zum Hauptinhalt

Gewalt in Syrien: Russlands undurchsichtiges Spiel

Russland steht wegen der Allianz mit dem syrischen Machthaber Assad zunehmend unter internationalem Druck. Wird Moskau umschwenken?

Von

Ohne Russland wird es keine Lösung des Konflikts in Syrien geben – darin sind sich die meisten politischen Beobachter einig. Als der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag Deutschland und Frankreich besuchte, war das Interesse deshalb vor allem darauf gerichtet, ob er eine härtere Haltung gegen das Regime in Damaskus mittragen würde.

Wieso steht Russland so hartnäckig an der Seite des Regimes von Baschar al Assad?

Das hat nichts mit ideologischen Verbindungen oder besonderer Sympathie für Assad zu tun, meint der Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Alexander Rahr. Vielmehr gehe es den russischen Eliten um die „künftige Weltordnung“. Moskau und auch Peking befürchteten, dass eine Militärintervention und ein Regimewechsel in Syrien dazu führen, dass der wertbewusste Westen zukünftig bestimmt, wer ein Diktator ist und wer nicht. Da sowohl Russland als auch China selbst ethnische Minderheiten haben – in Tschetschenien oder Tibet–, wo sie notfalls mit Gewalt für Ruhe sorgen, wollen sie keinen weiteren Präzedenzfall schaffen für äußere Einmischung. „Bei Assad haben sie gesehen, wie im Nu ein Staatschef abgestempelt wird, mit dem der Westen eigentlich lange sehr gut konnte“, sagt Rahr.

Ganz pragmatisch gesehen sei Syrien der „einzig verbliebene Verbündete Russlands aus alten Sowjetzeiten“. Und zugleich der „letzte kleine Hebel“, über den Russland in Nahost mitreden könne, einer Region, in der die neue Weltordnung Form annimmt. Als Alternative zu Assads Regime sehen die russischen Eliten ein sunnitisches: Das wäre dann naturgemäß pro-saudisch und damit pro-amerikanisch. Dann wären die strategischen Verhältnisse in der Region zugunsten des Westens verändert. „Man darf nicht vergessen, dass in Russland Geopolitiker regieren, die strategische Interessen vertreten und keine Wertepolitik“, sagt Rahr.

Ist es also aussichtslos, Russland zum Umdenken zu bewegen?

Auch Russland muss neu nachdenken, weil seine Diplomatie nicht funktioniert hat, meint Rahr. Moskau habe Assad den Rücken gestärkt und härtere Verurteilungen und Sanktionen bisher verhindert mit dem Ziel, ihn „zu besänftigen“. Außenminister Sergei Lawrow habe große Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen. Das jüngste Massaker in Hula habe aber deutlich gemacht, dass diese Politik nicht funktioniert. Russland erkenne, dass es mit seinem Ansatz „gescheitert“ ist.

Proteste bei Putins Antrittsbesuch bei Merkel:

Was müsste der Westen tun, um Russland ins Boot zu holen?

„Hier ist viel Psychologie im Spiel“ meint Rahr. Russland wolle nicht vor die Alternative gestellt werden, „entweder als Juniorpartner zu fungieren oder nicht ernst genommen zu werden“. Kurz vor Ausbruch des Irak-Krieges habe Putin hochrangige Vertreter nach Washington geschickt, um Kompromisse anzubieten gegen die Zusage, im Nachkriegsirak im Ölgeschäft zu bleiben. Dies sei von Washington brüsk abgelehnt worden. „ Auch 2012 ist ein verlorenes Jahr“ für die amerikanisch-russischen Beziehungen, sagt der DGAP-Experte mit Hinweis auf die Entscheidung beim Nato-Gipfel im Mai, die erste Betriebsphase des Raketenschirms zu starten, und die Wahlkampfzwänge in den USA. Insbesondere Deutschland und Frankreich seien daher gefragt. „Sie sind die letzten verbliebenen Stabilitätspfeiler der russischen Westpolitik“ und sollten sie bröckeln, wäre das ein „Desaster“ zum Amtsantritt des neuen alten Präsidenten Putin. Von Europa erhoffe man sich Hilfe bei der Modernisierung insbesondere des Energiesektors.

