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Immer mehr Menschen werden operiert.

© dpa

Gesundheit: Auf Kosten der Patienten

Laut Krankenhausreport steigt die Zahl der Eingriffe rasant – aus Kassensicht werden Patienten auch unnötig operiert. Doch es gibt regionale Unterschiede.

Aus der Sicht der Krankenkassen ist es vor allem Geschäftemacherei – und zwar auf Kosten der Patienten. „Exorbitant“ nennt AOK-Vorstand Uwe Deh die Steigerung der Fallzahlen in den deutschen Krankenhäusern. Und da der Zuwachs der vergangenen Jahre vor allem die „lukrativen und planbaren Eingriffe“ betreffe, lasse er sich „nachweislich nicht mit medizinischem Bedarf erklären“.

Dem aktuellen Krankenhausreport zufolge hat sich allein die Zahl der Wirbelsäulenoperationen bei AOK-Versicherten zwischen 2005 und 2010 mehr als verdoppelt. Bei den Herzschrittmachern legten die Kliniken in nur zwei Jahren um 25 Prozent zu. Und mit allem anderen zusammen schafften die deutschen Krankenhäuser im vergangenen Jahr wieder einen neuen Rekord. Die Zahl der Klinikbehandlungen stieg auf stolze 18,3 Millionen.

Aus Kassensicht kommen solche Steigerungen nur zustande, weil Patienten auch unnötig operiert werden. Selbst Therapeuten sind die Zuwächse nicht mehr geheuer. Jeder Eingriff sei ein „erhebliches Gesundheitsrisiko“, erinnert Fritz Uwe Niethard, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Und er betont, dass Über- und Fehlversorgung „genauso problematisch wie eine mögliche Unterversorgung“ sei.

Auch Untersuchungen seiner Fachgesellschaft legten nahe, „dass die Wahrscheinlichkeit für Wirbelsäulenoperationen stark von den vorhandenen Strukturen der Versorgungslandschaft geprägt“ sei. In Bayern, Schleswig-Holstein oder Hessen etwa kämen Patienten mit Rückenschmerzen oft unters Messer, in Sachsen und dem Saarland vergleichsweise selten. Und auffällig sei auch, dass es in Gegenden mit mehr niedergelassenen Orthopäden deutlich weniger Eingriffe gebe.

Auch bei bestimmten Herzoperationen beobachteten die Experten eine auffällige Steigerung. Zwischen 2008 und 2010 hätten die Implantationen und Auswechslungen von Defibrillatoren um ein Viertel zugenommen, berichtete der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Jürgen Klauber. Nur zehn Prozent davon seien durch die demografische Entwicklung erklärbar.

Mit 465 Implantationen auf eine Million Einwohner liege Deutschland um 84 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. In bestimmten Gegenden des Landes sei diese Leistungsmenge zudem viermal so hoch wie in anderen.

Insgesamt stieg die Zahl der stationären Behandlungen seit dem Jahr 2005 um 11,8 Prozent. Nur ein gutes Drittel davon jedoch sei auf die Alterung der Gesellschaft zurückzuführen, betont Klauber. Als wesentliche Ursache für die überproportionale Zunahme nennt er die Anreize des Vergütungssystems. Schließlich seien die Mengensteigerungen vor allem in Fallgruppen zu beobachten, die den größten wirtschaftlichen Gewinn versprächen.

Mit immer mehr Geld jedenfalls, wie von den Kliniken gefordert, werde man dieses Problems nicht Herr, ist sich AOK-Vorstand Deh gewiss. Seit dem Jahr 2000 seien die Klinikausgaben um mehr als 40 Prozent gestiegen. Doch das Gießkannenprinzip sei weder eine Garantie für den ökonomischen Erfolg der Häuser noch für optimale Patientenbehandlung.

Dem Report zufolge nämlich ist auch die Qualität der Klinikleistungen höchst unterschiedlich. So ergab die Auswertung von Herzkatheter-Untersuchungen, dass die Komplikationsrate in 74 von 614 Häusern unter fünf Prozent lag. 37 kamen jedoch auf mehr als 15 Prozent. In 41 dieser Kliniken hatten die Patienten ein doppelt so hohes Sterberisiko, in sechs Krankenhäusern war es sogar vervierfacht.

Aus der Sicht des AOK-Funktionärs müssen solche Unterschiede Konsequenzen haben. Deh kündigte nicht nur an, die Beratung von Patienten und einweisenden Ärzten diesbezüglich zu forcieren. Er forderte auch, schwarze Schafe künftig ganz aus der Versorgung herausnehmen zu dürfen. Bisher seien die Versicherer „gezwungen, jede Leistung zu finanzieren, unabhängig davon, ob sie gut oder schlecht ist“.

Wenn aber klar feststehe, dass Kliniken den Standard unterschritten, „sollten Krankenkassen die Möglichkeit erhalten, ihre Versicherten vor schlechter Qualität zu schützen und diese Leistung nicht zu bezahlen“. Dies sei auch „ein Akt der Fairness“ gegenüber gut arbeitenden Häusern.

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