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Gesundheitssystem: Privatkassen boykottieren Einführung der Gesundheitskarte

Die elektronische Gesundheitskarte soll zunächst nicht für Privatversicherte eingeführt werden. Damit erhält das weltweit größte IT-Projekt im Gesundheitswesen einen Dämpfer.

Die private Krankenversicherung (PKV) teilte mit, sie werde sich an der flächendeckenden Ausgabe des Datenträgers nicht beteiligen. Der Direktor des PKV-Verbands, Volker Leienbach, begründete dies damit, dass Ärzte, Apotheker und Kliniken bei Privatpatienten anders als bei gesetzlich Versicherten nicht zur Annahme der Karte verpflichtet seien. Der Erfolg ihrer Einführung hänge damit einzig vom guten Willen der Leistungserbringer ab. "Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar", kritisierte er. Sein Verband habe deswegen die Notbremse gezogen.

Leienbach forderte, auch bei Privatversicherten müsse die Anwendung der Karte verpflichtend werden. Ansonsten könne die PKV die auf sie zukommenden Ausgaben für die nötige Infrastruktur im Umfang von bis zu 360 Millionen Euro aus Versichertenbeiträgen nicht verantworten. Sie werde sich daher nicht an den weiteren Kosten beteiligen und auch keine Karten zu Testzwecken mehr ausgeben. Die private Krankenversicherung stehe aber prinzipiell hinter der Karte, da sie den Versicherten nicht nur nützliche Funktionen, sondern auch Autonomie über ihre Gesundheitsdaten und eine hohe Datensicherheit biete.

In der Startregion Nordrhein sollen die Kassen ab dem 1. Oktober mit der Ausgabe beginnen. Vom Rheinland aus sollen dann im nächsten Jahr die umliegenden Regionen Schritt für Schritt ausgestattet werden.

Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums sagte, eine verpflichtende Nutzung der Karte für Privatpatienten sei in den gesetzlichen Beratungen in dieser Wahlperiode nicht durchsetzbar gewesen. Das Ministerium habe das Anliegen aber unterstützt. Sie begrüßte, dass die PKV trotz ihrer Kritik weiter in der gemeinsamen Betreibergesellschaft Gematik mitarbeite und sich zur Karte bekannt habe. Gematik-Sprecher Daniel Poeschkens betonte, für die gesetzlich Versicherten ändere sich durch die Entscheidung der PKV nichts. Er hoffe auf eine Lösung, um die Karte lückenlos in Deutschland einführen zu können.

In den vergangenen Jahren hatte es mehrfach Verzögerungen bei dem weltweit größten IT-Projekt im Gesundheitswesen gegeben. Sie gingen vor allem auf Streitigkeiten der Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen zurück. Mit der Gesundheitskarte sollen die jährlich rund 800 Millionen Rezepte elektronisch abgewickelt werden. Später sollen weitere Funktionen wie der elektronische Arztbrief und die elektronische Patientenakte zugeschaltet werden. Auch Notfalldaten können auf der Karte gespeichert werden. Mit Ausnahme des E-Rezepts bleiben die Anwendungen freiwillig.

Das Projekt wird nach Schätzungen der Regierung rund 1,4 Milliarden Euro kosten. Laut dem ARD-Magazin Monitor prognostiziert eine von der Gematik in Auftrag gegebene Studie hingegen Kosten von 2,8 Milliarden Euro bei einer fünfjährigen Einführungsphase, im schlimmsten Falle gar 5,4 Milliarden Euro. Die Gesamtkosten bis zur vollen Funktionsfähigkeit in acht bis zehn Jahren könnten den internen Szenarien zufolge sogar auf 14,1 Milliarden Euro anwachsen, heißt es in dem Bericht.

ZEIT ONLINE, cl, Reuters

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