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Als Erster von Bord. Kommandant Norbert Schatz bei seinem Amtsantritt auf dem Segelschulschiff der deutschen Marine im Jahr 2006. Foto: ddp

© dapd

Gorch Fock: Beigedreht

Verteidigungsminister Guttenberg schickt den Kapitän der Gorch Fock von Bord

Von
  • Robert Birnbaum
  • Michael Schmidt

Er wird vielleicht der Letzte sein, der die „Gorch Fock“ als Segelschulschiff unter seiner Kommandogewalt hatte. Norbert Schatz hat von seiner Absetzung als Kapitän am Telefon erfahren. Marineinspekteur Axel Schimpf hat die Anordnung seines Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am späten Freitagnachmittag ins ferne Feuerland übermittelt.

Guttenberg kannte zu dem Zeitpunkt schon, was Leser der „Bild“-Zeitung erst am Samstag sehen konnten: die Aussage eines Soldaten etwa, die den Tod der Offiziersanwärterin Sarah Lena Seele als womöglich vermeidbaren Unfall erscheinen lässt. Die 25-Jährige sei an dem Unglückstag, dem 7. November, zum sechsten oder siebten Mal in den Mast geklettert, berichtet der anonyme Zeuge, und habe vorher einem Ausbilder gesagt, dass sie nicht mehr könne. Der habe nur gesagt, sie solle sich nicht so anstellen. Oben in der Takelage habe sie sich zum Ausruhen kurz hingekniet; als ein Ausbilder sie gefragt habe, ob sie aufgeben wolle, habe sie verneint. „Dann ist sie abgestürzt“, zitiert die Zeitung den Mann.

Ein Unfall also, aber einer, den genaueres Hinschauen auf den Zustand der nur 1,59 Meter großen Kadettin hätte vermeiden können? Die Mutter der Toten hat jedenfalls Strafanzeige gegen die Bundesrepublik wegen fahrlässiger Tötung gestellt. Die Staatsanwaltschaft Kiel, die den Todesfall untersucht, sieht bisher aber keine hinreichenden Verdachtsmomente: „Einzelne Lehrgangsteilnehmer mögen so etwas wie Druck empfunden haben“, zitiert das Magazin „Focus“ Oberstaatsanwalt Bernd Winterfeldt. Nur sei das „strafrechtlich nicht relevant“.

Aber Strafrecht ist das eine – das Verständnis von Ausbildung und von Anstand, das an Bord des Dreimasters herrschte, ist noch einmal etwas anderes. Der Kapitän, so schildert es ein ebenfalls anonymer Zeuge in „Bild“, habe den Tod der jungen Frau in seiner Traueransprache in eine Reihe mit Autounfällen und Flugzeugabstürzen gebracht; ein Offizier habe eine junge Kameradin, die weinend zusammengebrochen sei, angeraunzt, sie solle sich nicht so anstellen. Ein Foto zeigt, was unter Wehrexperten bisher nur als kaum zu glaubendes Gerücht kursierte: Die Stammbesatzung hat zwei Tage nach der Beisetzung der Offiziersanwärterin wohl wirklich Karneval gefeiert. Und einer erzählt von einer Wettkasse unter Ausbildern, die der eingestrichen habe, der die „hässlichste“ Offiziersanwärterin ins Bett bekommen habe. Ob das alles wirklich so war oder ob da bloß Gerüchte und Halbwahrheiten weitererzählt werden, weiß niemand genau. Nur: „Wenn auch nur zehn Prozent davon stimmt“, sagt ein Ministerialer in Berlin, „ist das untragbar.“

Der Minister sah es genauso. „Nach einer derartigen Häufung von faktisch erschütternden Berichten kann niemand zur Tagesordnung übergehen“, rechtfertigte Guttenberg seinen Schritt am Samstag. „Dort, wo Konsequenzen gezogen wurden, mussten sie gezogen werden.“ Abgeordnete wie der Grünen-Wehrexperte Omid Nouripour finden das nicht. Guttenberg, sagt Nouripour, habe sich gegen jede Vorverurteilung aufgrund von bloßen Medienberichten gewandt – „und jetzt tut er genau das: Er entlässt den Kapitän der ,Gorch Fock’, ohne in der Sache mehr zu wissen.“

Aber selbst der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hatte, hält Guttenbergs Schritt für richtig. Ein mit derartigen Vorwürfen konfrontierter Kommandant könne schlecht ein Schiff zurück nach Deutschland steuern, dessen Zukunft jetzt genau so offen ist wie seine eigene.

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