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Im Umbruch. Die Kapelle um Jesu Grab ist einsturzgefährdet. Bis ins Jahr 2017 wird sie renoviert.

© Stefanie Järkel/dpa

Grabeskirche in Jerusalem: Renovierung nach 1000 Jahren

Es gibt Putzpläne und feste Gebetszeiten. Die Grabeskirche in Jerusalem ist eine 1000 Jahre alte Mönchs-WG. Sechs christliche Gemeinden ringen um ein friedliches Miteinander. Jetzt wird renoviert – das könnte alte Grenzen verschieben.

Das Grab Jesu ist ein Kabuff. Eine dunkle Kammer, nicht größer als zwei Telefonzellen, in der Grabeskirche in Jerusalem. Dort steht ein Baugerüst, an der grauen Steinbrüstung hängen gelbe Schutzhelme. In den Kerzenduft mischen sich Baustaub und Mörteldunst, eine Hebebühne fährt Archäologen und Arbeiter hinauf und herunter. Unten stehen die Pilger Schlange.

Pater Athanasius, Franziskaner, Texaner aus Austin, seit 27 Jahren in Jerusalem, macht die Hitze zu schaffen. Zur braunen Ordenskutte trägt er einen Cowboyhut, um sich vor der Sonne zu schützen. Dazu schnauft er, korpulent und mit gerötetem Gesicht, und schreitet langsam durch die dunkle Kirche.

Jedes Gebet, jede Prozession, jeder Putzplan ist hier geregelt und aufgeteilt und folgt dem „Status quo“, so wie er seit mehr als 160 Jahren besteht: 1852 dekretierte der türkische Sultan Osman III., weil der Dauerstreit um die Vorherrschaft in der Grabeskirche ständig zu Konflikten führte, dass Nutzung und Aufteilung nicht mehr verändert werden dürfen: Alles hat seitdem zu bleiben, wie es ist. Im Grunde wird in dieser Kirche in Jerusalem die Möglichkeit ausgelotet, wie die Menschen koexistieren könnten, wenn jeder überzeugt ist, Gott und der Wahrheit näher zu sein als sein Nachbar.

Die Grabeskirche in Jerusalem ist seit jeher klar zwischen den Kirchen aufgeteilt.
Die Grabeskirche in Jerusalem ist seit jeher klar zwischen den Kirchen aufgeteilt.

© Tsp

In ruhigen Zeiten klappt das. Wenn aber Neuerungen notwendig werden, dann wird es kompliziert zwischen den Parteien. Seit Ende Mai die Arbeiten begonnen haben, ist es für Pater Athanasius ein Vollzeitjob. Die Restaurierung der Ädikula, wie die kleine Kapelle um das Grab Jesu herum heißt, gilt als delikates Projekt: Nicht nur weil Jesus’ Leichnam hier drei Tage begraben gewesen sein soll. Nicht nur weil das zerfallende Mauerwerk stabilisiert werden muss, unter dem Grab ein Abwassersystem eingebaut wird, und die Steinplatten an den Seitenwänden mit Titanankern neu befestigt werden. Sondern vor allem, weil die Grabeskirche seit Jahrhunderten der Zankapfel der sechs christlichen Mönchsgemeinden ist, die sie gemeinsam zur Ausübung ihres Glaubens nutzen, bewohnen, beanspruchen und umkämpfen.

Glaubensfestung. Seit Jahrhunderten wird um die Grabeskirche gekämpft.
Glaubensfestung. Seit Jahrhunderten wird um die Grabeskirche gekämpft.

© dpa

Die Grabeskirche ist eigentlich wie eine große, fast 1000 Jahre alte Mönchs-WG, mit Wohnquartieren für Griechisch-Orthodoxe, Katholische und Armenisch-Orthodoxe, mit 24-Stunden-Gebetsbetrieb, und mit unzähligen Seitenkapellen und Altären. Mindestens einen für die Kopten, einen für die Syrisch-Orthodoxen, einen bei den Äthiopiern, zwei bei den Katholiken, einen am Grab Adams, und zwei bei den Armenisch-Orthodoxen im oberen Stock. Auf dem Dach der Kirche stehen ein paar Hütten, wo dreißig äthiopisch-orthodoxe Mönche ein Kloster betreiben, in einem Kleinstraum ein Souvenirshop. Davor sitzt ein Pope in der Mittagshitze und flickt sich seine Hose.

