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Politik: Gesundheitswesen: Diagnose: mangelhaft

Die Probleme im Gesundheitswesen "lassen sich nicht durch eine Sofortreform aus einem Guss korrigieren". Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nickte zustimmend, als Friedrich Wilhelm Schwartz diesen Satz sagte.

Die Probleme im Gesundheitswesen "lassen sich nicht durch eine Sofortreform aus einem Guss korrigieren". Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nickte zustimmend, als Friedrich Wilhelm Schwartz diesen Satz sagte. Schwartz, der Vorsitzender des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen ist, hörte mit dieser Feststellung aber nicht auf. Die Probleme "verlangen eine vielschrittige und langfristige Umsteuerung des Systems durch eine in ihren Zielen beständig angelegte Gesundheitspolitik", ergänzte er. Und die wiederum "verlangt veränderte Verantwortlichkeiten und Arbeitsstile der politischen und professionellen Akteure, insbesondere auch der Selbstverwaltung".

Auf mehreren hundert Seiten hat der Sachverständigenrat in seinem neuesten Gutachten Über-, Unter- und Fehlversorgung im Gesundheitswesen untersucht. Ulla Schmidt, die das Gutachten am Donnerstag in Berlin überreicht bekam, sah sich "bestärkt in dem Weg, den wir in der Regierung gehen". Ist das wirklich so? Die Wissenschaftler stellten teilweise erhebliche Mängel bei der Gesundheitsversorgung fest. Bei der Versorgung der Diabetiker gibt es seit mehr als einem Jahrzehnt rund 70 lokale und regionale Modellversuche. Die Krankheit ist gut erforscht. Es ist bekannt dass eine sorgfältige Einstellung von Blutzucker und Blutdruck sowie Schulungen der Patienten Früh- und Spätkomplikationen wie Erblindung oder Amputationen verzögern oder verhindern können. Und doch erreicht die Bundesrepublik die international anerkannten Ziele einer zeitgemäßen Diabetikerversorgung nicht. "Dies spricht aus Sicht des Rates zumindest für eine partiale Fehlsteuerung durch die zuständigen Verbände der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen", stellte Schwartz fest.

Schmidt will diese Defizite bei der Versorgung chronisch Kranker durch neue "Krankheits-Management"-Programme beseitigen. Schon Mitte 2002 sollen sie kommen. Krankenkassen, die einen hohen Anteil Kranker in diesen Programmen haben, sollen dann aus dem Finanzausgleich mehr Geld erhalten. "Damit steuern wir auch den Wettbewerb der Krankenkassen um in Richtung einer besseren Versorgung von chronisch kranken Menschen und beenden den einseitigen Wettbewerb um den günstigsten Beitragssatz für gesunde Versicherte", sagte Schmidt. Der Sachverständigenrat warnte allerdings davor, dass diese Programme "zu eng verknüpft werden mit den finanziellen Erwägungen zwischen den Kassen". In den USA würden vergleichbare Programme oft vor allem als Methode zur Kostenkontrolle angewandt. Um solchen Fehlentwicklungen vorzubeugen sei ein "konsequentes Qualitätsmanagement" unverzichtbar.

Ein Steuerungsversagen der Selbstverwaltung sieht Schwartz auch in der jahrelangen Duldung der sogenannten "grauen", nicht qualitätsgesicherten Mammographie-Früherkennungsuntersuchungen in Deutschland. Trotz schwerer Qualitätsmängel würden diese fortgesetzt. Der Sachverständigenrat will das ändern und meint, dass die übliche Praxis gegen die Gesetze verstößt. Die Frage sei, ob die Selbstverwaltung die Kraft zur Veränderung habe. "Ich nehme an, sie hat sie nicht", meinte Schwartz.

Doch Schmidt mochte den Experten nicht folgen. Würde man diese Früherkennung beschränken "würde vielen Frauen etwas vorenthalten, was sie zu brauchen glauben", widersprach sie. In der gegenseitigen Blockade der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und in verkrusteten Strukturen sieht der Sachverständigenrat offenbar das größte Problem für die Kostenentwicklung und die Qualität des Gesundheitssystems. Im nächsten Jahr will er deswegen Vorschläge vorlegen, wie die Steuerung durch Selbstverwaltungsverbände und staatliche Organe verbessert werden könnte.

Carsten Germis

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