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Leverkusen

© dpa

Leverkusen: Das Kreuz des Westens

Leverkusen, die Stadt mit Bayer im Vornamen. Die Demontage des berühmten Logos wurde verhindert. Aber ist Leverkusen noch Bayer?

Da stand der Oberbürgermeiser, dicke Stapel Papier in den Händen, rechts und links von ihm zwei junge Menschen, ebenfalls mit dicken Stapeln Papier in den Händen, und alle drei strahlten in die Kamera. Hinter ihnen hing eine Kollage an der Wand, eine Schülerarbeit, die all die aktuellen Sehenswürdigkeiten der Stadt Leverkusen darstellt. Es ist eine kleine Kollage.

Und damit sie nicht noch kleiner werden muss, haben die jungen Menschen all die Blätter Papier gesammelt. Sind rumgelaufen durch die Stadt und haben Unterschriften eingeholt. Mehr als 20 000 haben sie zusammen bekommen, Stimmen gegen die geplante Demontage des berühmten Bayer-Kreuzes. An diesem trüben Dezembermorgen fand die Übergabe statt, gedacht als kleiner Schubser für Oberbürgermeister Ernst Küchler, seinen Einfluß beim Bayer-Konzern geltend zu machen. Aber das war dann gar nicht mehr nötig. Zwei Tage zuvor hatte die Werksleitung eingelenkt: Das Kreuz bleibt. Und der Bürgermeister muss sich nicht winden zwischen Volksbegehren und Werksinteressen, sondern darf sich freuen über ein solch gefühliges Votum für die Heimat. Auch wenn es streng genommen ja ein Votum für einen Konzern ist. Aber das ist in Leverkusen im Grunde das gleiche. „Das Kreuz ist ein bedeutsames Symbol der Stadtgeschichte“, sagt Küchler, „und offensichtlich haben die Menschen der Stadt Angst vor dem Heimatverlust.“

Das Kreuz. Eins der größten freihängenden Lichtfirmenzeichen der Welt, 51 Meter im Durchmesser, mit einem Umfang von 160 Metern, 300 Tonnen schwer, wenn es stark windet, dann biegt sich das Netzwerk fünf Meter durch, 1712 Glühbirnen á 40 Watt erleuchten die sieben Meter hohen Buchstaben, man kann sie noch aus fünf Kilometern Entfernung lesen, und das Gesamtgebilde als Lichtpunkt noch auf bis zu 100 Kilometern wahrnehmen. Und wer die Bundesautobahn 3 runterfährt nach Süden, der hat es gesehen, Bayer senkrecht, Bayer waagerecht, das Y markiert den Schnittpunkt. „Wie das Kreuz des Südens dem Seefahrer richtunggebend und Hoffnung spendend leuchtet, so soll dieses Kreuz des Westens im Herzen des deutschen Industriezentrums dem deutschen Kaufmann, dem deutschen Unternehmen und dem deutschen Arbeiter aufleuchten als Zeichen unseres Mutes und unserer Zuversicht. Dem Ausland möge es ein Zeichen sein für die Sorgfalt und Qualität deutscher Arbeit.“ Sprach Carl Duisberg, der einstige Firmenvorstand 1933 bei der Einweihung des Kreuzes. Diesem Kreuz sind dann allerdings schnell die Lichter ausgegangen, wegen der Verdunklungsvorschriften, getroffen wurde es trotzdem und durch Bombeneinschläge beschädigt. Erst 1958 wurde ein neues Kreuz installiert und an den Strom angeschlossen.

Am Telefon hattes es ein paar Tage vor dem Treffen im Bürgermeisteramt geheißen: „Mhmm, aufs Kreuz wollen Sie rauf? Schwierig, sehr aufwendig. Das ist ja auch nicht ungefährlich.“

Die Antwort war etwas großspurig ausgefallen: „Man wächst doch mit der Aufgabe. Jetzt habe ich das Kreuz so oft von unten gesehen, jetzt will ich auch mal sehen, was das Kreuz sieht.“

