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Frauen und Männer in der Techbranche - ein heißes Eisen.

© dpa

Geschlechterfragen: Das Google-Memo und die (Kon-)Fusion der Symbole

James Damore, ein Google-Mitarbeiter, kritisiert die Diversitäts-Programme des Konzern und wird gefeuert – die Debatte darüber bewegt nicht nur die USA. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Archaische Anlagen männlicher und weiblicher Wesen der Gattung Mensch, ja, die gebe es, meint James Damore. Bei Licht besehen sind es alte, abgewetzte Hüte, mit denen der Software-Ingenieur handeln will. Dennoch ist er unlängst berühmt geworden, nämlich durch ein Memo an die Adresse seines Arbeitgebers Google im kalifornischen Silicon Valley. Frauen seien nunmal sozial, empathisch orientiert, Männer technisch, systematisch. In „vorgeburtlicher Testosteronzufuhr“ sieht Damore die Ursache biologischer Differenzen. Daher, so sein Fazit, die Dominanz von Männern in der Computer-Industrie. Sie liegt bei 60 bis 80 Prozent.

Freilich lässt Damore unter anderem unbeachtet, dass der Anteil an Frauen in den Fakultäten für Mathematik und Physik lange bei nahezu Null lag und seit Jahrzehnten steigt. Führende Wissenschaftlerinnen berichten im Fachmagazin „Quanta“, wie sie auf ihrem Karrierepfad von Kollegen entmutigt wurden. Dazu beigetragen haben auch eigens für Schülerinnen konzipierte Mathematikprojekte.

Vor zwölf Jahren verursachte der Präsident der Universität Harvard einen Skandal, als er die geringere Frauenquote in MINT-Fächern mit niedrigem weiblichen IQ begründete. Massiver Protest kam damals von Mathematikerinnen und Physikerinnen, und Summers nahm seinen (alten) Hut. Inhaltlich wäre der nun geschasste Google-Mann kein besonders neuer, interessanter Fall. Interessant allerdings sind die Onlinestürme, die er auslöste.

Damores Pamphlet „Googles ideologische Echokammer“ empört Hunderttausende, nicht allein in den USA, denn seine Kritik prescht mitten in die aktuelle Theorie und Praxis der Identity Politics. So beklagt er Googles Diversitäts-Programme zur Inklusion von Minderheiten als Irrweg, der eher zu mehr als zu weniger Diskriminierung führe. Hier sympathisiert nicht nur eine Programmiererin aus Silicon Valley, Elaine Ou, mit Damores Anregung, „Leute als Individuen zu behandeln, und nicht als Zugehörige von Gruppen“. In seiner Argumentation will sich der Google-Kritiker weder rechts noch links verorten, und er habe auch eine Aversion gegen Rassismus wie Sexismus, wenngleich nicht dieselbe „autoritäre“, „mundtot machende“ wie die des Konzerns. Eine geplante Mitarbeiterversammlung zum Memo hat Google vorerst abgesagt. Der Stoff scheint zu heiß, die Furcht, dass sich Ultrarechte einmischen zu groß.

Das Wort "bio-deutsch" wird von links und rechts genutzt

Vorgänge wie dieser deuten auf die aktuelle Fusion und Konfusion von Symbolen, gerade in den emanzipativ gedachten Identity Politics, den Forderungen minoritärer Gruppen nach Anerkennung und Teilhabe. Parallel formieren sich „identitäre“ Bewegungen bei Rechtsextremen, die sich als Gruppe biologistisch definieren und die sich, in Mehrheitsverlustpanik, als bedroht empfinden. Von Deutschland aus haben besorgte „Identitäre“ ein Aktionsschiff flottgemacht und nutzten das ikonographische Pathos von Organisationen wie Greenpeace, um ihr Anliegen zu nobilitieren. Auf dem Mittelmeer wollten sie Flüchtlinge vom Weg nach Europa abhalten (inzwischen sind sie allerdings selbst manövrierunfähig).

„Ungute Hybride" nennt Diedrich Diederichsen die Diskursparallelen zwischen progressiven Positionen und deren Gegenteil. Ressentiments gegen Touristen, Gentrifizierung oder Globalisierung tauchen rechts wie links des Mainstream auf, argumentativ kommen sie teils aus demselben präreflexiven Ambiente. Das Wort „biodeutsch“ wird in linken wie rechten Milieus verwendet, so irre wie irreführend, eben biologistisch konnotiert. Umgekehrt gilt der Begriff „melting pot“ (Schmelztiegel), ein Ausdruck für Amerikas liberale Fähigkeit, Einwanderer zu integrieren, an der University of California seit 2014 als „Mikroaggression“. Und gegen Handelsabkommen wie TTIP stemmt sich ein Donald Trump ebenso wie die linke Globalisierungskritik.

Eine politische Sphinx – also eine übergreifende, schlüssige Position – ist im Augenblick nicht in Sicht, die solchen verfahrenen Diskursparteien den Weg weist. Auch nicht im festgefahrenen Disput zwischen den Thesen von Judith Butler, wonach Genderkategorien Konstrukte sind, und der Erklärung von Alice Schwarzer, die darin den klassischen Feminismus – Kampagnen für gleiche Bezahlung und gleiche Rechte – verraten sieht. Es scheint zumindest keineswegs ausgemacht, ob ideologisierte Identity Politics in politische Sackgassen münden, zumal, solange sie die Klassenfrage ausblenden. Soviel lässt sich sagen, auch ohne dem kalifornischen Ingenieur recht zu geben.

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