Griechen, Armenier, Katholiken - wer beseitigt die Kerzenreste?

„Die Griechen“, sagt Athanasius, hätten sich mit „den Armeniern“ darüber in die Haare gekriegt, wer die Kerzenreste am Fuße der Ädikula zu beseitigen habe. „Die Griechen“, das heißt: Die Mönche der griechisch-orthodoxen Gemeinde, die zusammen mit den armenisch-orthodoxen und katholischen Popen und Mönchen in der Grabeskirche den Ton angeben.

Auch bei der Restaurierung des Grabes Christi. Die drei Kirchen teilen sich die umgerechnet rund 3 Millionen Euro Baukosten, zusammen mit einer Großspenderin aus den USA und dem jordanischen König. Ein Team der Universität Athen, geleitet von der griechischen Wissenschaftlerin Antonia Moropoulou, führt die Arbeiten aus. „Griechen“ also, argwöhnisch beäugt von den anderen Gemeinden, selbst wenn die sämtlich dem Projekt zugestimmt haben. Sie achten genau darauf, dass es unter der Hand der Archäologen nicht zum Machtzuwachs einer Gruppe kommt.

Das Grab ist, für alle, die daran glauben, der heiligste Ort des Christentums. Jesu Begräbnis und Auferstehung sollen sich hier ereignet haben. Deswegen stehen sie Schlange: die Pilger, Touristen und Wallfahrer. Sie fotografieren und bekreuzigen sich. Dann, wenn sie endlich dran sind, zwängen sie sich hinein in die Grabkammer, schlüpfen gebückt unter der kindshohen Pforte durch.

Im Blick. Pater Athanasius weiß genau, was die anderen Ordensmänner tun.
Im Blick. Pater Athanasius weiß genau, was die anderen Ordensmänner tun.

© dpa

Ein griechisch-orthodoxer Pope lässt Gruppen von jeweils drei bis vier Leuten ein, denn in der riesigen Kirche, unter der himmelhohen Rotunde, steht man am Ende dann doch in der allerkleinsten Kammer, von Kerzen erleuchtet, und sieht: eine Marmorplatte. Speckig von all den Mündern, die sie geküsst, und den Händen, die sie berührt haben, bis der Pope anzeigt, dass die nächsten dran sind. Er schützt den Kopf beim Wiederauftauchen unter dem Einschlupf, da fasst einer der Pilger seine Hand und küsst sie, als gehöre der Pope zum Inventar des Heiligen dazu, als wäre er eins geworden mit diesen Mauern, dieser Kirche.

Ein Ort des höchst Heiligen, und trotzdem - oder eher gerade deswegen - ein Ort der Rivalität zwischen den christlichen Konfessionen, wo Ordensmänner und Priester zanken, wenn einer in den Bereich des anderen hineinzelebriert oder die falsche Säule putzt. Deshalb wird der Schlüssel für die Grabeskirche seit Jahrhunderten von zwei muslimischen Jerusalemer Familien aufbewahrt.

Seit dem Sultansdekret von 1852 begründete Theodor Herzl den Zionismus. Es zerfiel das Osmanische Reich, die Briten besetzten Palästina, es ereigneten sich die Verwüstungen zweier Weltkriege, die deutsche Vernichtung der Juden, es entstand der Staat Israel, mit Unabhängigkeitskrieg und Vertreibung hunderttausender Palästinenser, acht weitere Kriege, je nach Zählung, folgten, hier, um diese Kirche herum, und doch streitet man drinnen darüber, wer wann und wo zur Prozession antreten darf, wer welche Stufe zu fegen hat.

Pater Athanasius verdankt seinen Arbeitsplatz genau dieser Rivalität: Er ist als Vertreter der Katholiken dafür zuständig, die Beziehungen zu den anderen Konfessionen in der Grabeskirche zu pflegen.

