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Urliberal – oder scheinheilig? Gesundheitsminister Philipp Rösler will, dass Krankenversicherte wissen, wie teuer ihre Behandlung war. Foto: Davids/Darmer

© DAVIDS

Politik: Gesetzlich versichert, privat zahlen

Die Vorschläge von Minister Rösler zur Kostenerstattung der Krankenkassen stoßen auf Skepsis

Berlin - Mit den Beitragserhöhungen und dem Sparpaket hat Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) seiner Klientel einiges zugemutet. Nun will er bei Ärzten und Privatversicherern wieder punkten. In einem Argumentationspapier zur Reform, das Rösler dieser Tage an seine „lieben Freunde“ in den Fraktionen von FDP und Union verschickte, kündigte er entsprechende Projekte an. So soll der Wechsel zu Privatkassen deutlich einfacher und wieder möglich sein, wenn man die Versicherungspflichtgrenze (derzeit 4162,50 im Monat) ein Jahr lang – und nicht wie bisher drei Jahre lang in Folge – überschreitet. Und ganz oben auf der Liste steht ein weiteres Vorhaben: die „Ausweitung von Möglichkeiten zur Kostenerstattung“.

Die Absicht findet sich bereits im Koalitionsvertrag, und gemeint ist damit zweierlei. Erstens: Auch gesetzlich versicherte Patienten sollen per Arztrechnung zu sehen bekommen, wie teuer ihre Behandlung war. Und zweitens: Sie sollen diese Kosten selbst zahlen und im Nachhinein von ihrer Kasse erstattet bekommen. Freiwillig ist das alles aber bereits seit sechs Jahren möglich – was den Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem vermuten lässt, dass mit der angestrebten „Ausweitung“ wohl nur Zwang gemeint sein könne.

Bislang jedenfalls ist die Option alles andere als ein Renner. Nur 0,19 Prozent der Versicherten haben sich für einen entsprechenden Wahltarif entschieden. Als wichtigster Grund für die Enthaltsamkeit gilt die Befürchtung, bei nachträglicher Abrechnung mit der Kasse auf einem Teil der Kosten sitzen zu bleiben. Zudem fehlt vielen schlicht das Geld, um für teure Behandlung in Vorleistung zu treten.

Rösler ficht beides wenig an. Er erhofft sich von der Kostenerstattung mehr Transparenz und, daraus erwachsend, auch kostenbewusstere Patienten. Jeder habe „doch selbst ein Interesse, dass sich Leistungen und Ausgaben in einem vernünftigen Verhältnis zueinander befinden“, sagt er. Es ist der – urliberale – Glaube und Appell an den mündigen Bürger: Nur wer Preise kennt und selbst in der Zahlungspflicht ist, entscheidet sich auch mal für Kostengünstigeres, stemmt sich gegen unnötige Untersuchungen und klopft dem Doktor auf die Finger, wenn er nicht Erbrachtes abzurechnen versucht. Oder, wie Rösler formuliert: „Keine Bürokratie der Welt kann durch noch so viele Regeln das bewirken, was der mündige Patient selbst durch sein Urteilsvermögen und seine Einflussmöglichkeiten erreicht.“

Für mehr Effizienz durch Kostenerstattung gebe es keine Belege, kontert Wasem. Nach einer Umfrage vom Februar wünschen sich allerdings 91 Prozent der Bürger einen Kostenüberblick. Mehr Transparenz sei positiv, findet auch Karl Lauterbach (SPD). Patientenquittungen wären „ein Schritt nach vorn“, dasselbe gelte für eine einheitliche Gebührenordnung, mit der Leistungen in Euro und Cent bezahlt würden. Allerdings gehe es der FDP und ihrem Minister um ganz anderes: „Sie wollen ein noch komplizierteres System, um einkommensschwachen kranken Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen.“ Das Projekt sei ein Einfallstor für mehr Selbstbeteiligung, behauptet Lauterbach. Dahinter stecke die Absicht, den Patienten nur noch Basisversorgung zu vergüten und „den Rest aus eigener Tasche zahlen zu lassen“. Einen Vorgeschmack liefere das Koalitionsvorhaben, die Rabattverträge der Kassen für sogenannte Nachahmerarznei zu unterlaufen. Wenn in den Apotheken nicht mehr nur rabattierte Medikamente ausgegeben würden, bekämen die Patienten wieder teurere wirkungsgleiche Mittel empfohlen, deren Kostendifferenz sie dann alleine tragen müssten.

Auch Kassenexperten, wie der Chef des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, sprechen von „Scheinheiligkeit“. Natürlich habe die „fraglos positiv klingende Forderung“ nach mehr Transparenz eine Kehrseite, sagt Klaus Jacobs. So würde Kostenerstattung, wie man bei Privatversicherern besichtigen könne, „einen gigantischen bürokratischen Zusatzaufwand bedeuten“ – für Patienten und Krankenkassen ebenso wie für den Arzt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung bezifferte allein die Gebühren für die dann nötigen ärztlichen Verrechnungsstellen auf sechs, das Inkassorisiko gar auf 28 Prozent.

Angesichts solcher Begleiterscheinungen – mehr Bürokratie, Kontrollmöglichkeit durch Patienten – sei es doch erstaunlich, dass die Ärzteverbände so auf Kostenerstattung drängten, wundert sich Jacobs. Seine einzige Erklärung: „Sie versprechen sich dadurch höhere Honorare.“ Konkret gehe es den Medizinern darum, künftig auch bei Kassenpatienten privatärztlich abrechnen zu dürfen. Was bedeutet: zu höheren Sätzen und ohne Mengenbegrenzung – egal, ob die Kassen das am Ende rückerstatten oder nicht. Das wäre dann, sagt Jacobs, „der nächste gravierende Systemwechsel der neuen Regierung“.

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