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Politik: Gesundheitsreform steht – Kritik von allen Seiten

Koalition will höheren Kassenbeitrag und Teilfinanzierung über Steuern / Beck stellt der SPD-Spitze indirekt Vertrauensfrage

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Berlin – Die große Koalition hat sich in der Nacht zum Montag nach knapp zehnstündigen Verhandlungen auf Eckpunkte einer Gesundheitsreform verständigt. Danach werden die Krankenkassenbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber 2007 um durchschnittlich je 0,25 Prozentpunkte erhöht. Auf die Arbeitnehmer kommen damit im nächsten Jahr Beiträge in Höhe von 7,8 Prozent zu, auf die Arbeitgeber 6,9 Prozent. Erst ab 2008 soll die gesetzliche Krankenversicherung auch über steigende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss aus, dass dafür in dieser Legislaturperiode die Steuern erhöht werden. In CDU und CSU wurde das Ergebnis am Montag überwiegend positiv aufgenommen. Bei Teilen der SPD stieß der Kompromiss auf Vorbehalte. Scharfe Kritik übten Opposition, Arbeitgeber, Gewerkschaften und Verbände.

Merkel, die sich am Montag in einer Telefonschaltkonferenz des CDU-Vorstands der ausdrücklichen Unterstützung der Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Baden-Württemberg, Christian Wulff und Günther Oettinger, versichert hatte, bezeichnete die Übereinkunft als „wirklichen Durchbruch“. Mit der Reform beginne eine neue Etappe der Finanzierung des Gesundheitssystems. Die Krankenkassenbeiträge würden langfristig für Arbeitgeber und Arbeitnehmer konstant gehalten. Die Junge Gruppe in der CDU/CSU-Fraktion behält sich nach einem Bericht des „Handelsblatts“ jedoch vor, das Reformpaket im Bundestag abzulehnen.

SPD-Chef Kurt Beck wertete es unter anderem als Erfolg für seinen Partei, Leistungskürzungen für die Versicherten verhindert zu haben. In der SPD-Führung musste er aber massivem Druck aufbauen, um die Einigung gegen Einwände des linken Flügels durchzusetzen. Teilnehmer der SPD-Vorstandssitzung berichteten, der Vorsitzende habe indirekt die Vertrauensfrage gestellt. So habe Beck wiederholt vor einer Beschädigung seiner Person sowie vor einem Verlust der Regierungsfähigkeit der SPD gewarnt. Der Vorstand stimmte den Eckpunkten daraufhin bei fünf Enthaltungen und zwei Gegenstimmen zu. Das 44-köpfige Gremium war aber zum Zeitpunkt der Abstimmung allenfalls zur Hälfte anwesend. Etliche Kritiker hatten offenbar verabredet, der Abstimmung fernzubleiben.

SPD-Präsidiumsmitglied Andrea Nahles bemängeltel die „faktische Einführung einer Kopfpauschale“. Dies sei eine „bittere Pille“ für die SPD, sagte sie dem Tagesspiegel. Teile des Verhandlungsergebnisses seien der Partei nur schwer zu vermitteln. Neben der Kopfpauschale nannte Nahles die Einrichtung eines Gesundheitsfonds, bei dem die Private Krankenversicherung nicht einbezogen würde. JusoChef Björn Böhning kritisierte, die Verhandlungsstrategie von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) habe „versagt“.

In den Gesundheitsfonds sollen die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern fließen. Der Beitragssatz wird festgeschrieben und soll nach Ankündigung der Union bis 2012 stabil bleiben. Aus dem Fonds erhalten die Krankenkassen einen Festbetrag für jeden Versicherten. Reicht das Geld nicht aus, können die Kassen entscheiden, ob sie eine kleine Pauschale erheben oder einen am Einkommen bemessenen prozentualen Zusatzbeitrag. Die ab 2008 geplanten Steuerzuschüsse an den Fonds sollen nach dem Willen der Koalition für die Krankenversicherung der Kinder verwendet werden. 2008 sind 1,5 Milliarden Euro, 2009 drei Milliarden Euro vorgesehen. Damit bleibt die Koalition unter dem Bedarf von bis zu 16 Milliarden Euro. Die SPD räumte ein, dass der Steueranteil weitaus geringer sei als von ihr angestrebt. Woher die Mittel kommen sollen, ist nach Angaben von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) noch unklar. Bis 2009 werde es weder Steuererhöhungen noch eine höhere Verschuldung zur Finanzierung der Gesundheitsreform geben, sagte Steinbrück dem „Handelsblatt“. Die Koalition müsse daher eine Finanzierung im Bundeshaushalt erst finden.

FDP-Chef Guido Westerwelle attackierte den Kompromiss als „unanständig und verantwortungslos“. Der geplante Fonds sei „Kassensozialismus und Planwirtschaft“. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach von einem Dokument der Mutlosigkeit: „Da kann man nur sagen: Hier werden sie verschaukelt.“

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