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Mehrere hundert Stuttgart-21-Gegner stürmen nach der traditionellen "Montagsdemonstration" gegen das Bahnprojekt eine Baustelle.

© dapd

Gewaltsame Proteste: Entgleisung bei Stuttgart 21

Verletzte Polizisten, umgerissene Zäune, ein Millionenschaden, wütende Demonstranten. Wie wird die grün-rote Landesregierung mit den gewaltsamen Protesten gegen Stuttgart 21 fertig?

Als die Meute von mehr als 700 Demonstranten die Baustelle der Grundwasserregelung stürmte, war die Polizei machtlos. „Plötzlich und unerwartet kam es zu dem Ausbruch von Aggression und Gewalt“, sagt der neue Polizeipräsident Thomas Züfle. Es habe keine Anzeichen gegeben. Plötzlich ein lauter Knall: Ein Sprengsatz explodierte und gab der Masse mutmaßlich das Startsignal, den Zaun niederzureißen. „Das war kein Fluchtverhalten“, beugt Züfle Interpretationen vor, sondern pure Lust an der Zerstörung: „Die latent aggressive Stimmung schlug in Gewalt um.“

Nicht alle Baustellenstürmer handelten spontan: Manche hatten Bauschaum mitgebracht, um gezielt Maschinen, Kräne, Bagger und einen Sattelzug zu zerstören. Und Zangen, mit denen sie die Signalleitungen in jenen Rohren abschnitten, mit denen die Bahn seit Montag früh ein 17 Kilometer langes Netz für das abgepumpte Grundwasser errichtet. „Die Leute wussten, was sie machen“, sagt die Polizei. Die Rohre und ein beträchtlicher Teil der Baustelleneinrichtung sind zerstört, der Sachschaden geht nach ersten Schätzungen in die Millionen.

Acht Polizisten erlitten ein Knalltrauma, als die Bombe hochging, vier mussten stationär behandelt werden. Noch gestern Mittag sicherte die Polizei Spuren, die zusammen mit der Videodokumentation helfen sollen, mehr als die bislang identifizierten und festgenommenen 16 Gewalttäter dingfest zu machen. Weitaus schlimmer traf es einen zivilen Kriminalbeamten. Der hatte sich, sagt Züfle, ausgewiesen und Personalien notiert, als ihn eine Gruppe 30- bis 40-Jähriger angriff, ihm mit Fäusten ins Gesicht prügelte und, als er bereits am Boden lag, gezielt auf den Hals trat: „Wir haben um sein Leben gefürchtet.“

Matthias von Hermann, der Sprecher der selbst ernannten Parkschützer, hatte noch am Montagabend von „gelöster Feierabendstimmung“ gesprochen und wiederholte auch gestern, wie fröhlich alles gewesen sei und dass man doch zwei Clowns dabei gehabt habe. „Die Polizei fantasiert, dramatisiert und kriminalisiert“, rechtfertigt er sich gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Auch die gezündeten „Silvesterböller“ könnten keinen Schaden angerichtet haben.

„Widerwärtig“ sei das, so die CDU, die aber auch die Grünen mitverantwortlich macht für die Ausschreitungen. Verkehrsminister Winfried Herrmann agiere aufseiten der Krawallmacher, so Fraktionschef Peter Hauk. In der Tat galt eine der ersten Amtshandlungen Hermanns einem Besuch am Bauzaun, wo er sich mit den Gegnern duzte. Zwar rief Hermann gestern zur Besonnenheit auf, der Grüne schränkte aber sogleich ein, die Bahn habe mit dem Weiterbau ja auch Ratschläge missachtet, bis zum Stresstest Mitte Juli keine weiteren Fakten zu schaffen. Nach der Ankündigung der Bahn, weiterzubauen, hatte Hermann geunkt, nun wüssten die Gegner „genau, worauf es jetzt ankommt“.

Klarer als der bekennende Stuttgart-21-Gegner Hermann wurde Regierungschef Winfried Kretschmann: „Gewalt ist in jeglicher Form – egal, ob gegen Menschen oder Sachen – unmissverständlich zu verurteilen und wird von der Landesregierung nicht toleriert.“

Der gewalttätige Protest konterkariere die Schlichtung, fürchtet Kretschmann. Allerdings hatten sich die sogenannten Parkschützer um den ehemaligen Greenpeace-Aktivisten von Herrmann dem Schlichtungsprozess im vergangenen Herbst ohnehin verweigert, auch dem Stresstest messen sie keinen Wert bei. Entsprechend gespalten ist der Widerstand, die Zahl der Demonstranten geht stark zurück: Wo im vergangenen Jahr noch Zehntausende protestierten, sank die Zahl am Montag, als die Bahn die Bauarbeiten wieder aufnahm, auf nur noch rund 3000.

Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) rief die grün-rote Landesregierung zur Deeskalation auf, schließlich halte sich auch die Bahn an die in der Schlichtung vereinbarten Regeln. Schuster forderte, die Gewalttäter für die Schäden haftbar zu machen, worauf Innenminister Reinhold Gall (SPD) umgehend versprach, Straftaten konsequent zu verfolgen. Er lobte seine Beamten für deren besonnenes Vorgehen, an dem die Polizei auch weiter mit abgestuften Einsätzen festhalten will. Aber weder Züfle noch Gall schließen aus, dass sie neben Schlagstock und Reizgas gegebenenfalls auch Wasserwerfer erfordern.

Vorerst hat der Protest aber sein Ziel erreicht: Auf einem Container verheißt ein Schriftzug stolz: „Baustopp selber gemacht.“

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