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Politik: Getrübte Aussicht

Vor Schröders Besuch in der Türkei geht der Streit um den EU-Beitritt quer durch die Parteien weiter

Kurz nach CDU-Chefin Angela Merkel ist am Sonntag Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) an den Bosporus gereist – zum ersten Staatsbesuch eines Kanzlers in der Türkei seit 1993. In der heftigen innerdeutschen Debatte über die Beitrittschancen Ankaras zur Europäischen Union wird derweil täglich deutlicher, dass die Meinungsverschiedenheiten quer durch alle Parteien gehen.

So steht Rot-Grün zwar zur Beitrittsperspektive, wie die EU selbst sie mit ihren Kopenhagener Beschlüssen eröffnet hat. Aber ausgerechnet Bundespräsident Johannes Rau mahnt nun zur Vorsicht. Die aktuelle Diskussion um eine Mitgliedschaft sei verfrüht, sagte er der Zeitschrift „Super-Illu“. Die Türkei könne erst aufgenommen werden, wenn Religions- und Pressefreiheit oder die Ächtung der Folter nicht nur durch Parlamentsbeschlüsse garantiert seien, sondern auch im praktischen Leben umgesetzt würden. „Das kann noch viele Jahre dauern“, sagte Rau. Und er räumte zugleich ein, hinsichtlich einer Aufnahme der Türkei in die EU „immer skeptischer als andere“ gerade auch im Regierungslager gewesen zu sein.

In der Union meldeten sich erneut Befürworter einer künftigen EU-Mitgliedschaft zu Wort, und andere interpretierten den Kurs der Parteichefs Merkel und Edmund Stoiber (CSU) als weniger hartleibig, als er meist wahrgenommen wird. „Die Türkei muss selbstverständlich eine Beitrittsoption zur EU haben“, stellte sich Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gegen Merkel. Der Landes-Vize der CDU in Nordrhein-Westfalen, Oliver Wittke, sagte demselben Blatt, ein kategorisches Nein gefährde die Integration der in Deutschland lebenden Türken. Der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger wies darauf hin, dass Merkel zwar eine „privilegierte Partnerschaft“ vorgeschlagen habe, aber ausdrücklich nicht eine Vollmitgliedschaft für alle Zeiten ausgeschlossen habe.

Pflüger erinnerte die Grünen-Politikerin Claudia Roth daran, dass sie selbst vor kurzem noch Folterfälle in der Türkei gerügt habe. Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz erklärte, die Wahl zum Europäischen Parlament im Juni solle keine Protestwahl werden. Dies soll wohl bedeuten, dass die Gegnerschaft zum EU-Beitritt Ankaras nicht allzu offensiv kommuniziert werden soll. Stoiber hatte eine türkische EU-Mitgliedschaft als gleichbedeutend mit dem Ende der politischen Union dargestellt. Sein Innenminister Günther Beckstein mahnte nun aber, „spätere Beitrittsverhandlungen“ mit Ankara „nicht grundsätzlich“ auszuschließen. Zwar würde Merkels „privilegierte Partnerschaft“ den Türken in Deutschland „vieles erleichtern“, aber „man sollte kein absolutes Nein mehr verkünden“, so der CSU-Politiker. Am Sonntag betonte Beckstein, zwischen seiner und Stoibers Haltung bestehe kein Gegensatz: „Für die überschaubare Zukunft kommt lediglich eine privilegierte Partnerschaft in Betracht.“

Ebenso uneinig wie die Union ist die FDP. Jüngere Liberale wie der Abgeordnete Markus Löning und Bundesvorstandsmitglied Mehmet Daimagüler haben sich wiederholt gegen den beitrittskritischen Kurs der Parteiführung gestellt. „Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass die Türkei Minderheitenrechte respektiert, die Menschenrechte einhält und das Militär entmachtet“, sagte Löning dem Tagesspiegel. „Wenn sie all dies jetzt tut, sollten wir unser 40 Jahre altes Versprechen, dass sie EU-Mitglied werden kann, auch einhalten." Etliche in der FDP sehen die Türkei-Frage als Möglichkeit, sich von der Union abzusetzen. Daimagüler forderte, Schröders Kurs zu unterstützen. Nachdem Merkel „in dieser Angelegenheit zur Geisel Stoibers geworden“ sei, dürfe sich nun nicht auch die FDP „stoiberisieren“ lassen.

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