Wie kann Deutschland Einfluss auf Russland nehmen?

Es bräuchte nach Ansicht Rahrs insgesamt deutliche Signale, dass die Interessen Russlands ernst genommen werden. Um bestehende Konflikte zu neutralisieren, sollte beim Raketenschild, den Moskau als feindlichen Akt empfindet, neu nachgedacht werden. „Deutschland ist stark genug, um eine von den USA abweichende Position zu vertreten“ – so wie Merkel dies ursprünglich getan habe. „Das könnte ein wichtiges Signal sein.“

Würde Russland seine Waffenlieferungen an Assad einstellen?

Syrien ist ein wichtiger Markt für russische Rüstungsgüter. Aber Moskau habe angeboten, betont Rahr, die Lieferungen im Rahmen bestehender Verträge auszusetzen, wenn auch die Rebellen nicht von außen bewaffnet würden. Die russische Militärbasis in Syrien hat nach Ansicht des Russland-Experten eher symbolischen Wert, weil sie der letzte verbliebene Stützpunkt im Ausland ist. „Diese Symbolik sollte man den Russen lassen.“

Wie könnte Russland zur Beilegung des Syrien-Konflikts beitragen?

Selbst wenn Russland umschwenken sollte, scheint eine Zustimmung zu einem Militäreinsatz unwahrscheinlich. Auch der Westen scheut eine Intervention, weil sie damit die Verantwortung für das gesamte Land übernehmen müssten, ähnlich wie die USA nach dem Irak-Krieg. Daher ist die sogenannte jemenitische Lösung wieder im Gespräch, ein verhandelter Abgang Assads, der im Gegenzug gegen Straflosigkeit die Macht abgibt. Bisher scheint Assad zu glauben, dass sein Regime sich halten kann. Dies könnte sich jedoch ändern, wenn auch Russland sich abwendet und dabei vermittelnd auftritt – vielleicht sogar bis hin zu dem Angebot, Assad in Russland Asyl zu gewähren.

Wie kann Deutschland Einfluss auf Russland nehmen?

Zwar ist auch in Berlin der Ärger über die russische Blockade in der Syrien-Krise groß. Doch die Bundesregierung setzt auf eine Lösung mit Moskau und nicht gegen Moskau. Das gilt, obwohl sich die harte Haltung Russlands auch nach dem Massaker von Hula nicht geändert hat. Konfrontative Töne, wie sie aus Washington, Paris oder London zu hören sind, vermeiden sowohl Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wie auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP), auch wenn sie ihre Erwartungen formulieren. Über Drohpotenzial verfügt die Bundesregierung ohnehin nicht. Von den boomenden Wirtschaftsbeziehungen mit Russland profitieren deutsche Unternehmen. Umgekehrt hat Russland großes Interesse daran, dass Deutschland bei der Modernisierung seiner Infrastruktur und Industrie hilft. Zudem sieht sich die Bundesregierung im Atom-Streit mit dem Iran darauf angewiesen, dass Moskau weiter konstruktiv bleibt und nicht aus der Phalanx der Sicherheitsrats-Mitglieder ausscheidet, die Teheran unter Druck setzen. Für Moskau ist Berlin als eine Art Mittler zwischen seinen Interessen und denen des Westens wertvoll. Füllt die Bundesregierung diese Rolle aus, muss sie stets darauf achten, dass sie sich nicht gegen die Verbündeten instrumentalisieren lässt.

Die Einflussmöglichkeiten sind deshalb begrenzt auf Argumente. So versuchen deutsche Politiker, ihren Gesprächspartner vor Augen führen, dass eine Isolation in der Syrien-Krise den Interessen Russlands in der arabischen Region schadet, die sich im Umbruch befindet. Und dass eine anhaltende Blockade auf Dauer Russlands Einfluss in der Welt nicht stärkt, sondern schwächt.

Zur Startseite