Der freundliche Herr Ellmann von der Kommunikationsabteilung bei Bayer hatte dann alles Notwendige organisiert, Sicherheitsschuhe, einen Helm, zwei Sicherheitstechniker. Oben auf dem Dach des ehemaligen Farbenlagers B 9 windet es, es nieselt, es ist kalt. Die Brücke, die die Basis des Kreuzes bildet, besteht aus Gitterrosten, darunter ist 50 Meter lang nur das Nichts. Rechts und links von der Brücke hängen die Gondeln an dicken Stahltrossen. Enge Gondeln, in die ein Mensch passt und die an Winden hochgezogen werden, um an defekte Glühbirnen ranzukommen. Das Kreuz übrigens sieht heute nichts, der Himmel über dem Rhein, über den Autobahnen und über Leverkusen ist wolkenverhangen. Herr Ellmann sagt, dass ein Ausflug mit der Gondel in die nächsten 50 Höhenmeter heute nicht möglich ist, auch des Wetters wegen. Dem Himmel sei Dank. Andererseits, es ist in den 50 Jahren noch nie etwas passiert, eine tote Taube wurde einmal auf dem Dach gefunden. Ansonsten wird im Frühjahr und Herbst in Zusammenarbeit mit einem Ornithologen das Licht ausgestellt, damit die ziehenden Vögel das Firmenlogo nicht für eine Sonne halten. Schäden in all den Jahrzehnten? Ja, Kyrill tobte im Januar 2006 und danach mussten 280 Glühbirnen ausgetauscht werden.

Wieder unten auf dem Boden erläutert Ulrich Bernhardt, auch der aus der kommunikativen Abteilung, warum und weshalb der Konzern überhaupt auf die Idee kam, dieses präzise funktionierende Symbol der deutschen Industrie abzumontieren. Und dabei ahnt man, was der Oberbürgermeister meinte, als er vom drohenden Heimatverlust sprach. Das alte Kreuz ist nämlich nicht mehr „Corporate Design konform“. Es steht auch nicht mehr auf dem Firmengelände, seit der Bayer-Konzern die Chemieproduktion an Laxness abgetreten hat. Das neue Corporate Design wird dann im April des nächsten Jahres strahlen, auf dem Hochhaus W 1, das „eine wichtige Landmark für Bayer und die Region ist“. Und es wird gemäß dem „State of Art“ leuchten, „State of Art“, das ist die „Transformation von Gebäuden zu Architekturen mit medialer Erscheinung.“ Mit anderen Worten, das Hochhaus wird auf seinen gesamten 31 Stockwerken entkernt, mit einem Metallgewebe umhüllt, auf dem dann 3,5 Millionen Leichtdioden computergesteuert das neue Firmenlogo oder auch schon mal eine Aspirinpackung ausstrahlen, „eine äußerst innovative Präsentation der Bayer-Identität“. Am Rande: Über die Kosten dieses gewiss spektakulären Prestige-Objekts gibt der Konzern keine Auskunft. Es wird aber von der A 3 und von der A 1 aus zu sehen sein, das „alte Kreuz bediente nur eine Autobahn.“

Was offensichtlich ein Irrtum war. Es bediente, über 20 000 Unterschriften belegen es, auch Emotionen. Die jungen Leute mit den Unterschriftenlisten, Andrea Schmitz und Sebstian Pöschke, hatten dem Bürgermeister schon berichtet, was ihnen das Kreuz ist, Wahrzeichen, Heimat und Identität. Und jetzt sitzen sie in Leverkusen-Wiesdorf, im Haus der Fußball-Fans von Bayer Leverkusen. In deren Reihen startete der Protest, Fans waren es, die ihn organisierten mit den Listen, Konzerten und einer kleinen Demonstration. Und das ist einerseits erstaunlich, weil man dem Leverkusener Fußball bislang Seele und Gefühl eher weniger zuordnete. Obwohl nun auch schon über hundert Jahre alt heißt der Verein in der Berichterstattung immer noch „Retortenklub“ und „Pillenverein“, Verweise, dass auch der Fußball künstlich ist wie alles in Leverkusen.

Aber stimmt es nicht auch? Leverkusen, als Stadt mal gerade 77 Jahre alt, ein willkürlicher Zusammenschluß mehrerer Gemeinden, benannt nach Carl Leverkus, dem Begründer des Konzerns, eingezwängt zwischen zwei Metropolen, dem mondänen Düsseldorf und dem erdigen Köln, nichts Halbes, nichts Ganzes, nur ein Chemiewerk, stinkend und diffus und dubios, wie Chemie nun einmal ist.

