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Mittendrin: Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) muss auf viele Akteure politisch Rücksicht nehmen.

© dpa

Gesundheitsreform: Operation am Herzen

Am Wochenende geht es um ein Kernprojekt der Koalition – doch alle hängen die Erwartungen tief. Am Thema Gesundheit könnte sich jedoch die Zukunft der Koalition entscheiden.

Berlin - Von einem Extrem ins andere. Bei der Gesundheitsklausur am Wochenende werde sich das „Schicksal der Koalition“ entscheiden, tönte es in der FDP noch vor kurzem. Inzwischen verbreitet das Gesundheitsministerium, dass es sich bei dem Treffen der Fraktionsexperten nur um den Versuch handle, „das Thema wieder auf die Arbeitsebene zu bringen“. Ein Ergebnis sei „nicht unbedingt zu erwarten“, ein Durchbruch schon gar nicht. Es werde noch weitere Treffen geben, betont Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Und nach den Worten von FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger ist die Einigung auf ein gemeinsames Konzept am Wochenende „gar nicht machbar“ . Niedriger kann man die Erwartungen kaum hängen.

Die Verniedlichungsstrategie passt zur Stimmung in der Koalition. Selbst die CSU gibt sich sanftmütig. Generalsekretär Alexander Dobrindt will sich – nach den gegenseitigen Beschimpfungen als „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ – fürs Erste nicht mehr bei „Flora und Fauna“ bedienen. Der Münchner Minister und Raufbold Markus Söder – der zur Besorgnis auch eigener Parteifreunde wohl an der Klausur teilnehmen darf – baut der FDP eine Brücke, indem er auf mehr Krankenkassen-Autonomie und den Umbau des allseits unbeliebten Gesundheitsfonds dringt. Und der Statthalter der CSU in Berlin, Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich, mahnt die Liberalen lediglich, „nicht immer nur über Einnahmeerhöhungen“ zu reden. Aber mit Philipp Rösler als Gesundheitsminister werde man schon „einen guten Kompromiss finden“.

Alles also wieder schön friedlich und gemütlich? Von wegen. Im Hintergrund brodelt es gefährlich weiter. Die FDP ist sauer und beharrt auf ihrer Kopfpauschale. Und die CSU spielt auf Zeit. Nach Tagesspiegel-Informationen hat Seehofer im Koalitionsausschuss am Dienstag gebeten, sich bei der Klausur noch nicht festzulegen. Die Begründung des Parteichefs, ganz offen: Am Samstag danach findet in Nürnberg ein kleiner CSU-Parteitag statt, dort wolle er sich nicht für unliebsame Entscheidungen rechtfertigen müssen.

Gut möglich freilich, dass sich Seehofer in Franken für seinen Widerstand auch wieder neu munitioniert. Und es gibt noch ein Problem: Die Koalition kann es sich nicht leisten, aus dem Treffen ganz ohne Einigung herauszugehen. Fürs nächste Jahr droht der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von elf Milliarden Euro. Und die klammen Kassen müssen endlich wissen, woran sie sind. Wenn es nicht bald eine Einigung gibt, bekommen sie ihre Haushaltspläne für 2011 nicht fertig. Ob großes Aufatmen, Zusatzbeiträge oder Insolvenz – alles hängt an den überfälligen Sparbeschlüssen.

Die CDU hat diesbezüglich nun ein paar Pflöcke eingeschlagen. Mit geringeren Ausgabensteigerungen für Kliniken und Ärzte, kleineren Zumutungen für Apotheker und Arzneigroßhandel und dem Einfrieren der Verwaltungskosten bei den Krankenkassen sollen nach dem Willen ihrer Experten 2,2 Milliarden gespart werden – zusätzlich zu den 1,5 Milliarden des Arzneisparpakets. Die CSU hat bereits Wohlwollen signalisiert. Und Rösler hat zumindest versprochen, sich die Vorschläge „genau“ anzusehen.

In der SPD indessen wetten sie darauf, dass der FDP-Politiker nicht daran denkt, seine Wählerklientel derart zu verprellen. Und was die allseits beifällig aufgenommene Ausgabensperre für die Kassen betrifft (erhoffte Einsparsumme: 350 Millionen Euro): Diese Sparidee ist so populistisch wie scheinheilig. Ob Zusatzbeiträge, Chronikerprogramme oder Präventionsbemühungen – die Ideen der Gesundheitspolitik sind seit jeher mit mehr Bürokratie verbunden. Und die kostet. Bei einem Stopp des Ausgabenanstiegs müsse es zumindest Ausnahmen für all die neuen Aufgaben geben, die der Gesetzgeber den Kassen verpasse, sagt Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied des GKV- Spitzenverbands. Als Beispiel nennt er die erwünschte Schnellbewertung neuer Medikamente samt aufwändiger Preisverhandlungen mit den Arzneiherstellern.

Was bleibt also noch an ernsthaften Sparmöglichkeiten? CDU-Experte Jens Spahn findet, die Begrenzung der Zusatzbeiträge auf ein Prozent des Einkommens müsse weg, weil sie „nicht praktikabel“ sei. Doch Rösler steht bereits im Wort, dass genau dies nicht geschieht. Keine Mehrbelastung ohne Sozialausgleich, hat er versprochen. Außerdem müsste die Zusatzbelastung dann auch bei den Regelsätzen für Hartz- IV- Empfänger eingepreist werden, brächte also anderswo höhere Ausgaben.

Ein immer wieder gern gehörter Vorschlag ist die Ausgliederung privater Unfälle aus dem Kassensystem. Sie brächte gut sieben Milliarden Euro, aber auch einen Rattenschwanz an Bürokratie und eine enorme Zusatzbelastung für Arbeitnehmer. Dasselbe gilt für eine Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch, mit der die CSU liebäugelt. Kaum vermittelbar, wenn man noch gewählt werden wolle, sagen Polit-Profis.

Bleiben die Hausarztverträge. Die Kassen wären die Verpflichtung, solche Tarife anbieten zu müssen, gerne wieder los, denn die Mediziner lassen sie sich mit 1,5 Milliarden im Jahr teuer bezahlen. Auch CDU und Liberale zeigen sich nicht abgeneigt. Man müsse sich auch „an große Brocken wagen“ und damit auseinandersetzen, findet FDP-Fraktionsvize Ursula Flach. Doch im Süden der Republik sind sie gar nicht begeistert. Wie gefährlich Unruhe an der Hausärztefront ist, hat CSU-Chef Horst Seehofer bereits leidvoll erfahren müssen. Die Hausarztmodelle würden von Patienten und Versicherten gut genutzt, kontert Dobrindt sofort. „Dann soll es auch dabei bleiben.“ Wenn Rösler ein neues Fass mit der CSU aufmachen will, muss er also nur mit solchen Sparideen kommen. Und Alternativen? Nennt der CSU-General natürlich nicht.

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