrfeuer komme.“ Der Jargon, in dem Richthofen von seinen „Abschüssen“ spricht, erinnert an die Jägersprache. Das Jagen war seine zweite große Leidenschaft, schon als Knabe hatte ihn der Vater zu Jagdgesellschaften mitgenommen.

Manfred von Richthofen ist das typische Produkt preußisch-wilhelminischen Militärdrills. 1892 in Breslau geboren, wuchs er auf dem Gut seiner Familie im niederschlesischen Schweidnitz auf. Sein Vater hatte seinen Militärdienst nach einem Unfall vorzeitig quittieren müssen. So war der älteste Sohn dazu auserkoren, die glanzvolle Karriere zu machen, die dem verbitterten Vater verwehrt geblieben war. Mit elf Jahren wird Manfred auf eine Kadettenanstalt gegeben, heute würde man ihn einen „Kindersoldaten“ nennen. „Gefühle sind für Zivilisten da“, lautet eine Maxime der dortigen Erziehung. Bildung ist zweitrangig, wichtiger sind Härte und Disziplin. Als Leutnant leistet er ab Ende 1912 in einem elitären Ulanenregiment Kavalleriepatrouillendienst an der russischen Grenze.

Den Kriegsausbruch im August 1914 nimmt Richthofen wie viele junge Männer seiner Generation mit Begeisterung auf. Sein Regiment kämpft in Belgien an der Front. Doch nachdem der deutsche Vormarsch zum Erliegen gekommen ist, hat die Kavallerie ausgedient. Der Freiherr lässt sich im Mai 1915 zur neu aufgestellten Fliegertruppe versetzen.

Flugzeuge gelten zu diesem Zeitpunkt ausschließlich als „Auge der Armee“. Schon ab Juni 1915 hockt Richthofen in einem der wegen ihrer Behäbigkeit als „Äppelkahn“ verspotteten Zweisitzer, zunächst hinten als Beobachter, nach der Erlangung seines Pilotenscheins zur Jahreswende 1915/16 auch am Steuer. Mitunter bringen die Flieger etwas Abwechslung in ihren Aufklärungsalltag, indem sie feindliche Stellungen angreifen und auf die panisch um ihr Leben rennenden Soldaten ballern. „Mein Beobachter schoss feste mit dem Maschinengewehr unter die Brüder, und wir hatten einen wilden Spaß daran“, berichtet Richthofen vergnügt über eine solche Attacke.

Entscheidend für Richthofens weitere Karriere wird die Begegnung mit Oswald Boelcke. Der gehört zu den ersten deutschen Jagdfliegern, seit ihn Kaiser Wilhelm II. für acht Abschüsse mit dem „Pour le Mérite“, dem höchsten preußischen Orden, ausgezeichnet hat, ist er ein Nationalidol. Boelcke versucht sich auch als Theoretiker, stellt „Regeln des Luftkampfs“ auf, die zum Teil heute noch bei der Luftwaffe gelten: „Greife immer aus der Sonne an. Feuere das MG aus nächster Nähe ab. Wenn du den Angriff begonnen hast, bringe ihn auch zu Ende.“ Richthofen, bald schon als extrem furchtlos beschrieben, wird sein gelehrigster Schüler. Als Boelcke im Oktober 1916 abstürzt, darf Richthofen bei der Beerdigung das Ordenskissen tragen.

Da ist er bereits selbst auf dem Weg zum Medienstar. Die Zeitungen berichten über seinen Rekord von drei Luftsiegen, die ihm im September 1916 innerhalb von zwei Wochen gelingen. Nach seinem 16. Luftsieg wird er mit dem „Pour le Mérite“ dekoriert, im Mai 1917 empfängt ihn Wilhelm II. in seinem Hauptquartier. Für jeden Abschuss belohnt sich Richthofen mit einem Silberbecher, in den er von einem Berliner Juwelier den gegnerischen Flugzeugtyp und das Datum des Siegs eingravieren lässt. Nach seinem Tod wird seine Mutter Kunigunde in seinem Jugendzimmer in Schweidnitz ein bizarres Museum einrichten. Kunigunde ist es auch, die Richthofen zum ritterlichen Helden stilisiert. Drei englische Flieger sollen sich nach dem Krieg bei ihr dafür bedankt haben, dass der Sohn ihr Leben schonte. Die Gegenrechnung macht Castan in seiner Biografie auf, Richthofen tötete bei seinen 80 Luftsiegen mindestens 75 Gegner. Auf einige schoss er noch, als sie bereits am Boden waren.

Nachdem Richthofen allein im April 1917 zwanzig englische Flugzeuge vom Himmel geholt hat, melden deutsche Zeitungen, der Kriegsgegner habe ein „Anti-Richthofen“-Geschwader aufgestellt und eine „Kopfprämie“ von 5000 Pfund ausgesetzt. Eine Zeitungsente, aber das Selbstbewusstsein des Kriegshelden kennt zu diesem Zeitpunkt ohnehin kaum noch Grenzen. Er hat die Tarnfarbe seines Flugzeugs durch einen knallroten Anstrich ersetzen lassen. Die Feinde sollen ihn erkennen und fürchten. Nun folgen die Kameraden seiner Jagdstaffel 11 dem Beispiel. Die Farben wechseln. Das ist die Geburtsstunde des „Fliegenden Zirkus“. Der Begriff beschreibt das knallige Auftreten der Truppe, meint aber auch eine Taktik. Weil die deutschen Flieger spätestens mit dem Kriegseintritt der USA im Herbst 1917 einem zahlenmäßig erdrückend überlegenen Gegner gegenüberstehen, setzen sie auf Improvisation. Manchmal über Nacht verlegen sie ihren Flugplatz.

„Ich war getroffen! Für einen Augenblick war ich völlig gelähmt am ganzen Körper. Das Übelste war: Durch den Schlag auf den Kopf war der Sehnerv gestört, und ich war völlig erblindet. Die Maschine stürzte ab. Mir zuckte es durch den Kopf: Also so sieht es aus, wenn man sich kurz vor dem Tode befindet.“ Der „Schlag“, von dem Richthofen hier spricht, ist ein Kopfschuss, der ihn am 6. Juli 1917 trifft. Seine Maschine trudelt 3000 Meter in die Tiefe, im letzten Moment gelingt dem Piloten die Notlandung.

Später wurde spekuliert, die Kopfverletzung habe Richthofen gewissermaßen in einen Kampfroboter verwandelt, weil sie ein „fixiertes Verhalten“ auslöste, das ihn Angst und Gefahr vergessen ließ. Medizinisch ist das Unfug. Aber die Nahtoderfahrung blieb nicht ohne Folgen. Richthofen wird in der Folge als fatalistisch und noch verschlossener beschrieben. Das Angebot, in den Generalstab zu wechseln, lehnt er ab. Er will bei seinen Kameraden bleiben, will zurück ans Steuer. Doch er notiert nun auch: „Mir ist nach jedem Luftkampf erbärmlich zumute.“

Ende Januar 1918 besucht Manfred von Richthofen noch einmal seine Heimatstadt Schweidnitz. „Wie hart seine Züge geworden waren“, erinnert sich Mutter Kunigunde später. „Seinem Wesen fehlte das Fröhliche.“

Elf Wochen bleiben ihm noch, dann startet Richthofen zu seinem letzten Flug.

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