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Zerstörtes Aleppo: Seit dem Ende der Waffenruhe sind mehr als 180 Menschen getötet worden.

© REUTERS

Update

Gewalteskalation in Syrien: Westen erhöht Druck auf Moskau

Der UN-Sicherheitsrat rief wegen der "anhaltendsten und schwersten Bombardierungen" im syrischen Bürgerkrieg auf Aleppo eine Dringlichkeitssitzung ein. Westliche Außenminister fordern von Russland ein Ende der Gewalt.

Nach den heftigsten Bombardierungen Aleppos im gesamten syrischen Bürgerkrieg hat der Westen den Druck auf Russland erhöht. Die Geduld sei „im Hinblick auf Russlands fortgesetzte Unfähigkeit oder seine fehlende Bereitschaft, seinen Verpflichtungen nachzukommen, nicht unbegrenzt“, betonten die Außenminister unter anderem der USA, Deutschlands und Großbritanniens laut offizieller Übersetzung nach einem Treffen in Boston. Moskau wies die Kritik zurück.

Die westlichen Außenminister forderten von Russland ein Ende der eskalierenden Gewalt. Es liege an Moskau, die diplomatischen Bemühungen zu retten. Die Ereignisse in Syrien, insbesondere in Aleppo, stünden im eklatanten Widerspruch zur russischen Behauptung, eine diplomatische Lösung in Syrien zu unterstützen. Neben den USA, Deutschland und Großbritannien unterstützen auch Frankreich, Italien und die EU-Außenbeauftragte die Forderungen. Diplomatische Bemühungen, die Waffenruhe wieder einzusetzen, waren zuletzt gescheitert.

Zudem kritisierte die Erklärung die wiederholten Berichte über eingesetzte Chemiewaffen durch das syrische Regime und den verheerenden Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi vor einer Woche. Die USA und Russland machen sich gegenseitig für den Vorfall verantwortlich, bei dem am Montag 21 Zivilisten getötet worden waren.

Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa entgegnete: „Ich erinnere mich an die 2000er Jahre. Damals forderte man von Russland, sich der richtigen Seite der Geschichte gegen den Irak anzuschließen“. Jetzt fordere der Westen von Moskau wiederum Beweise für den Friedenswillen in Syrien. „Wer von Russland Beweise für seinen Friedenswillen fordert, soll erstmal selbst beweisen, dass er kein Aggressor in Bezug auf Länder der Region ist“, sagte sie der Agentur Interfax zufolge. Bisher zeige die Geschichte das Gegenteil.

Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats in New York

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon äußerte sich „erschüttert über die verheerende militärische Eskalation“ in Aleppo . Nach Worten seines Sprechers Stephane Dujarric sagte Ban am Samstag in New York, er sei alarmiert über Berichte von Luftangriffen mit bunkerbrechende Bomben, die Wohngebäude wie Kartenhäuser einstürzen lassen. Der systematische Einsatz derartiger Waffen in dichtbesiedelten Gebieten käme einem Kriegsverbrechen gleich, sagte Ban. Aleppo sei der „anhaltendsten und schwersten Bombardierung“ seit Beginn der Syrienkrise 2011 ausgesetzt.

Die Außenminister der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens sowie die EU-Außenbeauftragte forderten Russland auf "zu beweisen, dass es willens und fähig ist, außergewöhnliche Schritte zu ergreifen, um die diplomatischen Bemühungen" um eine Waffenruhe in Syrien zu retten. Die letzte von den USA und Russland ausgehandelte Waffenruhe war am Montag nach nur einer Woche gescheitert.

Die USA, Großbritannien und Frankreich beantragten eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats, der am Sonntag um 17.00 Uhr MESZ tagen sollte. Die syrische Exilopposition warf der internationalen Gemeinschaft vor, über die "Gräuel" in Syrien zu schweigen. "Wir ertragen dieses Schweigen nicht mehr länger", sagte der Vorsitzende der Nationalen Koalition, Dschawad Abu Hatab.

US-Außenminister John Kerry hatte sich am Samstag in Boston mit vier europäischen Außenministern ausgesprochen. Er verlangte von Syrien ein sofortiges Ende der Luftangriffe. „Was in Aleppo passiert, ist inakzeptabel. Das sprengt alle Dimensionen“, sagte Kerry. Zugleich rief er Russland auf, seinen Einfluss auf Syriens Machthaber Baschar al-Assad geltend zu machen. 

26 der 180 Todesopfer in Aleppo waren Kinder.
26 der 180 Todesopfer in Aleppo waren Kinder.

