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Politik: Gorbatschow gilt Bradley als Vorbild - erste gemeinsame Debatte der demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten

Für jeweils eine Überraschung waren beide gut. Beim ersten direkten Aufeinandertreffen überhaupt, einer Live-Debatte mit Wählern im US-Bundesstaat New Hampshire am Mittwochabend, sorgte Vizepräsident Al Gore durch seine scharfe Kritik an Amtsinhaber und Parteifreund Bill Clinton für Aufsehen.

Für jeweils eine Überraschung waren beide gut. Beim ersten direkten Aufeinandertreffen überhaupt, einer Live-Debatte mit Wählern im US-Bundesstaat New Hampshire am Mittwochabend, sorgte Vizepräsident Al Gore durch seine scharfe Kritik an Amtsinhaber und Parteifreund Bill Clinton für Aufsehen. Sein einziger innerparteilicher Rivale um die Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat für die Wahl im November 2000, Ex-Senator Bill Bradley, fiel besonders durch seine Auswahl an vorbildlichen Führungsfiguren auf.

Gore wurde ohne jede Namensnennung gefragt, wie er den grassierenden Zynismus in den USA und die weit verbreitete Politikverdrossenheit bekämpfen wolle. Gleich im ersten Satz seiner Antwort, seiner ersten überhaupt, meinte Gore: "Die Enttäuschung und der Ärger über Bill Clinton ist verständlich. Aber lassen Sie uns die Vergangenheit hinter uns lassen." Vergangene Woche hatte Gore eingeräumt, dass er erwägt, Clinton um einen Verzicht auf alle Wahlkampfauftritte zu bitten - so sehr betrachtet der Vize seinen Chef offensichtlich als Ballast.

Auch der Gegenkandidat Gores bei den im Januar beginnenden Vorwahlen sorgte für hochgezogene Augenbrauen. Bradley antwortete auf die Frage nach Vorbildern unter Staatslenkern und nach nötigen Eigenschaften von Führungspersönlichkeiten, drei Fähigkeiten stünden im Vordergrund. Für Weitsicht sei Präsident Woodrow Wilson ein Beispiel, für Ehrlichkeit und Integrität Jimmy Carter und für Mut Michael Gorbatschow. US-Kommentatoren merkten an, dies sei das erste Mal, dass ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat einen Kommunisten zum Vorbild erklärt habe.

Gore war sichtlich bemüht, sein Image als hölzern abzulegen. Er machte Witze, stellte Rückfragen an das Publikum und ging Bradley aggressiver an als dieser ihn. Den meisten Applaus des Abends gab es für Bradley, als dieser sich für eine Gleichstellung Homosexueller einsetzte. Gore warf Bradley unter anderem vor, den gesamten erwarteten Haushaltsüberschuss für eine Ausweitung der Krankenversicherung ausgeben zu wollen. Damit nehme er sich jeden politischen Handlungsspielraum.

Beide Kandidaten ließen auch ihre zahlreichen thematischen Übereinstimmungen erkennen. Diese reichten von einer drastischen Reform der Wahlkampffinanzierung und der Einführung eines steuerfinanzierten Systems über eine Verschärfung der Waffenkontrollgesetze, Initiativen im Bildungswesen, einem Bekenntnis zum Multilateralismus und zum Begleichen der amerikanischen UN-Schulden bis hin zu ähnlichen Positionen zum Minderheiten- und Umweltschutz. Beide Kandidaten saßen überwiegend links-demokratischen Wählern gegenüber und positionierten sich als Reformer links des Kurses der Regierung von Bill Clinton.

Gore bezeichnete es als den größten politischen Fehler seiner Karriere, sich zum Erfinder des Internet ausgerufen zu haben. Er bat die Wähler und die Millionen an den Fernsehschirmen eindringlich um die Chance, als Präsident dienen zu dürfen, und sagte: "Bitte geben Sie mir Ihre Stimmen, bitte lassen Sie mich die Ärmel hochkrempeln."

Bradley stellte sich als Mann dar, der 1996 den Senat verließ, um in der Privatwirtschaft und außerhalb Washingtons zu arbeiten und zu lernen. Jede seiner Antworten unterstrich seine ruhige, wohlüberlegte Herangehensweise. In oft getragenem Vortrag und mit zuweilen professoralem Duktus versprach Bradley "große Lösungen für große Probleme" und machte deutlich, dass er sich als hochseriöser, unabhängiger Denker bewirbt, nicht als ein von Umfragen geleiteter, oberflächlicher Politiker.

Alle Umfragen zeigen einheitlich, dass Bradley in New Hampshire und anderen Bundesstaaten im Nordosten leicht vor Gore führt. USA-weit liegt Gore deutlich vor Bradley. Bradley werden die besseren Chancen gegen den Republikaner George W. Bush eingeräumt. Dies stellt für sich genommen bereits einen ungeheuren Erfolg Bradleys dar, den Gore lange nicht ernst genommen hatte. Gore hat durch zahlreiche Umbesetzungen in seinem Wahlkampfteam, durch den Umzug seines Hauptquartiers nach Tennessee und durch eine Verjüngung seines Images zu reagieren versucht. Bradley präsentiert sich zwar als der orthodoxere, linkere Kandidat, kommt indes in den Genuss der sogenannten "Clinton-Müdigkeit" und ist bei Unabhängigen in der politischen Mitte erfolgreicher als Gore, den das Partei-Establishment stützt. Bei den alles entscheidenden Wahlspenden liegen beide fast gleichauf.

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