Andererseits ist es auch nicht erstaunlich, weil der Fußball neben dem Werk eben das einzige ist, womit Leverkusen nach außen strahlt. Etwas, auf das man ein bißchen stolz sein kann, wenn man aus Leverkusen kommt. In den Songs, die einige der Fans aus der Initiative geschrieben haben und die Sebastian Pöschke im Fanhaus vorspielt, ist viel die Rede von dem Kreuz, das den Weg nach Hause weist. Rührende Songs sind das, und Andrea Schmitz, obwohl der Sieg da schon feststand, verdrückt ein paar Tränchen. „Der Bayer“, sagt sie, „ist die Stadt und der Fußball gehört auch zum Bayer.“ Sie sagt der Bayer, so wie sie alle in der Stadt der Bayer sagen, und die dort angestellt sind, sagen, dass sie beim Bayer arbeiten. Gerade so, als sei der Weltkonzern ein gütiger Patriarch, der Arbeit gibt und Familie.

Und so war es ja auch bis in die Neunzigerjahre. Der Bayer organisierte den Wohnungsbau, die Pensionskasse, das Schwimmbad, die Bibliothek, die Kulturveranstaltungen, die Kindergärten, zahlreiche kleine Lebensmittelläden und in der Innenstadt das große Bayer-Kaufhaus. Das Bayer-Kaufhaus hat kurz vor Weihnachten endgültig dicht gemacht. Es gab noch einen Abverkauf mit bis zu 50 Prozent Nachlass über Wochen hinweg. Und wenn man in der letzten Woche des Geschäftes durch die Stockwerke schlenderte, vorbei an den letzten Töpfen, Kleidern, Möbelstücken, durch die Elektroabteilung, in der nur noch ein einsamer Elektroherd stand, dann kam schon das Gefühl auf, dass hier gerade eine Epoche zu Ende geht, „wir haben immer beim Bayer eingekauft, schon die Eltern und die Großeltern“, sagen die Leverkusener, „jetzt ist das auch vorbei.“ Wehmut ist ein Gefühl, dass Außenstehende Leverkusen nicht zugetraut hätten.

Und der Bayer organisierte den Sport. Leverkusen, das war Chemiestadt, und weil der Bayer eben von Anfang an auch wert legte auf die körperliche Gesundung seiner Arbeiter und Betriebsportgruppen gründete, war Leverkusen eben auch Sportstadt. In einer Emnid-Umfrage von 2005 ermittelte der Konzern, was die Deutschen mit Bayer verbinden: Arzneimittel, Chemie, Sport und da insbesondere den Fußball. Die bundesdeutsche Leichtathletik hätte einige Erfolge weniger vorzuweisen ohne den Sport von Bayer. Willi Holdorf gewann die Goldmedaille für die Bundesrepublik und im Auftrag von Bayer, Ulrike Meyfarth dito. Der deutsche Basketball fand hier Anschluß an internationale Maßstäbe. Vermarktung, Management lernte der heutige Manager von Alba Berlin hier in den achtziger Jahren bei den erfolgreichen Leverkusener Basketballern. Fechter, Ruderer, Volleyballer, Behindertensportler alle nährten sich von den Sponsorgeldern vom Bayer und erwirtschafteten 60 Medaillen bei Olympischen Spielen, mehr als 200 Medaillen bei Weltmeisterschaften über 100 Titel bei Europameisterschaften und mehr als 800 Deutsche Meistertitel und vieles mehr und damit ist nun auch Schluß. Ab 2009 strukturiert der Bayer seine Sportförderung um, fokussiert sich auf den Profifussball mit 25 Millionen Euro jährlich, fordert dafür die ständige Qualifikation in einem internationalen Wettbewerb und zieht sich zurück aus nahezu allen anderen Sportarten. Auch das ist Teil der neuen Bayer-Identität, und wenn man sich mit Michael Schade, dem Direktor der Abteilung Unternehmenspolitik darüber unterhält, leuchtet die Begründung sofort ein. „Man muss realistisch sehen, dass allein der Fußball uns Werbung garantiert. Wie viele Zuschauer hat Volleyball und wie oft wird das im Fernsehen übertragen?“ Die BayArena, das Stadion der Fußballer wird demnächst optimiert, das heißt es wird in seiner Kapazität aufgestockt und bekommt ein Runddach, auf dem das Logo so groß platziert sein wird, dass man es gewiss auch noch vom Mond aus sehen kann.

