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Rechtsfreie Räume in Berlin? Gibt es nicht, meint der Regierende Bürgermeister, und falls doch, sei Henkel zuständig.

© dpa

Gewalt und Kriminalität in Berlin: Die Medien brauchen mehr Mut

Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt hatte gefragt, ob es rechtsfreie Räume in der Stadt gibt und wer dafür die Verantwortung trägt. Werner Sonne fragt zurück, ob nicht auch die Medien eine Mitverantwortung dafür haben.

Vielleicht war es ein Stück Zeitgeist, als die Juroren dem Film „Spotlight“ kürzlich den Oscar für den besten Film verliehen haben. Die Botschaft: kritischer, investigativer Journalismus, der sich von den Mächtigen nicht einschüchtern lässt, ist nach wie vor wichtig. Und er kann auch etwas erreichen, in dem Fall den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche eindämmen.

Das zeigt sich im Augenblick auch bei der Veröffentlichungswelle der Panama Papers. Die Medien zerren einen Missstand an die Oberfläche – weltweit. Von Moskau über Island  bis nach London nennen sie die Dinge beim Namen, und auch hier hat das Konsequenzen.

Nun könnte man argumentieren: die Medien machen nur ihren Job. Denn das ist ihre Aufgabe: die Mächtigen zu kontrollieren, Probleme aufzudecken, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen, nicht missionarisch, mit sorgfältigen Recherchen, mit harten Fakten. Und  dran zu bleiben.  Klingt wie das kleine Einmaleins des Journalismus. Sollte man meinen. Aber ist es auch so? Und was hat das mit uns, was das hat  mit Berlin zu tun, was mit der deutschen Befindlichkeit?

Viel. Es ist Zeit, auch uns selbst harte Fragen zu stellen. Und ganz besonders in der Hauptstadt. Die Kernfrage ist: Gehören nicht auch die Medien zu denen, die viele Jahre lang den Berlin-Hype allzu willfährig mitgemacht haben? Und dabei gerne auch mal weggeschaut haben, wenn es um die offensichtlichen Missstände geht? 

Der Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt hat es  zwar in einem Leitartikel auf den Punkt gebracht:

„Berlin hat in den vergangenen Jahren prächtig gelebt von seinem Image, das als cool, tolerant und offen beschrieben und empfunden wurde“, schreibt er.  Und hat - endlich - der Berliner Politik den Spiegel vorgehalten, die uns das peinliche Schwarze-Peter-Spiel vorführt  um die Frage, ob  es rechtsfreie Räume in der Stadt gibt  und wer dafür die Verantwortung trägt. Die Politik, argumentiert Maroldt.  Das ist ebenso richtig wie eben auch zu kurz gesprungen.

Wo waren die großen, die hartnäckigen Geschichten?

Die Frage muss schon gestellt werden, warum Zeitungen wie der Tagesspiegel - und er ist damit natürlich nicht allein - auch Jahre gebraucht haben, um sich  einmal so deutlich zu Wort zu melden. Natürlich, werden viele Medienmacher nun sagen, haben wir berichtet, immer wieder mal. Richtig, immer wieder mal. Aber wo waren die großen, die hartnäckigen Geschichten, die die Missstände tatsächlich aufdeckten, und diejenigen benannten, die sie verursachen?

Am Beispiel der rechtsfreien Räume lässt sich vieles verdeutlichen. Jeder, der mit der Polizeigewerkschaft oder mit der Justiz (Erinnern wir uns noch an den Namen der Jugendrichterin Kirsten Heisig und ihr Buch: Ende der Geduld, dem man natürlich sofort ein „ düsteres Bild“ und  „rassische Kriterien“ vorwarf?)  sprach, konnte sich seit Jahren ein Bild machen von den Zuständen in einer Reihe von Stadtteilen. Aber das waren  die Stimmen von Spoilern, von Störenfrieden, die doch nur das Image  vom hippen, super-toleranten Berlin beschädigten. Wie heißt es bei Lorenz Maroldt  so treffend, allerdings mit Blick auf die Politik: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf, um das schöne Bild aufrecht zu erhalten“.

Gerade im Bereich der Kriminalität und der öffentlichen Verwahrlosung bieten sich in Berlin eigentlich unübersehbare Steilvorlagen für investigativen, nachhaltigen Journalismus. Man muss dazu freilich auch den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen. Dafür muss man die Komfortzone des PC, des politischen Korrekten verlassen. Das kommt nicht gut. Da bleibt man doch lieber bei Themen wie dem Berliner Flughafen (obwohl: so ganz richtig habe ich auch da bisher nicht verstanden, wer dafür die Verantwortung trägt).

Aber es liegt ein Wandel in der Luft. Er geht freilich nicht von Berlin aus, sondern von Köln. Die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof an Silvester haben bewirkt, dass die lokalen Medien dort den verhüllenden Vorhang weggezogen haben vom Tabuthema, ob man bestimmte Kriminalitätsformen bestimmten Bevölkerungsgruppen zuordnen darf, die besonders häufig und besonders auffallend in Erscheinung treten.  Genau das galt bislang als die ultimative No-Go-Area des Journalismus, und das ist in Berlin wohl kaum anders.

Nur drängen in Berlin die Missstände noch ganz anders als in Köln, ist nicht nur die Stadt, sind auch die Fehlentwicklungen deutlich größer.  Der Einfluss arabischer Großfamilien, die Einbruchswellen (ja, ich weiß, die Einbrüche sind leicht zurückgegangen, aber erzählen Sie das mal unseren Nachbarn, bei denen gerade eingebrochen wurde), die hochkriminelle Situation an bestimmten Plätzen, die gefühlte Machtlosigkeit des Staates, all das sind Themen, die endlich nachhaltig angepackt werden müssen – von der Politik, und von den Medien.

Es geht nicht darum, ein Klima der Intoleranz zu schaffen

Lorenz Maroldt warnt vor den „Festtagen für die AfD“. Zu Recht. Der Begriff der „Lügenpresse“ beschreibt ja weniger die Verdrehung der Tatsachen, sondern das Gefühl vieler Menschen, die Medien steckten mit der Politik unter einer Decke und ließen Fakten und offensichtliche Missstände einfach weg.

Dem müssen die Medien entgegenwirken, in Berlin und anderswo. Es geht nicht darum, ein Klima der Intoleranz zu schaffen. Es geht  darum, dass die Medien ihre Aufgabe wahrnehmen. Und die ist eigentlich ganz einfach: die Dinge so zu beschreiben, wie sie sind. 

Werner Sonne ist Journalist und Schriftsteller. Als Auslandskorrespondent und Studioleiter berichtete er aus Bonn, Washington und Warschau. Außerdem war er beim ARD/ZDF-Informationskanal "Phoenix" Moderator der Sendung „Schwerpunkt“.

Werner Sonne

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