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Politik: Getrennte Welten

Offiziell sind Serben und Kosovo-Albaner noch in einem Staat vereint. Sie haben sich längst entfremdet

Anerkennendes Schulterklopfen ist dem Neu-Belgrader Idriz Seferi bei Heimfahrten in den Kosovo gewiss. „Zu Hause glauben sie, dass ich ein Held sei,“ erzählt der Belgrad-Korrespondent des albanischsprachigen TV-Kanals „Top-Channel“ und der Zeitung „Express“. Die meisten seiner Landsleute könnten sich vom Leben in Serbien kaum eine Vorstellung machen: „Meine Eltern haben Angst, lesen oft von serbischen Nationalisten und halten meinen Aufenthalt hier für gefährlich.“ Seine Adresse hat der 23-Jährige auf seinen Visitenkarten vorsichtshalber nicht vermerkt. Doch auch wenn er sich in Kneipen lieber nicht als Albaner zu erkennen gebe und oft Englisch spreche, werde er selbst von nationalistischen Politikern ausgesucht höflich empfangen: „Die freuen sich, dass ich ihre Drohbotschaften direkt an ihr Zielpublikum vermittle.“

Leicht wurde dem Jungkorrespondenten der Weg zum neuen Einsatzort aber nicht gemacht. Zwei Monate und mehrere hundert Euro Schmiergeld kostete es ihn, um aus dem offiziell noch serbischen Kosovo nach Belgrad zu gelangen. Denn obwohl Serbien keine Grenze zu der seit 1999 international verwalteten Provinz anerkennt, sind Reisen für Kosovo-Albaner in das vermeintliche Mutterland ohne serbischen Pass praktisch unmöglich. Die von der UN-Verwaltung (UNMIK) ausgegebenen Pässe erkennt Belgrad nicht an. Und alte jugoslawische Reisedokumente sind mittlerweile meist abgelaufen.

Zwar können die Behörden in den serbischen Enklaven des Kosovo auch serbische Pässe ausgeben, doch dafür ist ein Nachweis aus den früheren jugoslawischen Bevölkerungsregistern notwendig. Diese Register hat Serbiens Armee bei ihrem Rückzug 1999 allerdings ins Mutterland verlegt – und dorthin können Kosovo-Albaner ohne gültigen serbischen Pass eben kaum kommen. Erst nach einigen Anläufen vermochte Idriz die Grenze zu wechseln und sich im Juni auf dem Einwohnermeldeamt in Kragujevac einen serbischen Pass zu besorgen. Das Leben im quirligen Belgrad gefalle ihm, sagt er. Schwierig sei es jedoch, serbische Mädchen kennenzulernen: „Wenn die mit einem Albaner anbändeln, haben die höllischen Ärger in ihrer Familie.“

Serbien lasse sich nicht 15 Prozent seines Territoriums berauben, wehrt sich Serbiens Premier Vojislav Kostunica gegen jegliche Unabhängigkeitspläne des zu 95 Prozent von Albanern bewohnten Kosovo. Von dessen Bewohnern spricht er fast nie. Nur offiziell sind die rund zwei Millionen Kosovo-Albaner und 7,5 Millionen Serben noch in einem Staat vereint. Tatsächlich leben sie nicht nur räumlich in völlig getrennten Welten. Kontakte und Kommunikation sind acht Jahre nach Kriegsende rar, die gegenseitigen Vorurteile groß. Hinzu kommen zunehmend auch Sprachbarrieren. Kosovo-Albaner in seinem Alter würden kaum mehr Serbisch sprechen, berichtet Idriz: „Ich habe die Sprache vom Fernsehen gelernt.“

An serbischen Wahlen dürfen Kosovo- Albaner ohnehin nicht mehr teilnehmen: Hätten sie mit abgestimmt, hätte die Verfassung, die den Kosovo als unabdingbaren Teil Serbiens bezeichnet, im letzten Herbst nie eine Mehrheit erhalten. Den Kosovo als Wiege der Nation führen zwar viele Serben gern im Munde. Doch die meisten Belgrader kennen das sagenumwobene Amselfeld und die legendären Kosovo-Klöster nur vom Hörensagen. Deren Besuch sei „verboten“, glaubt eine Belgrader Kunststudentin – obwohl von der Hauptstadt aus täglich Busse fahren.

Von den „rückständigen“ Bewohnern der umstrittenen Provinz haben die meisten Belgrader keine gute Meinung. Die Albaner seien das „schlimmste Volk Europas“ und würden „überall Ärger“ machen, sagt die Lehrerin Marija: „Sie haben sich vermehrt wie die Karnickel – und sich so den Kosovo angeeignet.“ Doch auch serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo stoßen bei ihren Landsleuten oft auf skeptische Reaktionen. Belgrad sei wegen der Kosovo-Flüchtlinge „viel provinzieller“ geworden, klagt ein Taxifahrer im Stau auf der Gazela-Brücke: „Man merkt einfach, dass die Serben von dort lange mit Albanern zusammenlebten.“

Nicht nur das Kosovo ist jüngeren Serben völlig unbekannt. Selbst unter den Studenten waren 70 Prozent noch nie im Ausland. Außer fehlendem Geld schrecken sie die Visa-Prozeduren ab: Mit jeder EU- Erweiterung hat sich die visumfreie Welt für die Serben verkleinert und ihre Isolation verstärkt. Inzwischen habe die überwältigende Mehrheit der Serben eine „völlig andere Wahrnehmung“ der Ereignisse der letzten 20 Jahre in der Region als „der Rest der Welt“, schrieb der frühere US-Botschafter William Montgomery in der Zeitung „Danas“. Kaum ein Serbe sehe die Schuld im Kosovo und für den Zerfall Jugoslawiens völlig bei den Albanern.

Früher sei er häufig in Belgrad gewesen, doch nun habe er acht Jahre kein Serbisch mehr gesprochen, entschuldigt sich im Kosovo-Städtchen Podujevo Izeir Mustafa für seine holprig gewordene Sprache. Nach der Unabhängigkeit seines Landes würden Albaner und Serben „sehr gute Nachbarn“ sein, glaubt der Bildhauer: Die Probleme würden nur von Politikern geschaffen: „Das Verhältnis normaler Leute war früher eigentlich immer in Ordnung.“

Thomas Roser[Belgrad]

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