zum Hauptinhalt

Politik: Geschmacksfragen

Die Mitglieder der Rürup-Kommission nehmen die Angriffe aus der SPD gelassen. Sie sehen sich bestätigt

Von Dagmar Dehmer

und Cordula Eubel

Über Ludwig Stieglers Entgleisungen kann Bernd Raffelhüschen nur lachen. Dass der SPD-Vizefraktionsvorsitzende Äußerungen aus der Rürup-Kommission als „Professorengeschwätz“ abtut, findet der Wirtschaftsprofessor aus Freiburg ziemlich komisch. „Das Professorengeschwätz hat doch noch gar nicht stattgefunden“, sagte er dem Tagesspiegel. Schließlich konstituiert sich die Kommission, in der neben Raffelhüschen elf weitere Menschen mit Professorentitel vertreten sind, erst am Freitag kommender Woche. Und außerdem wüssten alle, dass sie „in einer Kommission sitzen, deren Ergebnisse die meisten nicht gut finden werden“.

Amüsiert reagiert auch Gert G. Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf die Attacken Stieglers. „Das zeigt, dass er uns wichtig nimmt“, sagte er dem Tagesspiegel. „Gerade weil Professoren so viel zu sagen haben, werden sie in Kommissionen berufen“, kontert Wagner. Die Aufregung von SPD-Politikern, die wie Stiegler oder Generalsekretär Olaf Scholz vor Rentenreformen warnen, kann er nicht verstehen. Es sei „naiv und undemokratisch“, wenn man die Kommissionsergebnisse eins zu eins umsetzen wolle. „Die Verantwortung liegt ohnehin beim Parlament.“ Auch der engste Berater von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD), der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, kann an einer öffentlichen Diskussion über die Zukunft der Sozialsysteme nichts Schlimmes finden. „Besser, die öffentliche Debatte wird durch die Wissenschaft angeregt, als durch die Politik allein“, sagte er dem Tagesspiegel. Auch der Bayreuther Gesundheitswissenschaftler Eckhard Nagel findet, dass die Kommission über ihre Berufung hinaus keine weitere Legitimation braucht. „Ich hätte nicht zugesagt, wenn kein Reformbedarf bestünde“, sagte er. Verbraucherschützerin Edda Müller sieht die Berufung ebenfalls als Beweis dafür, „dass die Regierung diese Kommission braucht“.

Nur einen Tag nach dem Machtwort von Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte Stiegler sich mit einem Frontalangriff auf die Rürup-Kommission zu Wort gemeldet. Der Kanzler war nicht amüsiert – und sprach am Mittwoch ein neues Machtwort. Sein Fraktionskollege habe die Rürup-Kommission zu Unrecht in einer Weise angegriffen, „die nicht erträglich ist“. Im ZDF sagte Schröder: „Dass es den einen oder anderen – auch bayerischen – Ausrutscher gibt, damit muss man leben.“

Die gescholtenen Professoren ließen sich ohnehin den Mund nicht so einfach verbieten. So sagte Raffelhüschen, es sei notwendig, den Vorruhestand schnell unattraktiver zu machen und die Rentenabschläge von derzeit 3,6 Prozent auf bis zu 4,2 Prozent zu erhöhen. Er ist sich sicher, dass es in Sachen Lebensarbeitszeit gar keine großen Debatten in der Kommission geben wird. Da werde höchstens noch über „Geschmacksfragen“ diskutiert werden, wie darüber, ob der Ruhestand mit 67 oder 68 Jahren beginnen soll.

Mit Entsetzen las die Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren von den Angriffen. „Ich erwarte, dass man uns ernst nimmt und nicht von vornherein diffamiert“, sagte die Unternehmerin Dominique Döttling. Nur einen Fan hat Stiegler: den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Die Schnellschüsse der vergangenen Tage bringen uns nicht weiter“, sagte DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false