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Politik: Glauben machen

Von Ursula Weidenfeld

Wieder kommt der Papst nach Deutschland, und wieder führt sich das Land auf, als stünde das letzte Konzert von Tokio Hotel auf Erden bevor. Papst Benedikt XVI. besucht an diesem Wochenende seine alte Heimat. Eine Heimat, in der sich die Katholiken traditionell schwer tun mit ihrer Amtskirche, die Erwachsenen jedenfalls. Die Jugendlichen dagegen tun sich nicht schwer mit dem Papst, weder mit diesem noch mit seinem Vorgänger. Da, wo sich die Eltern an der Haltung der katholischen Kirche zu den Laien, den Frauen, zur Schwangerschaftskonfliktberatung stoßen und zum Teil daran verzweifeln, da sind die Kinder und Jugendlichen eins: erstaunlich gläubig.

Überrascht stellen die katholischen Bistümer fest, dass sich mehr und mehr Jugendliche taufen lassen, dass die Zahl der Kirchenaustritte zurückgeht und dass es vor allem die Generation der Jungen ist, die sich von der Sinnlichkeit und der Verbindlichkeit ausgerechnet der katholischen Amtskirche angezogen fühlt. Die weltweite Renaissance des Glaubens, sie ist merkwürdigerweise auch in Deutschland bemerkbar. Gerade in dem Augenblick, in dem das Land sich anschickt, mit religiösen Symbolen im öffentlichen Raum Tabula rasa zu machen, widersetzen sich die Jugendlichen dieser verordneten Säkularisierung selbstbewusst. In einer Zeit, in der Bundesländer wie Berlin den Religionsunterricht aus ihren Schulen verdrängen, haben konfessionelle Jugendgruppen, Jugendwallfahrten und Papstbesuche Konjunktur wie lange nicht. Nicht nur weltweit, auch in Europa ist eine neue Religiosität bemerkbar. Und es scheint so zu sein, als hätten die christlichen Kirchen eine Haltung jenseits von Fundamentalismus und Verbohrtheit gefunden, die glaubwürdig im Sinne des Wortes ist.

Das Besondere an der deutschen Entwicklung ist vielleicht weniger die Haltung der Kinder und Jugendlichen. Das Besondere ist, dass sie ihre Haltung nicht wegen, sondern trotz ihrer Eltern entwickeln. Die Generation der heute 40- bis 60-Jährigen hat sich in ihrer Distanz zur Kirche definiert, nicht in ihrer Nähe. Sie stand der Kirche entweder total fern – das betrifft vor allem die Ostdeutschen –, oder sie entfernte sich. Viele traten aus. Von denen, die drin blieben, litten die meisten, jedenfalls die Katholiken. Die selbstbewussten Frauen, Homosexuellen, Geschiedenen, sie fanden ihren Platz nicht mehr in einer Kirche, die immer noch Demut, Selbstverleugnung und Gehorsam verlangt. Die Laien, die sich nach dem erzwungenen Ausstieg der Kirche aus der Schwangerschaftskonfliktberatung Donum Vitae weiter engagierten, gingen zwangsläufig auf Distanz und werden auf Distanz gehalten.

Das alles scheint die Jugendlichen nicht zu kümmern, im Gegenteil. Es scheint so zu sein, dass sich gerade die Generation „Jugend debattiert“ in dem Bewusstsein, alles verhandeln zu dürfen, nach Unverhandelbarkeit sehnt. Die Kinder der Nach-68er-Eltern halten den Kompromiss nicht mehr für die Königsdisziplin, wenn es um Werte und Haltungen geht. Den politischen Rationalitäten einer Koalitionsregierung und den daraus resultierenden Verhandlungsergebnissen stehen sie einigermaßen fassungslos gegenüber. Sie suchen keine letztgültigen Wahrheiten, sie suchen eine Haltung zur Wahrheit. Dass sie die in der Kirche und auch in diesem Papst zu finden glauben, ist erstaunlich – und es ist ein erfreuliches Zeichen. Nicht nur für die Kirche. Auch für eine säkulare Gesellschaft.

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