Er erzählt, dass bereits einmal, nach einer Übereinkunft der verschiedenen Konfessionen, Renovierungen vorgenommen worden seien. Zwar habe es damals mehrere Jahrzehnte gedauert, nach dem Erdbeben 1927, bis man sich zusammengerauft habe, doch am Ende habe man es hingekriegt und 1960 mit Renovierungsarbeiten begonnen. 1997 bekam die Kirche eine neue Kuppel und neue Säulen. Dieses Mal aber berühren die Arbeiten das „Herz des Schreins, den Ort, an dem jeder begehrt zu sein“, wie es Athanasius nennt.

In dem Dekret heißt es, die religiösen Zeremonien, die Messen und Prozessionen dürften von Renovierungen nicht beeinträchtigt werden; dies ist nun aber notwendig geworden.

Doch Streit gab es schon immer. Zum Beispiel den zwischen „den Griechen“ und „den Armeniern“ wegen der Kerzen. Die Eisenträger rund um das Grab Jesu wurden 1947 von den Briten angebracht, um die Ädikula zu stabilisieren; seitdem stellen die Pilger ihre Votivkerzen drauf. Aber es ist strittig, wer die Kerzen von den Eisenträgern sammeln darf, weil es sie zu Zeiten des Sultan-Dekrets über den Status quo noch nicht gab.

Einer der Kirchenfürsten, die die Vorherrschaft haben, ist der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem Theophilos III. Seine Seligkeit, so der Titel, trägt einen langen weißen Bart und einen Hirtenstab; um ihn herum wuselt eine kleine Schar schwarz gekleideter Popen: Sein Hofstaat, der ihm Anliegen vorträgt und seine Hand küsst, bei jedem Kaffee, der serviert und jedem Papier, das überreicht wird.

Theophilos vereint in seiner Person die Gewissheit des Glaubens als Offenbarung einer tieferen Wahrheit. Und die Rhetorik des Zusammenlebens, des einander Aushaltens in der Verschiedenheit. Jerusalem gehöre allen, sagt Theophilos, allen Völkern, allen Religionen. Und er meint doch bloß die drei monotheistischen Religionen des Buches. „Es war an der Zeit, die Renovierung anzugehen. Und wir haben es geschafft, wir als drei Gemeinden, die die Hüter und Diener der heiligen Stätten sind, einen Konsens zu finden, die Renovierung anzustoßen, ohne die Einmischung Dritter.“

Jerusalem hat alles gesehen: Kreuzzügler, Osmanen, Briten, Pilger, Wallfahrer und Touristen

Die Grabeskirche ist ungeschützt und offen. Es gibt nicht einmal eine Rucksackkontrolle, keine Security, die sie bewacht. Mitten in Jerusalem, von den Israelis mit dem Ostteil der Stadt besetzt, oder vereint als ewige Hauptstadt der jüdischen Nation - je nach Standpunkt - gehören bewaffnete Soldaten und Polizisten zum Stadtbild. In der Altstadt gehen die Gassen aus hellem Kalkstein eng und steil auf und ab. Auf einer Stufe verkauft eine alte Palästinenserin Rucola in kleinen Bündeln, dort liegt der beste Hummusladen der Stadt.

Da drüben die Siedler, die immer mehr Häuser auch in der Altstadt übernehmen, über Mittelsmänner kaufen, unter Polizeieskorte. Die Stimmung ist manchmal so schlecht, dass sich in nur einem Augenblick alles entzünden kann; bis bei einem Gerangel unter Jugendlichen schließlich Soldaten einschreiten. In Sekunden schaukelt sich ein Streit auf, Drohungen werden gerufen, vor, zurück, dann wird gespuckt, und dann kann alles passieren.

Dabei haben die Jerusalemer eigentlich jene gelassen-abgeklärte Unfreundlichkeit derer, die alles schon gesehen haben. Die miterleben mussten, dass Hunderttausende vorüberziehen und immer neue Ansprüche erheben: Kreuzzügler, muslimische Eroberer, osmanische Herrscher, britische Kolonialherren, jordanische Könige, israelische Eroberer, Pilger, Wallfahrer und Touristen.