Fairerweise muss man anmerken, dass der Konzern die freigewordenen Gelder nicht in die Managergehälter steckt, sondern in eine Schulstiftung und andere bildungsfördernde Maßnahmen. Was sicherlich lobenswert ist, aber eben auch nicht die Emotionen befriedigt, wie es der Sport tut. „Man hat schon ein bisschen das Gefühl“, sagt Sebastian Pöschke, „dass sich der Bayer langsam aus Leverkusen zurückzieht.“ Was objektiv möglicherweise nicht richtig ist, aber subjektiv von manchem Leverkusener als rigorose Veränderung genau so wahrgenommen wird. Das Schwimmbad wurde geschlossen, die Bibliothek steht auch nicht mehr unter der Hoheit des Konzerns und für die Kindergärten und die Einkaufsmöglichkeiten fühlt sich das Werk auch nicht mehr zuständig.

Bezeichnenderweise versucht sich Leverkusen gerade neu zu erfinden und nimmt dabei so etwas wie eine Abnabelung vom Konzern vor. Seit den späten Neunzigerjahren sind in Leverkusen durch die Umstrukturierung bei Bayer, die Auslagerung einiger Produktionszweige nach Köln, durch die Schließung der Agfa-Werke und des Ausbesserungswerkes der Deutschen Bahn 19 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Nicht alle konnten aufgefangen werden durch den neuen Chempark, eine Firmenansammlung aus der chemischen Branche auf dem alten Bayer-Werksgelände. Es ist schon so“, sagt Oberbürgermeister Küchler, „dass wir dabei sind eine Stadt aus eigener Kraft zu bilden.“ Was jedem Besucher optisch zumindest dringend notwendig erscheint. Die Stadt ist konturlos, hat keinen wirklichen Kern, und durch sie hindurch fräst sich immer noch die B 8, die wie Küchler berichtet in den achtziger Jahren verbreitert wurde, „im Irrsinn, eine autogerechte Stadt zu bauen. Damals sollte kein Bürger mehr als fünf Autominuten von einer Autobahn entfernt sein.“ Wenn man durch die heutige Fußgängerzone geht, kann man diese bauliche Sünde sogar verstehen, wenn sie aus dem Motiv heraus begangen wurde, nichts wie wegzukommen. Nur, dass die bauliche Maßnahme den Impuls noch verstärkt hat.

Gegenüber des alten Bayer-Kaufhauses wird großflächig abgerissen. Das Rathaus, obwohl mal gerade 30 Jahre alt kommt weg, einige andere Häßlichkeiten der Siebzigerjahre ebenfalls. Eine riesige Lücke klafft jetzt in der Stadt, etwas ungläubig stehen die Leverkusener immer mal wieder am Zaun, ganz plötzlich ist ihre Stadt nicht mehr, wie sie jahrelang war. Die Lücke soll gefüllt werden mit einem Ladezentrum und Bürogebäuden wie sie in Oberhausen im sogenannten Centro stehen, und die nur der schön finden kann, der grundsätzlich solchen Einkaufs-Malls Ästhetik zuspricht.

Beim Bürgermeister hängt ein Foto von der innenstädtischen Zukunft. Beim eher skeptischen Betrachten wird der Besucher in Bürgermeisters Vorzimmer mit einert strahlenden Vison zurechtgewiesen. „Und da feiern wir dann 2010 die Deutsche Meisterschaft.“ Na ja, wenn es denn klappt, und wenn der Bayer weiterhin dafür das nötige Geld zur Verfügung stellt. Einen deutschen Fußballtitel für Bayer Leverkusen, das wäre dann wirklich die revolutionärste Veränderung die Leverkusen erleben kann. Wäre doch schön, wenn das alte Kreuz die dann noch anschauen darf.

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