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Politik: Gotteskrieger auf dem Vormarsch

In Afghanistan bauen die Taliban ihre Strukturen aus /Deutsche Experten sehen Sicherheitslage mit Sorge

Von Frank Jansen

Kabul/Berlin – In Afghanistan grassieren islamistische Militanz und Straßengewalt. Am Dienstag, nur einen Tag nach den schweren Ausschreitungen in Kabul, erschossen Unbekannte in der Provinz Dschawsdschan im Norden des Landes vier afghanische Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisation Action Aid. Und in der nordwestlichen Provinz Badachschan wurden am Dienstag bei einem Bombenanschlag zwei afghanische Mitarbeiter einer amerikanischen Consultingfirma getötet sowie zwei Ausländer verletzt. In Kabul waren am Montag bei den heftigsten Krawallen seit dem Sturz des Talibanregimes im Jahr 2001 mindestens 14 Menschen ums Leben gekommen. Nachdem bei dem Zusammenstoß eines US-Militärlastwagens mit afghanischen Zivilfahrzeugen bis zu drei Menschen starben, randalierten tausende Demonstranten und riefen antiamerikanische Parolen. 140 Menschen wurden am Tag danach festgenommen.

Unterdessen halten im Süden des Landes die Gefechte zwischen den Taliban und amerikanischen sowie afghanischen Einheiten an. Mehr als 350 Menschen wurden in den vergangenen zwei Wochen bei den Kämpfen in den Provinzen Kandahar und Helmand getötet.

Deutsche Sicherheitsexperten äußern sich pessimistisch über die Sicherheitslage in Afghanistan. Im Süden und Osten zeichne sich eine Verfestigung der Talibanstrukturen ab, warnt ein hochrangiger Fachmann. Die Taliban versuchten, den für Sommer geplanten Teilrückzug der US-Truppen aus dem Süden zu nutzen. Die von der Nato geführte Isaf wird in den nächsten Monaten mit 6000 Briten, Kanadiern und Niederländern in die Südprovinzen einrücken. Wie viele US-Soldaten dort verbleiben, ist offen. Bisher stellt die Bundeswehr das größte Kontingent.

Die Taliban verfügten über 1500 „Hardcore-Fighter“ und 10 000 Unterstützer, heißt es in deutschen Sicherheitskreisen. Der Kampfesmut der Taliban nehme zu – sie trauten sich sogar, offene militärische Auseinandersetzungen mit den überlegenen US-Truppen zu suchen. Unterstützt werden die Taliban offenbar auch durch Kämpfer, die von der islamistischen Terrorszene im Irak ausgebildet und dann nach Afghanistan geschickt wurden. Der Nachschub an Gotteskriegern für Afghanistan und den Irak scheint sogar noch zu wachsen: Deutsche Experten beobachten, dass inzwischen auch aus den Palästinenserlagern in Libanon zunehmend Kämpfer in den Irak „abfließen“, wie ein Fachmann sagt.

Beim Blick auf Afghanistan bereitet Experten auch die Verschiebung der „Schwerpunkte des Drogenanbaus“ Sorgen. Angesichts der harten Repression der Amerikaner und Briten weiche die Opiumwirtschaft immer mehr in die Gebiete aus, in denen die Bundeswehr aktiv ist. Wie gefährlich die Situation für deutsche Soldaten wird, haben Sicherheitsexperten schon im vergangenen Jahr angedeutet. Damals hieß es, die Vernichtung der Schlafmohnfelder durch Amerikaner und Briten verschlechtere noch die deprimierende Lage vieler Afghanen. Der Drogenanbau sei in den meisten Regionen der einzige florierende Wirtschaftszweig – werde er zerbrochen und keine Alternative angeboten, würden zahlreiche Afghanen dem islamistischen Widerstand in die Arme getrieben. Die Bundeswehr, die sich am Kampf gegen die Drogen bislang nicht beteiligt, wird trotzdem zunehmend mit dem Opiumproblem konfrontiert. Schaut sie weg, muss sie sich passive Komplizenschaft mit den Drogenbaronen vorwerfen lassen. Greift sie durch, werden viele afghanische Kleinbauern zum Feind.

Aussichtslos erscheint die Lage in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion. Hier verstecken sich seit dem Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan im Jahr 2001 Al-Qaida-Chef Osama bin Laden und sein Vize, der Ägypter Aiman al Sawahiri. Die Terrorchefs werden von paschtunischen Stämmen geschützt, die sich in dem Grenzgürtel seit Jahrhunderten jeder staatlichen Autorität entziehen. Mehr als eine „Eindämmung“ der Al-Qaida-Strukturen in der Region sei nicht zu erwarten, sagt ein hochrangiger deutscher Sicherheitsexperte. Außerdem sei Pakistan trotz seiner Allianz mit den USA im Antiterrorkampf „keine sichere Bank“. Schon mehrfach haben Sicherheitskreise die Haltung der Regierung von General Pervez Muscharraf als zwiespältig kritisiert. Ein Teil des Geheimdienstes ISI sympathisiere weiter mit den Taliban, heißt es. Dass die US-Regierung in den vergangenen Monaten das mit Pakistan rivalisierende Indien hofiert, könnte zudem die Bereitschaft Muscharrafs dämpfen, sich an der Seite der Amerikaner im Kampf gegen den islamistischen Terror zu engagieren.

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