Antonia Moropoulou, die Leiterin des Restaurierungsprojekts, ist „Griechin“ im Jerusalemer Sinn. Sie hat das Vertrauen des Patriarchen Theophilos und ist völlig überzeugt von der kulturellen Bedeutung und Heiligkeit des Ortes. „Für mich als Wissenschaftlerin und als gläubige Christin“, sagt sie, „ist die Bewahrung des Heiligen Grabes ein Unternehmen, welches das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen verschiedenen Glaubens fördert.“

Die Restauratoren arbeiten sich schrittweise vor und nehmen die Steinverkleidung der Ädikula auseinander, die sich verformt hatte, es bestand Einsturzgefahr. Jetzt wird neuer Mörtel eingespritzt, um die Mauern zu stabilisieren und den Druck von den Überresten des Grabfelsen zu nehmen. Es wird versucht, den Ursprung für die eindringende Feuchtigkeit zu beseitigen, indem man unter der Ädikula ein Abwassersystem einbaut.

Antonia Moropoulou betont, dass bei der Restaurierung bis jetzt alles harmonisch ablaufe, „weil es scheint, dass die wissenschaftliche Leitung glaubwürdig ist, und Entscheidungen aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen werden“, nicht aufgrund von jahrhundertealtem Gewohnheitsrecht.

Es wird schwierig sein, wenn die Restaurierung etwas verändert. Bis jetzt gehen ja alle hier, ganz getreu dem Status quo, davon aus, dass nach den Arbeiten alles genau so wie vorher sein wird. Antonia Moropoulou aber findet, „am Grab Jesu steht man nicht alleine, bloß mit seiner eigenen Verantwortung, sondern so, als stünde man vor der Zukunft, vor künftigen Generationen.“

Jetzt soll das Grab geöffnet werden, erzählt man sich aufgeregt. Seit 200 Jahren warf keiner einen Blick hinein. Moropoulou drückt sich vorsichtig aus und sagt, wenn es die Renovierung notwendig mache, werde es geöffnet, „natürlich mit dem Einverständnis der drei Gemeinden“.

Dabei insistieren alle darauf, dass das Grab leer ist, leer sein muss, dass sich all diese Aufregung um ein leeres Grab dreht. Worauf die Hüter des Grabes hier antworten würden: „Ja! Weil es hier passiert ist!“, die Auferstehung, die Anastasis, wie die Griechen dazu sagen, weswegen all das hier veranstaltet wird.

Antonia Moropoulou sagt, die Vertreter der drei tonangebenden Konfessionen hätten „bis jetzt ihre Bereitschaft gezeigt, in einen Dialog zu treten, untereinander und mit uns als Wissenschaftlern.“

Ob das so bleibt, werden die nächsten Monate zeigen. Der Abschluss der Arbeiten ist für März nächsten Jahres, spätestens aber zum Osterfest geplant, weil die Gläubigen dann die Kirche wieder ganz für sich und ihre Vielfalt haben wollen.

Pater Athanasius, der texanische Franziskaner, sitzt auf einer Kirchenbank in jenem Bereich der Grabeskirche, der den Katholiken vorbehalten ist. Während er spricht, beäugt er aufmerksam, was die anderen Mönche in der Kirche treiben, wer sich wo aufhält, wer welchen Bereich der Kirche betritt. „Das ist einer von unseren Jungs“, sagt er, und deutet auf einen Priester in Zivil. „Für diesen Bereich hier“, sagt Athanasius dann, „haben wir kolorierte Karten, wem was gehört, zwischen uns und den Griechen. Zum Beispiel diese Säule dort, wir nennen sie Säule Nummer 18, da gibt es einen eingefärbten Plan, wem welche Hälfte der Säule gehört. Aber leider ist nicht alles in der Karte aufgeführt und davon abgedeckt.“

Dass sich alle geeinigt haben, das Grab zu restaurieren, ist bei all dem Zwist erstaunlich. Gearbeitet wird vor allem in der Nacht, wenn die Touristen weitergezogen sind und sich nur noch die Mönche in der Kirche einschließen lassen, um ihren nächtlichen Andachten nachzugehen. Drinnen wird gebetet, gehämmert, gebohrt und geflext, draußen ist es still. Die Gassen liegen in warmer Dunkelheit, die Stadt gehört dann allein den herumstreunenden Katzen.

Pepe Egger

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