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Politik: Gipfel in Pjöngjang: Lässiger Auftritt: Unerwartet offen zeigt sich Diktator Kim Jong Il - Erstmals Hoffnung auf Frieden in Korea

Warum zögert er? Einen Moment sieht es so aus, als wolle Kim Dae Jung gar nicht aus seinem Flugzeug steigen.

Warum zögert er? Einen Moment sieht es so aus, als wolle Kim Dae Jung gar nicht aus seinem Flugzeug steigen. Unsicher steht er auf der Flugzeugtreppe in Pjöngjang, ein Bein noch in der Maschine. Mit allem hat Südkoreas Präsident auf seiner historischen Reise zum Erzfeind Nordkorea gerechnet, auf vieles ist er vorbereitet: Dass die Führung in Pjöngjang in letzter Minute doch noch einen Rückzieher macht. Dass die Maschine keine Landeerlaubnis erhält. Mit Stromausfall. Jahrzehntelang hat sich der kommunistische Norden geweigert, mit dem Süden über Frieden zu reden. Und plötzlich steht dieser Mann vor dem Flugzeug, nur wenige Meter entfernt, in einen unauffälligen Khaki-Anzug gekleidet und begrüßt ihn mit einem breiten Lächeln: Kim Jong Il, der geheimnisvollste aller Potentaten dieser Erde, der sich noch nie live im Fernsehen gezeigt hat, geschweige denn ein Interview gegeben hat, wartet persönlich zum Empfang auf dem Rollfeld. Ein Händeschütteln, ein Schwatz, eine Sensation.

Noch nie hatten die Menschen in Südkorea, die das Ereignis live im Fernsehen verfolgten, so etwas gesehen. Die beiden Führer, deren Völker einen der brutalsten Kriege dieser Erde gefochten haben und technisch bis heute miteinander im Kriegszustand sind, schlendern an diesem sonnigen Morgen Kopf an Kopf über den roten Teppich auf dem Flughafen von Pjöngjang. Kim Dae Jung im dunklen Geschäftsanzug, wegen der alten Verletzung vom Attentat humpelt er etwas. Dahinter seine Frau Lee Hee-ho, die höchsten Minister aus seinem Kabinett. Und an seiner Seite dieser Mann: Kim Jong Il, der westlichen Geheimdiensten und Politikern seit Jahrzehnten Rätsel aufgibt. Einige Hundert in Trachten gekleidete Nordkoreaner brechen in Jubel aus. "Kim Jong Il! Kim Jong Il" und "Man-se" - "Zehntausend Jahre" soll er leben!

Dies waren andere Bilder, als man aus Pjöngjang erwartet hatte. Und genau deshalb dürfen die Menschen in Korea vielleicht bald auf Frieden und Entspannung hoffen. Während der Kim aus dem Süden, der weltgewandte Präsident einer demokratischen Industrienation, am Anfang unsicher und steif wirkte, schien der selbsternannte "Geliebte Führer" des Nordens sich rundum wohl zu fühlen. Der 58-Jährige, der seit der Machtübernahme nach dem Tod seines Vaters 1994 praktisch keinen ausländischen Staatsgast empfangen hat, dessen Stimme nur ein einziges Mal vor 15 Jahren im nordkoreanischen Radio zu hören war, schlenderte fast schon lässig über das Flugfeld. Die Haare ungekämmt, den Bauch entspannt nach vorne gestreckt. "Ich hatte Sie abfliegen gesehen", begründete Kim Jong Il später seinen überraschenden Auftritt, "und bin dann zum Flughafen gekommen". Einfach so, als sei dieser Gipfel für ihn Alltag.

Man könnte es das Coming Out des Diktators nennen. Kim Jong Il, der mit der bizarren Autarkie-Doktrin seines Vaters sein Volk soweit isoliert hat, dass Millionen seiner Untertanen Hunger leiden, hat einen ersten Fuß auf die Weltbühne gesetzt. Und es schien ihm zu gefallen. Im Baekhwawon Staatsgästehaus, eingerichtet im hölzernen Sozialismus-Stil der 50er Jahre, lässt er sich später minutenlang zusammen mit Kim Dae Jung fotografieren. Keine Spur von der angeblichen Behinderung durch einen Reitunfall, über die immer in Südkorea phantasiert wurde. Einen schweren Sprachfehler habe der "Geliebte Führer", schrieb der Süden gehässig, deshalb müsse er sich vor der Öffentlichkeit verstecken. Das alles entpuppte sich als falsch.

Im Seouler Hauptbahnhof stoppen die Passanten, um auf einer Großleinwand das Geschehen in der nordkoreanischen Hauptstadt zu verfolgen. Aus immer neuen Blickwinkeln sehen sie das Bild das Tages, das zum Symbol für die großen Hoffnungen der Koreaner werden könnte: Der Handschlag der beiden Kims, der in keinem Protokollablauf stand, und doch ehrlich wirkte. Ein Mädchen im Seouler Hauptbahnhof weint, viele andere haben feuchte Augen. "Vielleicht kommen wir Koreaner uns jetzt ja wirklich näher", sagt ein Mann.

Ein Fernsehgipfel

Es ist ein Fernsehgipfel. Nur 50 südkoreanische Journalisten dürfen Kim Dae Jung nach Pjöngjang begleiten. In den Pausen, wenn gerade keine neuen Bilder aus Pjöngjang einlaufen, zeigt das südkoreanische Fernsehen Archivfilme aus Deutschland: Willy Brandt, wie er 1970 mit Stoph in Erfurt den deutsch-deutschen Dialog startet, der später Familienzusammenführungen und humanitären Austausch möglich machte. Der südkoreanische Staatssender KBS zeigt Bilder vom Fall der Mauer in Berlin, dazu die Musik von Pink Floyds "The Wall".

Auch wenn sich noch niemand im offiziellen Südkorea traut, das Wort Wiedervereinigung in den Mund zu nehmen, ist Deutschland das Vorbild. Wie schnell kann sich ein Regime wie Nordkorea öffnen? Seit 50 Jahren sind die Menschen im Norden Koreas einer stalinistischen Propagandamaschine unterworfen, die bis heute perfekt funktioniert. Die Jubelmassen in der Stadt, in Reih und Glied entlang der Straße aufgestellt, wirkten eher gespenstisch als fröhlich: Alle trugen die gleiche oder ähnliche Kleidung. Kein einziges spielendes Kind war unterwegs, kein Hund und kein Landstreicher. Auch das ist ein Bild dieses Gipfels. "Kim Jong Il für den Friedensnobelpreis?", hieß vor kurzem die ironische Überschrift in einer südkoreanischen Zeitung, die an die Verbrechen und Mordaufträge des nordkoreanischen Führers erinnerte, der heute von Seoul hofiert wird. Doch davon will in Korea im Moment wohl niemand etwas hören.

Harald Maass

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