© AFP PHOTO / THAER MOHAMMED

Seit Ende der Waffenruhe mehr als 180 Tote

Nach einer kurzen Unterbrechung setzte das syrische Regime seine Luftangriffe auf Rebellengebiete in der umkämpften Stadt Aleppo fort. Das berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Sonntag. Angaben über Tote oder Verletzte lägen noch nicht vor.

Die syrische Luftwaffe hatte am Sonntagvormittag ihre Bombardement des Ostteils Aleppos überraschend gestoppt. In der umkämpften syrischen Stadt Aleppo sind seit Ende der Waffenruhe mehr als 180 Menschen getötet worden. Unter den Opfern seien auch mindestens 26 Kinder, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Am Samstag erschütterten massive Luftangriffe der syrischen Armee und ihrer Verbündeten den dritten Tag in Folge den von Rebellen gehaltenen Ostteil der Stadt. Dort harren noch mehr als 250.000 Menschen unter widrigsten Umständen aus.

Die schweren Bombardements bedeuten nach den Worten von UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura „eine Rückkehr zum offenen Konflikt“. Aus seiner Sicht sei es die schlimmste humanitäre Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg, sagte de Mistura dem arabischen Sender „Al-Dschasira“.

Syriens Machthaber Baschar al-Assad hatte vor Wiederaufnahme der Luftangriffe auf Aleppo am Donnerstag eine Bodenoffensive angekündigt, um die Stadt vollständig zurückzuerobern. Im Umland Aleppos rückten Regimetruppen nach Gefechten gegen die Aufständischen vor. Die angekündigte Militäroperation begann damit aber offensichtlich noch nicht.

Raketen seien am Samstag auf mindestens 13 Bezirke im heftig umkämpften Ostteil niedergegangen, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Mindestens 32 Menschen seien dabei gestorben. Die Rettungshelfer der Weißhelme berichteten von mehr als 50 Toten und Hunderten Verletzten.

Ein Aktivist sagte, Artilleriefeuer und international geächtete Fassbomben würden die Rettungsmaßnahmen für die unter den Trümmern verschütteten Menschen erschweren.

Hunderttausende ohne fließendes Wasser

Die wenigen noch arbeitsfähigen Krankenhäuser Aleppos seien mit den vielen Verwundeten überfordert. Es fehle an medizinischer Ausrüstung und Personal. „Wir haben nicht genug Ärzte, um mit der hohen Zahl an Verletzten fertig zu werden“, sagte Ibrahim al-Hadsch, Sprecher der Weißhelme in Aleppo. Seit Juli konnten keine Arzneien in den belagerten Ostteil gebracht werden.

Für Hunderttausende Menschen in der gesamten Stadt gibt es laut Unicef nach dem Angriff auf ein Pumpwerk und der Abschaltung einer weiteren Einrichtung zudem kein fließendes Wasser.

Frustration nach dem vorläufigen Scheitern der diplomatischen Bemühungen in New York war auch UN-Vermittler de Mistura anzumerken: „Ich bin nun 46 Jahre bei den UN, 19 Kriege inklusive Afghanistan und den Balkan, was kompliziert genug war. Ich habe niemals so viele Parteien mit so vielen unterschiedlichen Zielen gesehen wie in diesem Konflikt“, sagte er Al-Dschasira.

„Was als friedlicher Aufstand begann und sich dann zu einer gewaltsamen Unterdrückung wendete und danach zu einer Militarisierung sowohl des Aufstandes als auch der Unterdrückung, wurde ein regionaler Stellvertreterkrieg und danach ein konkurrierender internationaler Einsatz. Das ist das größte Problem in diesem Konflikt“, sagte er.

Die Gewalteskalation in Syrien nach dem Zusammenbruch der Waffenruhe legt Beobachtern aus Washington und Moskau zufolge den Schluss nah, dass Russland und die Syrische Regierung es für möglich halten, den Krieg militärisch gewinnen zu können. Aleppo gilt als wichtigstes Schlachtfeld in dem fünfeinhalb Jahren andauernden Konflikt, der bereits mehr als 300.000 Menschenleben gefordert hat. Eine Eroberung der Stadt könnte für das Regime einen Wendepunkt im Bürgerkrieg bedeuten.

In der zentralsyrischen Homs erreichte unterdessen ein Hilfskonvoi mit 36 Lastwagen den Bezirk Al-Waer. Nach einem Abkommen zwischen Regierung und Rebellen hatten Hunderte Aufständische das belagerte Al-Waer Anfang der Woche verlassen. Die Lieferung, an der auch die Vereinten Nationen beteiligt waren, enthielt dem Internationalen Roten Kreuz zufolge Nahrung, Medizin und Wasser für 75.000 Menschen. Am Montag war ein Konvoi der UN angegriffen worden. Mehr als 20 Zivilisten starben. (dpa)

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