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Politik: Gesundheitsreform kostet Kinder

Nur noch halb so viele künstliche Befruchtungen / Ministerium: Kein Mittel gegen Geburtenrückgang

Berlin - Die Zahl der künstlichen Befruchtungen in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2004 angeblich um die Hälfte zurückgegangen. Es habe von Januar bis Ende Juni 2004 rund 15 000 „Reagenzglas-Befruchtungen“ („In-Vitro-Fertilisationen“) weniger gegeben als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres, meldet der „Focus“, der sich dabei auf eine Umfrage des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren beruft. Jede dritte dieser Befruchtungen ist erfolgreich – bislang kamen in Deutschland im Jahr gut 9000 Kinder durch „In-Vitro-Fertilisation“ oder durch die so genannte „Intractoplasmatische Spermieninjektion“ auf die Welt.

Mit der Gesundheitsreform wurde der Anspruch der gesetzlich Versicherten auf Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung eingeschränkt. Seit Anfang 2004 werden nur noch drei statt vorher vier Versuche von den Krankenkassen anteilig übernommen. Außerdem erstatten AOK, Barmer und Co. in der Regel einen Anteil nur noch dann, wenn die Frau zwischen 25 und 40 Jahre alt ist, sowie der Mann zwischen 25 und 50 Jahren alt. Bisher hatte es nur eine Obergrenze, aber kein Mindestalter für eine künstliche Befruchtung gegeben.

Mit der Reform sei die finanzielle Unterstützung der künstlichen Befruchtung durch die Allgemeinheit „auf ein vernünftiges Maß reduziert“ worden, erklärt Klaus Vater, Sprecher von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Politiker von SPD, Grünen und Union hatten sich im Sommer 2003 parteiübergreifend auf die Gesundheitsreform verständigt. Dabei wurde der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschränkt, um die Kosten für die Allgemeinheit zu senken. Auch die Sterilisation wird seitdem nicht mehr auf Kassenkosten bezahlt. Entbindungs- und Sterbegeld wurden ganz gestrichen.

Bei einer „Reagenzglas-Befruchtung“ übernehmen die Krankenkassen die Hälfte der Kosten. Nach Angaben von Experten muss für eine In-Vitro-Fertilisation in etwa mit Ausgaben in Höhe von 1000 bis 1200 Euro gerechnet werden. Der Eigenanteil, den Patienten aufbringen, wird jedoch nicht als Zuzahlung gerechnet, bleibt also bei der Belastungsgrenze in Höhe von zwei Prozent des Bruttoeinkommens unberücksichtigt.

Der Vorsitzende des Verbandes der Reproduktionsmediziner, Michael Thaele, rechnet damit, dass als Folge der Einsparungen jährlich 10 000 Kinder weniger zur Welt kämen. Angesichts der niedrigen Geburtenrate und „der allseits beklagten demografischen Katastrophe“ seien die Kürzungen „ein völlig falsches familienpolitisches Signal“ , beklagte Thaele im „Focus“. Ministeriumssprecher Vater entgegnete, an den Retortenbabys hänge „nun wirklich nicht die demographische Entwicklung“.

Schätzungen zufolge geht bei etwa 15 Prozent aller Paare in den Industrienationen der Kinderwunsch nicht in Erfüllung. Mediziner begründen das unter anderem damit, dass die Spermienqualität der Männer in den vergangenen drei Jahrzehnten weltweit abgenommen habe. Eindeutige Erklärungen gibt es für dieses Phänomen nicht. Ärzte vermuten jedoch, dass Stress, veränderte Umweltbedingungen, aber auch Rückstände von Hormonen in Nahrungsmitteln dafür verantwortlich sein könnten. Die Technologie der künstlichen Befruchtung ist noch nicht besonders alt. Das erste Retortenbaby – Louise Brown – wurde vor 26 Jahren in Großbritannien geboren.

Voraussetzung für eine künstliche Befruchtung ist in der Regel der Gang zum Standesamt. Normalerweise ist eine Behandlung nur erlaubt, wenn ein Paar verheiratet ist. Die Frau muss vor einer künstlichen Befruchtung aufwändige Tests auf sich nehmen. Bei der anschließenden Therapie erhält sie regelmäßig Hormon-Spritzen, damit die Eizellen heranreifen. Nicht selten wird durch den medizinischen Eingriff der Kinderwunsch sogar mehrfach erfüllt. Statistiken besagen, dass in etwa einem Viertel der Fälle Zwillinge zur Welt kommen. Bei zwei bis drei Prozent der Geburten sind es sogar Drillinge. Bei einer natürlichen Zeugung sind nur in gut einem Prozent der Fälle Mehrlinge zu erwarten.

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