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Hrant Dink

© ddp

Getöteter Journalist: Türkei revidiert Haltung im Mordfall Dink

Späte Einsichten in Ankara: Dreieinhalb Jahre nach der Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink bekennt sich der türkische Staat erstmals zu seiner Mitschuld.

Der türkische Präsident Abdullah Gül muss gespürt haben, dass Worte allein nicht mehr reichen. Beamte des Außenministeriums in Ankara hatten gerade mit einem Nazi-Vergleich im Zusammenhang mit dem vor drei Jahren ermordeten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink für einen Skandal gesorgt. Gül reagierte, indem er ausdrücklich von einem Versagen des Staates bei dem Mord sprach. Dann lud er Dinks Bruder Hosrof in seine Sommerresidenz am Bosporus zu einem Gespräch ein und schickte seinen Gast anschließend nicht im Taxi wieder nach Hause, sondern ließ ihn in einem Wagen aus seinem Fuhrpark chauffieren. Der Bruder eines angeblichen Türkenfeindes im Dienstwagen des Staatspräsidenten: So etwas hat es noch nie gegeben in der Türkei.

Güls Gesten sind Anzeichen einer eilig eingeleiteten und erstaunlichen Wende in Ankara. Bisher hatte sich der türkische Staat mit der Aufarbeitung des Mordes an Dink sehr schwer getan. Nun bekennt sich die türkische Republik zu einer Mitschuld am Tod des Journalisten.

Dink war von einem türkischen Gericht wegen „Beleidigung des Türkentums“ verurteilt worden, was von Rechtsextremisten als Einladung zum Mord verstanden wurde. Nach dem Mordanschlag auf Dink im Januar 2007 wurde der Todesschütze zwar schnell gefasst, doch in dem nach wie vor laufenden Prozess sperren sich die Behörden gegen Forderungen, etwaige Verbindungen zu möglichen Helfern oder Hintermännern im Staatsapparat zu durchleuchten.

Die Istanbuler Polizei soll Hinweise auf den Mordplan gehabt, aber nichts dagegen unternommen haben. Nach der Festnahme des Mörders Ogün Samast posierten einige Polizisten zusammen mit dem damals minderjährigen Todesschützen für patriotische Erinnerungsfotos. Frustriert zog Dinks Familie vor das Europäische Menschenrechtsgericht in Straßburg, dessen Urteile für das Europaratsmitglied Türkei bindend sind.

Inzwischen zeigt sich, dass nicht nur türkische Polizisten eine merkwürdige Auffassung von Recht und Ordnung im Fall Dink haben. In ihrer Antwort auf Fragen der Straßburger Richter rechtfertigten Beamte Ankaraner Außenministeriums das türkische Urteil gegen Dink und betonten, schließlich habe sich auch der deutsche Neonazi Michael Kühnen in Straßburg nicht auf die Meinungsfreiheit berufen können. Auf diese Weise wurde Dink noch einmal als anti-türkischer Hetzer hingestellt. Die Beschwerde der Dink-Familie wegen eines mangelnden Schutzes für den Journalisten gehe ebenfalls ins Leere, schrieben die Beamten: Dink habe es versäumt, Personenschutz zu beantragen.

Erst nachdem mehrere Zeitungen über die haarsträubenden Argumente der Beamten berichtet hatten, gab es Bewegung in Ankara. Außen-, Justiz- und Innenminister setzten sich zusammen und leiteten eine radikale Wende in der Haltung des türkischen Staates im Fall Dink ein. In einer Eingabe an das Straßburger Gericht will sich Ankara demnach dazu bekennen, dass die Türkei bei Artikel 2 und 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention versagt hat. Die Artikel beziehen sich auf das Recht auf Leben und das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Mit dem Schuldeingeständnis, das den Straßburger Richtern vor der erwarteten Urteilsverbündung am 14. September vorgelegt werden soll, will Ankara zum einen die skandalöse Verteidigungsschrift der Außenamtsbeamten in der Versenkung verschwinden lassen. Zum anderen bemüht sich die Regierung um eine gütliche Einigung mit der Familie Dink, um die blamable und absehbare Verurteilung durch Straßburg zu vermeiden.

Doch der Versuch Ankaras, zu retten was zu retten ist, kommt möglicherweise zu spät. Fehriye Cetin, die Anwältin der Dink-Familie, bezweifelt, dass eine gütliche Einigung rein rechtlich jetzt noch möglich ist. Auch sei die Familie des Ermordeten nicht begeistert von dem Gedanken.

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