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Daniel Bahr (34) ist seit dem 12. Mai 2011 Bundesgesundheitsminister. Er ist Mitglied des FDP-Bundesvorstands und seit 2010 ist er Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen.

© Mike Wolff

Gesundheitsminister Bahr: „Die FDP hat ein jüngeres und frischeres Gesicht“

Gesundheitsminister Daniel Bahr spricht mit dem Tagesspiegel über den Führungswechsel in seiner Partei, die Euro-Krise und private Vorsorge in der Pflege.

Herr Bahr, was hat sich an der Lage der FDP verbessert, seit Philipp Rösler Parteichef ist?

Die FDP ist besser aufgestellt. In der Innenpolitik haben wir durchgesetzt, dass es keine Verschärfung der Sicherheitsgesetze gibt, wir haben die Zuwanderung von Fachkräften erleichtert. Die FDP wird außerdem mit mehr Personen wahrgenommen. Sie hat ein jüngeres und frischeres Gesicht. Es ist aber auch klar, dass eine neue Führung nicht in kürzester Zeit verlorenes Vertrauen wiedergewinnen kann.

Sie gehören zu den Jungen in der Partei, die Guido Westerwelle als FDP-Chef loswerden wollten …
… da möchte ich einhaken, wir wollten ihn nicht loswerden …

Sie wollten einen Neuanfang, weil Westerwelle die Liberalen zur reinen Steuersenkungspartei gemacht hat. Ist die FDP das nicht immer noch?
Es muss wieder deutlicher werden, dass Liberalismus in allen Lebenslagen guttut. Die Menschen haben uns doch nicht nur wegen unserer Steuersenkungen gewählt. Wir haben schon mehr an wichtigen Themen zu bieten. Zum Beispiel im Bereich der Bürgerrechte sind wir stark aufgestellt.

Wie wichtig sind denn der jetzigen FDP Steuersenkungen?
Die Entlastung von Steuern und Abgaben ist ein Kernanliegen. Der Bürger muss mehr von dem behalten, was er sich erarbeitet hat. Wir haben uns jetzt den Spielraum für Entlastungen erarbeitet. Die Neuverschuldung sinkt. Und die Steuereinnahmen steigen.

Ist es angesichts der Euro-Krise nicht unseriös, ausgerechnet jetzt Steuersenkungen zu versprechen?
Eine Entlastung der Bürger stärkt das Wachstum und hilft so, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir bleiben dabei, dass wir den Haushalt konsolidieren wollen. Aber wenn von einem Euro Gehaltserhöhung gerade mal 44 Cent beim Bürger ankommen, demotiviert das.

Im Herbst muss der Bundestag über neue Griechenland-Hilfen entscheiden. Steht die FDP zur Euro-Rettung?
Ich rechne mit einer breiten Mehrheit in der Koalition. Die FDP ist die Europapartei, natürlich kämpfen wir für den Erfolg des Euro. Wir wissen, wie wichtig die gemeinsame Währung für Frieden und Wohlstand in Europa ist. Entscheidend ist, dass die Mechanismen zur Stabilisierung des Euro funktionieren. Wir müssen den Griechen helfen, aber gleichzeitig durch einen neuen Stabilitätspakt sicherstellen, dass das Land nicht dauerhaft auf EU-Hilfen angewiesen ist.

Die FDP will den Bürgern mehr Netto vom Brutto lassen. Und Sie horten Milliardenüberschüsse im Gesundheitsfonds. Wie passt das zusammen?
Wir wollen die Bürger bei den Abgaben entlasten, wo immer möglich. In der gesetzlichen Krankenversicherung mit Gesamtausgaben von 180 Milliarden Euro ist nach bisherigen Schätzungen ein Puffer von etwa 1,8 Milliarden Euro zum Jahresende vorhanden. Einen kleinen Puffer gleich schon wieder für eine Beitragssatzsenkung zu verfrühstücken, ist nicht nachhaltig.

