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Politik: Globale Nebenkosten

Von Harald Schumann

Gerade fünf Monate ist es her, da benannte Franz Müntefering ein Problem, mit dem sich Deutschlands politische Kaste nur ungern befasst. Es gefährde die Demokratie, wenn die Wähler zu dem Schluss kämen, die Politik verliere angesichts der Globalisierung ihre Fähigkeit zur Gestaltung, erklärte der SPDChef. Dem politischen System drohe der Verlust der Legitimation, mahnte er und forderte neue Ansätze jenseits von Lohnnebenkosten und Unternehmensteuern.

Die in diesem Kontext angestoßene Debatte über das Wirken anonymer Finanzinvestoren („Heuschrecken“) verlief oberflächlich und folgenlos. Münteferings Mahnung war gleichwohl nur allzu berechtigt. Einmal mehr hinterlässt auch dieser Wahlkampf den beklemmenden Eindruck, dass die Volksparteien die bewusste Gestaltung der Entwicklungen, die über die Zukunft unseres Landes bestimmen, nicht mal mehr anstreben. Da schwadronieren die Redner allenthalben von den „Bedingungen der Globalisierung“ (Merkel) oder den „Erfordernissen der globalen Märkte“ (Schröder), gerade so, als handle es sich um ein Naturereignis. Dementsprechend bieten sie lediglich unterschiedliche Varianten der Anpassung an einen Zwang, der scheinbar naturwüchsig alle Vorteile den internationalen Unternehmen und ihren Eigentümern, alle Nachteile aber den Beschäftigten sowie jenen zuschanzt, die auf die Sozialsysteme angewiesen sind.

Die wirtschaftliche Integration über alle Grenzen hinweg ist allerdings ein durch und durch politischer Prozess. Dass die Welthandelsorganisation zur Durchsetzung von Patentansprüchen dient, nicht der von Gewerkschaftsrechten, ist eine politische Entscheidung, die das viel beklagte Lohndumping erheblich befördert. Dass die Steuerflucht über Karibikinseln und Alpenfürstentümer Milliardenschäden zu Lasten des Fiskus anrichten kann, ist Folge von schlechter Politik, nicht von anonymen Kräften des Marktes.

Diese und hunderte anderer Entscheidungen fallen freilich stets in internationalen Gremien, fern vom Parlament und unkontrolliert vom Wähler. Fast immer werden die Weichen für das jeweilige Vorgehen auf EU-Ebene gestellt. Der Binnenmarkt hat die Europäer auf Gedeih und Verderb aneinander geschweißt. Wie auch immer sie die Regeln der transnationalen Ökonomie gestalten wollen, sie müssen es gemeinsam tun. Doch eben das gelingt immer weniger. Mangels klarer, demokratisch legitimierter Entscheidungsstrukturen, ist die EU in zentralen Fragen wie der Unternehmensbesteuerung bis heute nicht handlungsfähig. Sie ist ein Markt ohne Staat geblieben, der notdürftig mit den Mitteln der Diplomatie reguliert wird.

Umso schwerer wiegt, dass ausgerechnet im wirtschaftsstärksten Mitgliedsland über die Zukunft dieses Gebildes, das entscheidend für die Zukunft dieser Republik wird, noch nicht einmal diskutiert wird. Was wird aus der im ersten Anlauf gescheiterten Verfassung? Wie überwindet die EU ihren vordemokratischen Status, in dem sich die versammelte Exekutive ihrer 25 Mitgliedsländer jenseits aller Gewaltenteilung ihre Gesetze selber schreibt oder im Streit gelähmt bleibt? Wie also wird die Politik in der globalisierten Wirtschaft handlungsfähig?

Auf keine dieser Fragen haben die Wahlkämpfer auch nur versucht, eine Antwort zu geben. Wer Politik nur noch als Vollstreckung der Sachzwänge einer globalisierten Ökonomie betreibt, der sollte sich aber über den wachsenden Zulauf für gefährliche Populisten nicht wundern.

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