Und die Pflegeversicherung? Müssen die Beiträge dort nicht sogar steigen, um die versprochenen Verbesserungen finanzieren zu können?
Beitragssenkungen sind wegen eines wachsenden Bedarfs durch eine alternde Bevölkerung nicht denkbar. Wir diskutieren in der Koalition über nötige Leistungsverbesserungen, und dann, wie wir sie finanzieren. Es muss nicht gleich alles teurer werden, auch mit den vorhandenen Möglichkeiten lässt sich schon einiges machen.

Lesen Sie mehr über die Pflegereform auf Seite zwei.

Die Eckpunkte waren für den Sommer versprochen. Wann wird es endlich konkret?
Bekanntlich endet der Sommer erst am 23. September. Ich bin nun seit zwei Monaten Minister. Wir werden noch im Sommer Eckpunkte vorlegen. Im Frühjahr 2012 wird die Pflegereform in Kraft treten. Es geht mir darum, eine gute und nachhaltige Lösung für die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen vorzulegen. Und wir werden mehr hinbekommen als unsere Vorgängerregierungen.

Die ergänzende Kapitaldeckung, die Sie einführen wollen, hilft aktuell wenig …
Das Problem ist doch, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt und die der Jüngeren zurückgeht. Wer auch in Zukunft menschenwürdige Pflege will, muss bereit sein, stärker individuell vorzusorgen.

Ihr Parteifreund Rainer Brüderle träumt vom Pflege-Riester. Die CSU will nur eine kollektive Reserve.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass Eigenvorsorge mit individuellem Anspruch verbunden sein soll. Es soll also nicht einen Topf mit Geld geben, in den die Politik einfach greifen kann. Und jeder muss wissen: Der Beitrag, den er als Eigenvorsorge leistet, wird für seine Pflege verwendet.

Was passiert mit den Rücklagen derer, die gar nicht pflegebedürftig werden?
Sie fragen nach Details, die noch nicht entschieden sind.

Die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) lehnt auch die Pflicht zur Zusatzvorsorge ab.
Im Koalitionsvertrag steht, dass es eine obligatorische Vorsorge geben soll. Das ist sicherlich auch sinnvoll, denn viele unterschätzen die Bedeutung dieser Absicherung. Bei der Rente ist die Notwendigkeit, privat vorzusorgen, schon lange akzeptiert. Dass man pflegebedürftig werden kann, verdrängen noch zu viele.

Es hat schon länger keinen Streit mehr zwischen dem Gesundheitsminister und der CSU gegeben ...
Haben Sie’s vermisst? Ich nicht.

Die Pflegereform böte das Potenzial.
Wir hatten unsere Lehrzeit. Inzwischen läuft die Zusammenarbeit sehr viel besser. Was nicht heißt, dass wir nicht in der Sache streiten. Es gibt ja gute Gründe, warum ich nicht in der CSU bin.

Umstritten ist auch, woher die fehlenden Pflegekräfte kommen sollen. Ist es unmoralisch, sie aus EU-Krisenländern wie Spanien oder Portugal anzuwerben?
Die Bedenken kann ich nicht nachvollziehen. In Spanien gibt es eine Arbeitslosigkeit von 20 Prozent und in Deutschland Fachkräftemangel. Die FDP will die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte weiter erleichtern. Das sichert auch unseren Wohlstand. Zuwanderung allein löst das Problem aber nicht. Wir müssen auch was dafür tun, dass mehr Schulabgänger einen Pflegeberuf wählen und diese Arbeit in der Gesellschaft besser gewürdigt wird.

Die FDP dümpelt bei vier Prozent. Haben Sie nicht manchmal den Albtraum, dass nach der nächsten Wahl alles vorbei ist?
Ich habe keine schlechten Träume. In einer Existenzkrise waren wir Ende der 90er Jahre, als die FDP kaum noch in Landtagen vertreten war und aus der Bundesregierung gewählt wurde. Das ist jetzt anders. Wir können durch gute Politik beweisen, dass die FDP für die Bürger gut ist. Außerdem sind wir in der Halbzeitpause der Legislatur. Da kann noch viel passieren.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Rainer Woratschka.

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